Auf den Trümmern der I-Buy-More-Politik

17.04.1992

Den Kunden ernst zu nehmen - das ist eine Regel, über die sich alle Verkaufsstrategen einig sind. Mit ihrer Befolgung wäre in der DV-Branche viel gewonnen. Daß es Mitarbeiter von DV-Herstellern sind, die auf diesen Punkt hinweisen, macht die Sache zum Politikum. "Alle (Hersteller) haben Rechner, aber die Kernfrage, wie sie den optimalen Nutzen bringen, ist noch nicht gelöst" - noch vor wenigen Monaten wäre ein solcher Satz von einem Herstellervertreter öffentlich nicht gesagt worden. Dieter Jung, Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Digital Equipment GmbH, geht in seiner Anklage noch weiter. Es fehle den DV-Herstellern an der nötigen Selbstkritik, Marketing-Aussagen und Realität deutlich zu unterscheiden. "Es kann für niemanden eine Überraschung sein", konstatiert Jung, "daß sich mit Hardware kein Geld mehr verdienen läßt" (vgl. CW Nr. 13 vom 27. März 1992, Seite 1: "Entlassungen helfen kranker DV-Branche nicht weiter").

So verständlich die Aufregung in der DV-Industrie ist - es stehen ja Arbeitsplätze auf dem Spiel -, die Anwender haben andere Sorgen: Alte Applikationen sind zum Klotz am Bein geworden, nichts geht mehr. Informationstechnik als Innovationsbremse? Wenn der Geschäftsführer eines renommierten Beratungsunternehmens so etwas andeutet, dann muß er schon gute Argumente in der Hinterhand haben, Ja-aber-Antworten zumindest, schließlich will er sich nicht selbst brotlos machen. Gerhard Adler von Diebold analysiert brillant: "Die nicht mehr beherrschbare Komplexität der Informationstechnik läßt nicht nur überhöhte Kosten entstehen, weil die Systementwicklung eher einem Reparaturbetrieb als einem Entwicklungszentrum gleicht, vielmehr entstehen auch zahlreiche Sicherheitsrisiken, weil das Informatik-Management ganz einfach die Übersicht verloren hat" (Gastkommentar, Seite 8).

Viele Anwenderfirmen stehen tatsächlich vor den Trümmern einer I-Buy-More-Politik - mit mehr Hardware, mehr MIPS, mehr Mätzchen sind die Probleme nicht zu lösen, da haben Jung und Adler recht. Aber wie ist es dazu gekommen? Vor allem: Was ist zu tun? Leider ist man auf Vermutungen angewiesen. Daß die Geschäftsführer der Computerfirmen zurücktreten sollen, fordert Jung nicht, wie auch Adler nicht daran denkt, die DV/Org.-Verantwortlichen in die Wüste zu schicken. Aber wir interpretieren Adler wohl richtig, wenn wir davon ausgehen, daß die Topmanager der Anwenderfirmen schlechte Noten verdienen.

Ein Beweis von Kompetenz wäre, die Tricks der DV-Hersteller zu durchschauen. Das klingt schwer und ist leicht, wenn die richtigen Fragen gestellt werden. Einkäufer verlassen sich nicht darauf, nur eine Quelle zu haben. Umgekehrt: Versuchen Sie mal, denen MVS oder eine AS/400 zu verkaufen.