Auf dem Arbeitsmarkt entscheidet Qualifikation, nicht Bildung

16.11.1984

Dieter Porzel Vorsitzender der Geschäftsführung der Control Data GmbH, Frankfurt am Main

Die hochgesteckten Erwartungen bei der Verbreitung der Informationstechnik setzen umfangreiche Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten voraus: Nach Angaben der Gesellschaft für Informatik benötigen bis 1990 rund 65 Prozent der heute 26 Millionen Beschäftigten einfache Anwendungskenntnisse in der Informationsverarbeitung, etwa 25 Prozent ausgeprägte Kenntnisse in Spezialbereichen und 5 Prozent fachlich tiefgehende Kenntnisse. Außer bei dieser kleinen Gruppe von EDV-Experten ist derzeit noch nicht einmal die Hälfte dieses Personalbedarfs abgedeckt.

Damit erhebt sich die Frage, wie die anstehenden Bildungsaufgaben quantitativ und qualitativ zu bewältigen sind. Betrachten wir zunächst das derzeitige Bildungssystem: Es beginnt in der Vor- oder Grundschule und endet mit einer Hochschul- oder Fachausbildung, Gesetzliche Grundlagen und inhaltliche Rahmenrichtlinien sichern weitgehend diese Basisausbildung und die damit verbundene Erziehung der Jugend ab. Aber dieses in der "Grund-Ausbildungsphase erworbene Wissen reicht für die Dauer des gesamten Arbeitslebens nicht mehr aus.

Ein lebenslanger Prozeß von Weiterbildung, sei es berufliche Fortbildung, Umschulung oder Anpassungsbildung ist für die "Grund-Ausbildung" notwendig. Ihr Anteil an der Gesamtbildung eines Menschen wird jedoch in dem Maß geringer, wie die Notwendigkeit lebenslanger Weiterbildung zunimmt. Die Ausbildungsphase muß somit mehr und mehr die notwendigen Voraussetzungen für einen lebenslangen Weiterbildungsprozeß schaffen; sich also vor allem auf eine umfassende Persönlichkeitsbildung konzentrieren und den Schwerpunkt auf die nicht automatisierbaren Eigenschaften wie etwa Kreativität und Innovationsfähigkeit legen.

Da diese "Grundausbildung" lediglich in der Zeit vor dem Berufsleben stattfindet, kann neues Wissen nur über den Generationswechsel weitergegeben werden. Hier sind also freie Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen der Wirtschaft notwendig um eine ständige Anpassung zu erzielen. In der Praxis betreibt gegenwärtig jedes größere Unternehmen eigene Aus- und Weiterbildung. Daneben gibt es privatwirtschaftlich arbeitende Ausbildungsstätten.

Zur Strukturierung und Vereinheitlichung werden für jeden Bereich Berufsordnungen von den entsprechenden öffentlichen Stellen erlassen. Diese Verordnungen müssen den Arbeitsanforderungen jederzeit genügen. Ein ungenügendes Beispiel aus der Informationstechnik ist der Wirtschaftsinformatiker.

Für die hochherzigste Form der beruflichen Fortbildung wird in der neuen Rechtsverordnung zum "gepr. Wirtschaftsinformatiker" weniger verlangt als die Industrie beispielsweise in ihren Stellenausschreibungen für einen Organisationsprogrammierer erwartet, nämlich produktorientierte Kenntnisse und Fertigkeiten im Bereich Datenbanken und Datenkommunikation.

Kann es praxisgerechte Ausbildung geben wenn die derzeit in Arbeit befindliche Verordnung zum "Organisationsprogrammierer" nur noch ein Drittel des Wissens für einen Wirtschaftsinformatiker verlangt? Zehn Jahre hat die Erstellung der Prüfungsordnung zum Wirtschaftsinformatiker gedauert die Produktzyklen in unserer Branche betragen aber zwischen drei bis fünf Jahren. Bei solchen Zeitunterschieden können Erlasse den Ausbildungsmarkt nicht ordnen.

Symptomatisch an diesem Beispiel ist, daß man nicht erkannt hat, wie berufliche Bildung und Arbeitsmarkt zusammenhängen. Denn auf dem Arbeitsmarkt entscheiden Qualifikationen, nicht Bildung. Qualifikationen werden durch Lernprozesse erworben. Welche Qualifikationen gefragt sind und welche nicht, wird im wesentlichen von den zu vollziehenden Arbeitsaufgaben bestimmt. Zahlreiche Qualifikationen werden derzeit und in naher Zukunft nicht mehr benötigt, sie erwachsen neu aus Innovationen und Umstrukturierungen in unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Welche Qualifikationen erworben werden, liegt in der Verantwortung der "Bildungsträger", die neben einer umfassenden Allgemeinbildung arbeitsmarktgerecht die erforderlichen Schlüssel- und Fachqualifikationen zu vermitteln haben.

Dieser im Prinzip einfache Regelungsmechanismus verlangt Qualitätskontrolle. Nur so gelangen wir zu einem System, das sich den Anforderungen des Arbeitsmarktes anpaßt. Beispielsweise erfordern die wachstumsintensiven Methoden der computerunterstützten Konstruktion und Fertigung eine Revision sämtlicher betroffener Berufsbereiche. Doch in der Regel wird die Berufsqualifikation Technischer Zeichner" nach wie vor ohne jeglichen Bezug zu CAE-Systemen erworben: hier dauern offensichtlich die notwendigen Anpassungen zu lange.

Auch im Bereich der Arbeitsförderung sind durch die einengenden Bestimmungen des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) Qualifikationsdefizite vorhersehbar: Das AFG zwingt die privaten Bildungsinstitutienen tendenziell auf ein Preisn(...)veau, das qualitativ hochwertige Weiterbildung kaum mehr zuläßt. Damit ist die Effizienz der hierfür eingesetzten Mittel relativ gering. Wir bedauern es sehr, daß die Arbeitsverwaltungen mit den Maßnahmebeurteilungen hinsichtlich Arbeitsmarktnähe, Qualitätsniveau und angemessenen Kosten insbesondere in Innovationsbereichen überfordert sein müssen, da ihnen keinerlei griffige Beurteilungskriterien und -instrumentarien zur Verfügung stehen. Der Ruf der Wirtschaft nach qualitativ guten und arbeitsmarktgerechten Aus- und Weiterbildungen kann nur erfüllt werden, wenn auch Wirtschaft und Industrie sich verstärkt und kompetenter in die Entwicklung von Qualifikationsprofilen eine schalten, ihre Forderungen deutlicher zum Ausdruck bringen und selbst intensive Aus- und Weiterbildungsaktivitäten auf hohem Qualitäts- und angemessenem Preisniveau übernehmen.