Auch IBM muß aus den Fehlern lernen

14.09.1979

Mit Klaus Luft, Vorstandsmitglied der Nixdorf-Computer AG, sprachen Dieter Eckbauer und Elmar Elmauer

þHat die System /38-Lieferunfähigkeit der lBM das Wettbewerbsklima auf dem Markt für Konkurrenten und Anwender verändert?

Ich bin überzeugt davon, daß die Art und Weise des Vorgehens der IBM den Markt weiter in der Tendenz verändert, die in der Vergangenheit schon spürbar war, jetzt aber sicher verstärkt wird. Zwar hat jeder Hersteller dann und wann einmal kleinere oder größere Probleme - die Frage ist jedoch, in welcher Art und Weise man den Anwender oder den Kunden mit diesem Problem rechtzeitig vertraut macht. Ich glaube deshalb, daß aus der aktuellen Erfahrung her mehr Anwender versuchen, unabhängiger zu werden, indem sie wenigstens zwei Lieferanten in ihrem Datenverarbeitungsnetz einsetzen.

þSein Waterloo - sprich eine /38 - hat fast jeder Hersteller erlebt. Bei Nixdorf könnte beispielsweise "900" über das Kapitel geschrieben werden. Die Frage ist aber: Was ist nach Ansicht des Wettbewerbers das Besondere am aktuellen lBM-Verhalten. Was hebt den Fall - - auch vom Echo her - über alle anderen bisher dagewesenen Mainframer-Kunden-Differenzen hinaus?

Ich sagte schon: Die Art und Weise der Information. Selbst wenn man als Hersteller ein Problem hat, versucht man mit den Anwendern eine Informations - und Kommunikationspolitik, so daß sich der Anwender auf eine neue Situation einstellen kann. Man versucht, mit ihm zu kooperieren, damit er das Problem umgehen kann. Daß man aber praktisch am Vorabend der Auslieferung überhaupt erst die Probleme bekanntgibt obwohl man ja ganz genau wußte, daß man die /38 nicht ausliefern kann, dies ist sicher nicht gerade typisch für die Industrie.

þSie charakterisieren dieses Vorgehen der IBM als ein lnformationsproblem. Heißt das, daß Sie die jetzt von IBM für die Verzögerung genannten Gründe nicht für die tatsächlichen halten, daß es andere gibt?

Das ist für einen Außenstehenden schwer zu beurteilen. Aber was zumindest offenkundig wird, ist das Informationsproblem. Niemand kann genau wissen, was an Maßnahmen dahintersteht, niemand kann durchsehen, warum man so spät mit der Veröffentlichung herausgekommen ist.

þNun behaupten Marktkenner, daß IBMs /38-Announcement im vergangenen Herbst bloß den Wettbewerb stören sollte. Könnte nicht die jetzige Aktion genau wieder diesen Grund haben, von anderen Dingen abzulenken. Läßt dies aber nicht zugleich den Schluß zu, daß die Reaktion IBM's - wenn sie das intern ausgestanden hat - für den Wettbewerb verheerend sein wird?

Ich meine: Genau das Gegenteil tritt ein. Es werden sich eben mehr und mehr Anwender überlegen, ob sie als Basis für ihr Computergeschäft normale Liefer- und Kundenbeziehungen haben wollen - oder praktisch Unverbindlichkeit in ihre Planung hineinbekommen wollen. Denn normalerweise betreibt die Industrie, betreiben die anderen Hersteller recht verbindliche Lieferplanungen. Ich glaube deshalb, daß mehr und mehr Kunden diese Art der IBM-Politik nicht mitmachen. Ich sehe also daraus absolut kein Problem für die Konkurrenz entstehen. Daneben muß noch eines bemerkt werden, daß ja der Mitbewerber in diesem Geschäft unterdessen durch den praktischen Einsatz seiner Systeme mehr und mehr Erfahrung sammelt. Dadurch gewinnen wir sicher auch einen Erfahrrungsvorsprung. Denn auch das Feld des Lieferanten muß mit seiner Maschine vertraut werden. Das heißt, nicht nur die Kunden haben einen Nachteil, sondern auch der Vertrieb, die Systemberatung des Herstellers, wenn die Auslieferung fast um ein Jahr verzögert ist.

þHerr Luft, wir möchten das, was Sie "mehr und mehr Anwender" nennen, ein bißchen einkreisen. Nun werden Sie sich nicht in der Lage fühlen, den /38-bedingten Umsatzverlust bei IBM zu quantifizieren. Fühlen Sie sich in der Lage, den Umsatzzugewinn der Wettbewerber zu quantifizieren, soweit er aus dieser Lieferverzögerung her resultiert?

Die Frage ist sicher, wenn man sie seriös beantworten will, nicht konkret zu beantworten. Für uns ist auch gar nicht entscheidend, ob sich der Markt um einige Prozent mehr oder weniger verändert. Für uns ist eine Tendenz entscheidend, die Tendenz, daß sich große Firmen selbst dann, wenn man in der Zentrale IBM Mainframe-Systeme hat, in den dezentralen Anwendungen freischwimmen. Und diese Tendenz ist sicher durch das Verhalten der IBM verstärkt worden.

þDezentrale Anwendung heißt, da dies ein erst wachsender Markt ist, daß Sie nicht daran glauben, ins Ablösegeschäft zu kommen?

Gewiß gibt es in diesem Rahmen auch ein Ablösegeschäft. Ich kann mir vorstellen, daß der eine oder andere Kunde diese Ablösung betreiben wird.

þSie argumentierten vorhin mit der Unverbindlichkeit der Planung. Nur Planungssicherheit gibt's auch bei Nixdorf nicht. Denn ab einer bestimmten Kunden-Größe wächst das Angebot von Nixdorf nicht mehr mit. Anders bei IBM. Der Marktführer kann durchgehend vom kleinsten bis zum größten System anbieten. Und BM kann eben sagen, nimm doch statt der /38 eine 4300 oder eine 8100.

Also Kompatibilität - aber das kann Ihnen jeder IBM-Mann besser erklären - ist natürlich auch bei IBM das Zugpferd. Aber wenn ich davon spreche, daß ein System leicht einzusetzen ist, dann ist sicher nicht das Umfeld eines Systems 138 und eines Systems 4300 beim Anwender vergleichbar. Das heißt, der Anwender kann gar nicht so leicht den Übergang finden. Vor allem, wenn er genau auf das einging, was als Produktvorteil herausgestellt worden ist. Was Nixdorf betrifft, lassen Sie mich feststellen, daß unsere Kundenbasis mit unseren Produkten schon wachsen kann. Was wir heute sehen, ist zusätzliches Marktpotential, das wir erschließen könnten, wenn wir über der heute vorhandenen größten Maschine noch Systeme anbieten könnten. Dort sehen wir tatsächlich ein großes Potential, und sicher beschäftigt uns diese Frage.

þUnd wie konkret ist derzeit die Antwort auf diese Frage?

Wir werden bald konkret kommen.

þBald - ist Hannover-Messe oder gar schon die SYSTEMS?

Die SYSTEMS ist es nicht.

þNochmals zurück zu dem Punkt, "keine festen Liefertermine". Sie haben das so abgehakt als einen Punkt, der in Verkaufsgesprächen eine Rolle spielt. Aber ist das nicht im Vergleich zu den Usancen in anderen Wirtschaftszweigen - eine Ungeheuerlichkeit, die man auch wesentlich harter brandmarken könnte?

Sicher kann man das, und sicher müßte man das. Man sollte sich mal die Lieferplanung besonders bei neuangekündigten Systemen ansehen, die zum Teil dem Kunden eine Terminierung mit Geräten geben, mit denen er noch gar nicht arbeiten kann. Mit einer Streuung die über sechs oder acht Monate geht. Also: Nicht nur, daß IBM keine Verpflichtung eingeht und eine verbindliche Lieferplanung bekanntgibt, sondern daß der Anwender auch noch innerhalb der vorgesehenen Lieferungen eine sehr große Streubreite hat bei den einzelnen Geräten, die am System hängen.

þWürden Sie das, was Sie jetzt gesagt haben, auch von einem Produkt wie der 4300 behaupten?

Dort weiß ich, daß es so ist.

þWir sind gar nicht mal sicher, ob lBM-Kunden so unglücklich darüber sind. Leidet nicht eigentlich der Wettbewerb mehr als der Anwender?

Ich bin der Meinung, daß die Wettbewerber zunehmend von diesem IBM-Verhalten profitieren. Die Anwender werden reifer und können damit auch besser beurteilen, ob sie sich solchen Verfahren aussetzen oder nicht. Ich habe schon gesagt, daß sich gerade große Firmen - zumindest im dezentralen Bereich - unabhängig machen wollen selbst dann, wenn sie sich im Zentralbereich mit diesem Unternehmen versorgen. Die Wettbewerber sollten dies sicher deutlicher herausstreichen - denn diese Politik ist ein ungewöhnliches Verhalten in der DV-lndustrie.

þSie fühlen sich im Augenblick in einer sehr starken Position, was die Auseinandersetzung mit IBM anbelangt. Nur wird sich lBM nicht einfach darauf beschränken durch hektographierte Schreiben Mitteilung zu machen, die -/38 könne nicht geliefert werden. Es sind doch gewiß Maßnahmen von IBM zu erwarten, um diese Schlappe auszumerzen. Haben Sie Vorstellungen, Befürchtungen oder Informationen, wie IBM reagieren wird?

Zunächst einmal, das war ja nachzulesen, gibt es Fälle, in denen man bemüht ist, auf ein anderes Modell umzustellen. Das ist die eine Seite. Sicher wird das Unternehmen versuchen, diese Sache in Griff zu kriegen, aber ich weiß nicht, was in neun Monaten herauskommt. Vielleicht wissen Sie es? Versuchen Sie doch mal von diesem Unternehmen eine Bestätigung zu bekommen, was Sie nach neun Monaten kriegen an Leistung.

þAber Leistungsbestätigungen bekomme ich doch auch kaum von anderen Herstellern. EDV ist doch learning by doing.

Sicher hat jeder Hersteller immer wieder seine Probleme. EDV ist eben ein reichlich komplexes Instrument. Standard bei uns ist jedenfalls - ich kann hier nur für unser Unternehmen sprechen -, daß wir eine verbindliche Lieferplanung mit den Kunden erarbeiten.

þSind Sie eigentlich der Meinung, daß es hoch an der Zeit war, daß der deutsche Anwender mal gemerkt hat, daß auch dort a) mit Wasser gekocht wird, und b), daß er merkt, daß auch das Vertauen in IBM enttäuscht werden kann?

Wenn ich jetzt ja sagen würde, dann müßten Sie anschließend fragen, warum Nixdorf so erfolgreich war. In meinen Augen haben es nicht nur die deutschen Anwender schon längst gemerkt. Frage ist nur, ob es nicht noch mehr merken können.

þKönnen wir Sie an dieser Stelle nicht doch hinreißen, in irgendeiner Form zu quantifizieren und zu sagen, so und so viele Gespräche sind aufgrund der System /38-Situation positiv für uns gelaufen?

Ich kann die Statistik nicht machen. Ich weiß nur, daß wir bei der 8870 - praktisch durch Umfrage bestätigt - in fast allen Geschäften, die IBM auf dem unteren Sektor macht, auch vertreten sind. Das ist schon ein sehr wichtiger Punkt.

þWürden Sie auch sagen, daß Sie als Nixdorf in besonderem Maße von dieser lBM-Problematik partizipieren ?

Ich kann nur sagen, daß sie uns hilft, mehr zu liefern und auch dauerhaft mehr Kunden zu erhalten.

þ Die Vergangenheit hat gezeigt, daß gerade in Zeiten, in denen es also auch mal gesamtwirtschaftlich kriselt, IBM-Anwender eher zusammenrücken, sich eher fester an den Hersteller binden. Könnte nicht auch eine Art Trotzreaktion eintreten, daß die IBM-Kunden sagen: Jetzt erst recht IBM.

Es gibt ja immer Entscheidungsträger - egal wo -, die ihre Entscheidung so lange verteidigen, bis sie tot sind. Das erlebt man überall, und natürlich wird es Leute geben, die ihre Entscheidung gefällt haben und jetzt permanent sagen. daß es trotzdem noch die beste war.

þTreu nach dem abgewandelten Spruch: "In der Schlange wartet es sich leichter"?

Vielleicht - aber ich glaube, daß man dem Markt gegenüber ungerecht wäre. Es ist ja auch eine Frage für die Mitbewerber in der Branche, qualitativ mehr und mehr Spitzenleistung zu bieten. Wir haben deshalb eine gute Position, weil wir zum Beispiel durch das ganze Verfahren, das wir Comet nennen, sowohl die Anwendungs-Softwareerstellung leichtgemacht haben als auch Datenbank-Software zur Verfügung stellen. Und weil wir eben auch Instrumente wie Diagnose-Systeme über Remote-Installation oder auch Methoden wie Downline-Loading für die Software-Veränderung zur Verfügung stellen. Damit gelingt es uns ja letztendlich wenigstens gleichzuziehen, wenn nicht sogar, wie im Falle Comet, an der Spitze zu stehen.

þSie haben vorhin gesagt, es entzöge sich einer seriösen externen Beurteilung, was die eigentlichen Gründe für diese Lieferverzögerung sind. Nun sind Sie ja erfahren genug, um vermuten zu können. Herr Luft, hat sich IBM insgesamt übernommen, oder ist es ein Software-Problem? Was glauben Sie, wo liegen die Hauptgründe?

Nun, man könnte der IBM das Argument Software, das offiziell genannt wurde, schon abnehmen. Denn mit Sicherheit ist Software heute eine komplexe Ware, die durch ihre Komplexität immer schwieriger zu beherrschen ist. Um so mehr ist es notwendig, daß man rechtzeitig und in Stufen Erfahrungen sammelt. Das ist nicht allein die Frage der Größe oder der Finanzkraft, das ist auch eine Frage der Innovationskraft und der Erfahrung auf diesem Sektor. Es gibt eben Unternehmen, die jahrelang mit kleineren und mittleren Software-Systemen gearbeitet haben, auch ihre Fehler gemacht haben, aber inzwischen aus den Fehlern gelernt haben. Vielleicht muß eben auch IBM diesen Prozeß nachvollziehen.

° Ist es so, daß wir uns auch im Software-Bereich dem "Fortschritt der kleinen Schritte" nähern? Weil es, je mehr Ballast mitgezogen wird, um so langwieriger wird, neue Konzeptionen zu realisieren?

Wenn Sie mit dem Ballast die Pflege dessen meinen, was heute schon vorhanden ist, dann haben Sie sicher recht. Das ist ein Problem für viele Unternehmen, vor allen Dingen für Anwender, daß mehr und mehr ihre eigene Software-Kapazität durch die Pflege der Systeme gebunden ist.

þIBM hat bei der /38 Mikrocoding im besonderen Maße herausgestellt. Eine für den Hersteller sicherlich a la longue geschäftlich interessante Politik. Aber ist Mikrocoding für den Software-Techniker nicht eine um so schwierigere Aufgabe?

Das glaube ich nicht. Natürlich muß man jetzt mehrere Ebenen in das System einschließen. Man hat nicht mehr die klare Trennung zwischen Hard- und Software, die es in der Vergangenheit gab. Aber die Leistungsfähigkeit des Systems kann eben durch Mikrocode deutlich verbessert werden.

þUm noch bei der Software zu bleiben: ist die Software-Last, nämlich die Entwicklung und Pflege von Individual-Software, aber auch Standard-Software gerecht verteilt? Oder sollten Entwicklung und Pflege von Software, die jetzt noch überwiegend beim Hersteller liegen, mehr vom Anwender getragen werden?

Nicht jeder Hersteller gibt gleichviel Anwender-orientierten Service. Aber vom Grundsätzlichen her kann man sagen, daß es die fortschreitende Technologie, daß bessere Software-Systeme dem Anwender gewiß eher ermöglichen, seine Software selbst zu erstellen und zu ändern. Ich meine damit Dinge, die zum Beispiel weit über Cobol, Generatoren und ähnliche Verfahren hinausgehen, die für den Kunden doch überschaubarer sind.

þEine Frage noch: Wir hören immer wieder DV-Zuwachsraten im Bereich von 20 Prozent, davon können andere Branchen nur träumen. Nun gab's vor drei Jahren die Aussage Ende 1980 gäbe es noch fünf Mainframer, der Rest wäre weg. Wie groß schätzt sich eigentlich Nixdorf so Ende der achtziger Jahre ein und wird IBM genauso schnell wachsen?

Wenn es so einfach wäre, könnte man die Wachstumsrate der letzten Jahre hernehmen und hochrechnen, und dann würde man feststellen, daß wir irgendwann ähnlich groß wie IBM sind. Wir wachsen in den letzten Jahren schneller. Aber so einfach ist das nicht. Wir haben auch keine Hochrechnung, wo wir Ende der achtziger Jahre stehen. Für uns ist ein Punkt entscheidend, den vielleicht viele Mitbewerber nicht verstanden haben: Wir wollen den Endbenutzer als Nixdorf-Kunden haben, wir wollen Dienstleistung geben. Ich glaube, daß das eine Verankerung ist, die uns dauerhaft auch im Wettbewerb erfolgreich sein läßt.