Arbeitsplatz Pharmazie

Attraktive Nische für Informatiker

25.10.2000
Von Veronika Renkes
Die längst international agierende Pharmabranche benötigt dringend Experten mit IT-Know-how, die die technologische Infrastruktur für den globalen Wettbewerb implementieren und auf dem neuesten Stand halten. Aus Mangel an Informatikern müssen die Unternehmen auch auf Betriebswirte und Naturwissenschaftler zurückgreifen, die sie in Trainee-Programmen auf IT-Aufgaben vorbereiten.

"Die Informatiker spielen bei der Internationalisierung unseres Konzerns eine Schlüsselrolle", stellt Karl Röser, Bereichsleiter Information Services bei der Merck KGaA mit Hauptsitz in Darmstadt die herausragende Rolle der IT-Mitarbeiter für den wirtschaftlichen Erfolg seines Unternehmens dar. Globalisierung setze im ersten Schritt immer eine Internationalisierung der Informationsflüsse voraus.

Der Pharmakonzern erwirtschaftet vier Fünftel seines Jahresumsatzes im Ausland. Die Abwicklung der weltweiten Geschäfte und die Steuerung der Auslandsgesellschaften, unter anderem in Frankreich, Japan, den USA und Lateinamerika erfolgt von Darmstadt aus: "Wir sind heute weltweit vernetzt und erreichen von Darmstadt aus unsere Gesellschaften in jedem Winkel der Welt innerhalb weniger Minuten", so Röser.

Im deutschen Headquarter wird penibel darauf geachtet, dass das weit verzweigte Unternehmen standortübergreifend nach einheitlichen informationstechnischen Standards ausgerüstet wird. Beim Konkurrenten Schering mit über sechs Milliarden Mark Jahresumsatz gelten ähnliche Prämissen. Die Berliner Zentrale gibt die IT-Infrastruktur in den in- und ausländischen Niederlassungen vor. "Unser Standort in Osaka weist die gleichen IT-Standards auf wie in San Franzisko oder eben in Berlin", erläutert Wolfgang Petry, zuständig für Hochschul-Marketing und Trainees beim Berliner Pharmariesen. Armin Fiedler, Abteilungsleiter IT-Projektkoordination und Qualitäts-Management bei Schering, unterstreicht den dadurch erzielbaren Vorteil: "Der Effektivitätsgewinn liegt darin, dass die Landesgesellschaften ihre eigene IT aufgeben. Bisher hatte jede ein eigenes System mit einer eigenen Betreuungsmannschaft. Wir haben in Berlin für Europa ein zentrales Tochtergesellschaftssytem aufgebaut, durch das wir seit der Einführung jede Menge Synergieeffekte erreichen konnten."

Eine ausgereifte, stets auf dem aktuellsten Stand befindliche IT wird für die Pharmaunternehmen immer mehr zu einer Überlebensfrage im schnelllebigen und kostenintensiven Geschäft. Die Entwicklung von Medikamenten bis hin zur Genehmigung durch die staatlichen Kontrollbehörden und zur Marktplatzierung verschlingt Millionenbeträge und zieht sich in der Regel über Jahre hin. Nur wer schneller als die Konkurrenz ist, kann im aufwändigen Business überleben.

Beispielsweise müssen die Firmen für die Zulassung von Medikamenten sehr viele Tests nachweisen. Damit diese von den Kontrollbehörden nicht beanstandet werden, ist es unabdingbar, dass sie weltweit die gleichen Qualitätsstandards aufweisen. Mit Hilfe der IT wird die Qualitätssicherung vereinfacht.

Der entscheidende Wettbewerbsvorteil liegt unter anderem in der schnellstmöglichen Daten-Zusammenführung und -Haltung."Je unproblematischer und je schneller wir die weltweit zusammengetragenen Daten zusammenführen, desto eher können wir die Testergebnisse veröffentlichen und die Markteinführung vorantreiben", meint Pharma-Manager Petry.

Der Bedarf an IT-Lösungen besteht bei den Pharmakonzernen inzwischen in allen Unternehmensbereichen: etwa bei der Versorgung der Außendienstmitarbeiter, die regionen- und länderübergreifend verlässliche Produktinformationen jederzeit per Knopfdruck abrufen können müssen, bei der Logistik, im Vertrieb sowie der Forschung und Entwicklung.

Zunehmend interessant wird auch die Einrichtung von Internet-Seiten für die Kommunikation mit Ärzten und Patienten. Eine im vergangenen Herbst von Gemini Consulting gemeinsam mit dem Deutschen Ärzteblatt vorgenommene Befragung von 5000 Ärzten ergab: Die Web-Seiten der Pharmaindustrie stoßen bei den Medizinern auf zunehmendes Interesse. Vor allem Produktinformationen sowie Informationen über Befunde und Therapien werden nachgefragt. Über die Hälfte der Teilnehmer an der Untersuchung erwartet, dass das Internet zum wichtigsten Informationsmedium im Gesundheitssystem avanciert und die Interaktion zwischen Ärzten und der Pharmaindustrie entscheidend verändern wird. So erhoffen sich die Mediziner, dass die Marktübersicht über medizinische Geräte und Dienstleistungen via Internet transparenter und der Abruf von Präparateinformationen einfacher und schneller wird.

Dafür, so die Prognose der Ärzte, wird die Zahl der Pharmareferenten erheblich abnehmen, eine Einschätzung, die Frank Lauster, Vicepresident bei der Gemini Consulting GmbH teilt: "Der Arzt wird sich künftig die Produktinformationen aus dem Internet holen, wenn er sie braucht und dann direkt über ein Call-Center auf Spezialisten zugreifen, wenn er noch ungeklärte Fragen hat. Es wird einen Pharmareferenten on Demand geben." Diejenigen, die im Gesundheitswesen arbeiten, werden die neuen Medien als Ergänzung neben den klassischen Fachzeitschriften, Kongressen oder Fachbüchern nutzen. Die Ärzte erwarten von der Pharmaindustrie qualitativ hochwertige Informationen, neue Dienstleistungen und vor allem Services für den direkten IT-gestützen Dialog.

Dabei kommt, so Lauster, dem intelligenten Einsatz der IT eine zentrale Rolle zu wie etwa auch bei der Vernetzung der Pharma- mit Drittunternehmen aus der Biotechnologie- und Gentechnologiebranche. "Es muss gewährleistet sein, dass jeder Partner jederzeit Zugriff auf Informationen hat." Hier steckt die Pharmaindustrie noch in den Kinderschuhen, meint Teyke, ebenso wie bei der Generierung von Produktinformationssystemen und dem Vertrieb von Pharmaka über das Internet.

Bei Schering scheitert das E-Commerce-Geschäft bisher an der Produktpalette. Die Medikamente, die etwa bei der Krebsbehandlung eingesetzt werden, sind allesamt verschreibungspflichtig. Bei Merck hingegen wird ein Teil des Geschäfts heute schon über E-Commerce abgewickelt - allerdings mit noch erheblichen Ausbaupotenzialen. Zudem weist Schering-Mann Fiedler auf eine andere Hürde hin, die der gesamten Branche viel Kopfzerbrechen bereitet: Die jahrzehntelang gewachsenen Vertriebsstrukturen mit dem mächtigen Pharmagroßhandel als Bindeglied zwischen Produzenten und Endabnehmern sind nicht so ohne weiteres zu kippen. "Der direkte Weg vom Hersteller zum Kunden ist durch den Großhandel vermauert. Es gibt natürlich Überlegungen, ob man neue Wege schaffen kann, wie etwa, dass die Apotheken die Medikamente direkt beim Hersteller abrufen."

Neben solchen strukturell bedingten Hürden haben die Pharmaunternehmen aber noch mit einem ganz anderen Problem zu kämpfen: Der fehlende IT-Nachwuchs bremst die zügige Umsetzung von wichtigen Vorhaben. Mehr noch als andere Branchen muss die pharmazeutische Industrie die Werbetrommel rühren, "da Informatiker erst gar nicht auf die Idee kommen, bei einem Medikamentenhersteller anzuheuern. Das ist vom eigentlichen Studium zu weit entfernt", weiß Rekruiting-Experte Petry zu berichten. So gehen Großkonzerne wie Schering oder Merck dazu über, Betriebswirte oder Naturwissenschaftler mit Hilfe von Trainee-Programmen auf die IT-Aufgaben vorzubereiten. Bei Merck sind Informatiker und IT-Nachwuchskräfte gefragt, "die die Fähigkeit mitbringen, Geschäftsprozesse zu verstehen, zu analysieren, zu dokumentieren und dann unter betriebswirtschaftlichen und psychologischen Aspekten zu optimieren", schildert Röser. Weiterhin werden Spezialisten für Infrastrukturaufgaben wie Mail-, Groupware- und Internet-Systeme sowie Datenbanken und Standardsoftwarepakete wie SAP oder Documentum gesucht. Wer zusätzlich Branchenkenntnisse mitbringt, für den rollt die Merck KG schon fast den roten Teppich aus. Mit ausgefeilten Weiterbildungsprogrammen bis hin zur unternehmenseigenen Corporate University und das Angebot, international führende Business-Universities besuchen zu dürfen, betreibt das Darmstädter Unternehmen Mitarbeiterbindung.