Razorfish: Arbeiten bei Startups

Atmosphäre und Kultur sind wichtiger als Geld

16.06.2000
Was muss ein Arbeitsplatz bieten, damit die Angestellten Leistung bringen und sich wohl fühlen? Die richtige Formel für das ideale Beschäftigungsverhältnis scheinen vor allem junge Internet-Firmen gefunden zu haben. Alexandra Mesmer hat sich bei einer umgeschaut.

Wenn Jan Hoffmann für einige Stunden in die Welt von HTML und Javascript eintauchen will, hilft nur noch der Griff zum Kopfhörer. Auf dem Server findet er die richtigen Stücke in MP3-Format. Musik hilft dem Physiker, um in den "Programmiermodus zu schalten" - zumindest akustisch abgeschirmt von seinen Kollegen.

Ein hipper Laden

Der Großteil der mittlerweile 60 Mitarbeiter bei Razorfish in Hamburg sitzt im selben Raum. Ein Großraumbüro im klassischen Sinn verbirgt sich aber in dem Geschäftshaus unweit von Hamburgs Edelmeile "Neuer Wall" dennoch nicht: Die Wände sind unverputzt, an der Decke schlängeln sich die in Alu verpackten Rohrleitungen entlang, die Mountainbikes lehnen neben den Besprechungsstühlen, die Tischtennisplatte steht vor den Schreibtischen der Chefs, und an der ausladenden Theke trifft man sich zwischendurch auf einen Espresso.

Dass die Arbeitsumgebung einem Loft nachempfunden ist, gehört bei Razorfish zum Konzept. Auch die Büros in den anderen Ländern (siehe Kasten "Internationalität als Chance") sind ähnlich eingerichtet. Das Bild eines "hippen Ladens" war auch der erste Eindruck, den Hoffmann als Besucher während einer Rekrutierungsveranstaltung in Berlin von dem Internet-Dienstleister mitnahm. "Die Mitarbeiter von Razorfish gehörten zu den wenigen, die einen witzigen Stand hatten und keinen Anzug trugen", erinnert er sich. Die Selbstdarstellung der anwesenden Unternehmensberatungen, die von Arroganz bis zum Loblied auf die 80-Stunden-Woche reichte, schreckte ihn dagegen ab. "Ich fühle mich noch zu jung, um in einem etablierten Unternehmen zu arbeiten", begründet der 26-Jährige seine Entscheidung füreine junge Firma und gegen einen Konzern.

Jung sein kann aber mitunter auch anstrengend sein. "In den Anfangszeiten wurde wenig Wert auf Strukturen und Rollenklärung gelegt. Die Laissez-faire-Methode war aber nicht sehr erfolgreich", gibt Philipp Schäfer, Managing Director von Razorfish Hamburg, zu. Die Mitte 1999 eingeführten Management-Strukturen griffen, so dass die Agentur seitdem stark gewachsen ist - im Durchschnitt kamen fünf neue Mitarbeiter im Monat dazu. Die finden sich nun im einem der drei "Skill-Sets" Design, Strategy und Central Technology Service wieder. Hoffmann gehört als Entwickler von Benutzeroberflächen zum letztgenannten Bereich und sieht sich als Bindeglied zwischen Designer und Techniker, welche die Backend-Lösungen bauen."Es macht meine Arbeit spannend, dass ich nicht ständig ein fertiges Konzept von den Designern auf den Tisch bekomme, sondern dass wir uns zum Beispiel gemeinsam erarbeiten, wie man den Benutzer intuitiv über eine Website führt", beschreibt Hoffmann seine

Tätigkeit. Da er auch schon während seines Physikstudiums in Heidelberg für einen Fachbuchverlag Internet-Seiten gestaltet hat, weiß er, wie wichtig eine benutzerfreundliche Navigation ist. "Web-Seiten nach Kundenwünschen bauen kann jeder. Wir aber wollen einen logischen Aufbau und eine übergeordnete Informationsarchitektur", so Hoffmann. Dabei fühlt sich der Entwickler auch viel mehr gefordert, als wenn er nur implementiert.

Auch wenn der junge Physiker, der seit Februar dabei ist, an manchen Tagen nur programmiert, sind Projektbesprechungen ein wichtiger Bestandteil seiner Arbeit. An den vielen Meetings merke man, dass das Team noch jung ist und sich manchmal in Detailfragen verliert. "Dafür hat man hier aber auch die Chance, viel zu ändern", ist sich Hoffmann sicher. Erst vor wenigen Wochen hat er gemeinsam mit zehn anderen Kollegen erarbeitet, welche Aufgaben die einzelnen Bereiche in einem bestimmten Projektstatus haben. Begeistert war Hoffmann auch davon, als an einem Freitag Nachmittag ein Mitarbeiter aus dem Londoner Büro kam, um gemeinsam an der Razorfish-Vision zu feilen. So diskutierte die komplette Mannschaft, was in den Teams gut, was schief läuft, welche Projekte man gern machen würde und wo man das Hamburger Büro in einem Jahr sieht.

Kritik und neue Ideen von Seiten der Mitarbeiter sind auch bei Manager Schäfer ausdrücklich erwünscht: "Wir haben Strukturen und Prozesse entwickelt - das heißt aber nicht, dass wir sie niemals mehr ändern werden. Wir gehen ja auch mit unseren Kunden durch Wandlungsprozesse. Also begreifen wir den Wandel als etwas Positives, ja Essentielles." Dazu gehört auch, dass die Mitarbeiter mitunter Zeit dafür bekommen, ihre eigenen Ideen umzusetzen. Für die Entwickler ist es Entspannung und Spaß zugleich, wenn sie sich statt mit Bankapplikationen mit einer MP3-Radiostation beschäftigen können.

Im Gegensatz zu manch anderen Startups, die ähnlich wie die von Hoffmann kritisierten Unternehmensberatungen das hohe Lied auf eine 80-Stunden-Woche singen, sind die Chefs von Razorfish froh, wenn die Mitarbeiter ihr Pensum in 40 Stunden schaffen. Auch Einsteiger Hoffmann ist nicht bereit, wesentlich mehr als 50 Stunden in der Woche zu arbeiten. In der Regel kommt er gegen zehn Uhr und verlässt wie die meisten seiner Kollegen zwischen 19 und 20 Uhr das Büro. Für ihn ist es vor allem eine Frage von realistischen Zeitplänen, ob Überstunden in großer Zahl anfallen oder nicht. Als Entwickler kostet es ihn auch viel Zeit, wenn der Projektleiter ihm eine Zusatzaufgabe gibt und er sich vom Programmcode lösen muss. "Wir Entwickler und Techniker müssen unseren Kollegen klarmachen, dass wir wieder eine halbe Stunde brauchen, um erneut in das Programm einzusteigen, nachdem wir herausgerissen wurden. Man muss einfach komplett umschalten", beschreibt Hoffmann.

Dennoch scheut er sich nicht vor zusätzlichen Aufgaben und hat sich in der Entwicklergruppe "gewisser Aufgaben" angenommen, so dass er mittlerweile zu ihrem Leiter geworden ist. Sein Ziel ist es, in diese Rolle hineinzuwachsen. Im Vergleich zu verantwortungsvollen und abwechslungsreichen Aufgaben motiviert ihn Geld nicht sonderlich. Nach dem Studium hätte Hoffmann auch einen Job bekommen können, mit dem er 20 000 Mark mehr im Jahr verdient. Wie viele Einsteiger hatte auch er Zweifel, ob er sich nicht unter Wert verkaufen würde. Jetzt weiß er, dass die Unternehmenskultur und die Arbeitsatmosphäre einen monetären Vorsprung wettmachen können.