Führende Rolle in der Mikro-Mainframe-Kommunikation:

AT&T will mit Unix-Produkten auftrumpfen

23.03.1984

MÜNCHEN (kul) - Ganz im Zeichen - Engagements der AT&T für Unix stand die diesjährige Uniforum Conference in Washington, D. C. Höhepunkt dieses Forums der Unix-User war die Ankündigung der verbesserten Version des System V, die Präsentation von Unix-Versionen, für die AT&T als Autor zeichnet, sowie die Erklärung, der Industriegigant und Digital Research würden künftig gemeinsam eine Bibliothek von Unix-Anwendungssoftware vermarkten. Große Versprechungen machte Jack Scanlon, Vizepräsident der Abteilung Computersysteme bei AT&T, seinen Zuhörern: Das Angebot an Softwarepaketen solle 1984 auch im unteren Bereich ausgebaut werden, Die Zahl der Computergesellachaften, die Unix-Systeme als von unterstütztes Produkt anbieten, wird dieses Jahr, wenn es nach dem Willen der Verantwortlichen geht, stark zunehmen. Außerdem habe sich AT&T aufs Panier geschrieben, Benutzerfreundlichkeit und Support zu verbessern. Mit Jack Scanlon, der inzwischen als eine Art Sprecher für Unix am den Reihen der Industrie gilt, sprach die COMPUTERWORLD.

- Unix gilt als Betriebssystem, das zwar bei Programmierern sehr bekannt, aber nicht unbedingt benutzerfreundlich ist. Glauben Sie den Spekulationen die Popularität von Unix werde bereits in der näheren Zukunft abnehmen?

Zweifellos würden Unix einige Verbesserungen nicht schaden. Die grundsätzliche Frage lautet aber, ob Unix fundamentale Nachteile gegenüber anderen Betriebssystemen hat, die sich nur schwer in den Griff bekommen lassen.

Wir setzen Unix seit Jahren unternehmensintern ein, um schlüsselfertige Systeme an Benutzer auszuliefern, die über ein sehr geringes Fachwissen verfügen. In jedem dieser Fälle entwickelten wir eine individuelle Benutzerschnittstelle, um das Interface zur Maschine für die spezielle Anwendung so problemlos wie möglich zu gestalten. Wenn ich im Vergleich dazu andere Betriebssysteme anschaue, so glaube ich, daß sie mit wesentlich fundamentaleren Problemen zu kämpfen haben: Sie müssen sich von einer Single-Task-Umgebung auf ein Multi-Tasking-Environment umstellen. Kommunikations-und Netzwerkfähigkeiten sind heute ebenso ein Muß wie ein virtueller Speicher. Das sind alles ganz grundlegende Dinge, die einem jedoch nicht in den Schoß fallen.

- Empfiehlt es sich, Unix auf großen, kommerziellorientierten Prozessoren zu erlernen?

Unix kommt zwar aus dem Bereich der Minicomputer, läuft bei AT&T aber auch auf Mainframes. Es ist ein Betriebssystem, das sich ausgezeichnet für den Einsatz auf Minis, Mikros und Mainframes eignet. Unix ist wie ein Schifferklavier: Es laßt sich auf ein riesengroßes Spektrum ausdehnen. Außerdem ist es eine wertvolle Hilfe, wenn man Rechner verschiedener Größenordnungen miteinander verbinden will. Für uns ist diese Eigenschaft ein grundlegendes Kriterium bei der Diskussion darüber, ob der Mikro sich beim Benutzer jemals als vollwertige Einheit behaupten wird, wenn allgemein verfügbare Daten vom Hauptrechner abgerufen werden sollen.

- Ist Unix dann das langersehnte Bindeglied zwischen Mikro und Mainframe?

Absolut. Das ist auch einer der Gründe, mit denen wir andere Unternehmen davon überzeugen können, Unix einzusetzen. Sie erkennen, das ihnen hier ein Mittel an die Hand gegeben wird, ihre bisher inkompatiblen Architekturen miteinander zu verbinden. Außerdem sehen sie in Unix die Technologie, mit deren Hilfe eines Tages der Traum von der verteilten Datenverarbeitung wahr werden könnte.

- Wird der Einzug in die kommerzielle Mainframe-Umgebung für Unix der nächste Schritt sein, um auf dem Markt ein gesteigertes Wachstum zu erzielen?

Wenn ich ein Spielertyp wäre, würde ich hier eine sichere Wette sehen.

- Welchen Hardware-Support für Unix kann der Benutzer künftig von Unix erwarten?

Wir setzen bereits in unserem eigenen Unternehmen und bei ausgewählten Kunden Unix-Computer ein. Unserer Ansicht nach gibt es tatsächlich einen Marktbedarf für dieses Rechner.

- Was für eine Hardware gibt es, und wann ist sie verfügbar?

Dazu möchte ich vorläufig keine Einzelheiten bekanntgeben. Wenn wir soweit sind, daß wir unsere Produkte ankündigen können, werden wir selbstverständlich genaue Informationen geben.

- Wird IBM durch die Entscheidung, Unix auf dem PC einzusetzen von AT&T abhängig oder wird Big Blue auch auf dem Unix-Markt einfach wegen der größeren Anwenderzahl die Nummer eins werden?

Ich glaube, keine dieser beiden Theorien trifft den Kern der Sache. Wir sind stolz darauf, daß sich IBM für Unix entschieden hat, denn das stärkt diesem Betriebssystem unheimlich den Rücken.

Darauf, daß es endlich zumindest ein gewisses Maß an Standard gibt, hoffen wir gespannt. Vor allem im Hinblick auf die unabhängigen Software-Anbieter wäre eine solche Entwicklung wünschenswert. Ein Argument, sie von Unix zu überzeugen, sehe ich in der Verbreiterung des Marktes für ihre Produkte. Ich glaube, das ist gut für uns und für die Industrie.

- Wird Unix zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeihung werden, wenn alle größeren Unternehmen sich auf diesen Markt stürzen?

Die meisten dieser Unternehmen sind im High-Technology-Bereich zu Hause und halten nichts von Aberglauben. Es handelt sich hier um hochkarätige Geschäftsleute, die bestimmt nicht auf Unix umschwenken würden, wenn sie nicht vom geschäftspolitischen Standpunkt her absolut überzeugt von diesem System waren.

Die Hardware-Fachleute mögen Unix, weil es ihnen genug Freiheit für ihre architektonischen Vorstellungen läßt. Die unabhängigen Software-Anbieter schwören auf dieses Produkt, weil es ihre Marktchancen verbessert und ihnen die Entscheidung abnimmt, auf welche Zielgruppe sie ihre Erzeugnisse ausrichten sollen. Die Endverbraucher schließlich favorisieren Unix aus denselben Gründen: Sie wollen nicht für immer an einen bestimmten Anbieter gebunden sein.

- Wenn sich die Gerüchte bewahrheiten daß IBM eine eigene Unix-Version auf den Markt bringt - was bedeutet das für die gegenwärtige Führungsrolle von AT&T?

Wir warten mit Spannung darauf, daß IBM und andere Hersteller sich unserem Standard anschließen werden. Wir glauben, daß ein solcher Schritt für die gesamte Industrie gut wäre. Der Großteil der industriellen Infrastruktur, nämlich die Wiederverkäufer, teilt diese Ansicht. Unix ist jetzt schon seit langer Zeit unser Produkt, und ich glaube, daß die Industrie bisher gut damit gefahren ist, unseren Standard zu adaptieren.

Wenn IBM einen anderen Weg einschlägt, wird die Entwicklung sehr ungünstig verlaufen, weil es bei der Industrie zu einem Diversifikationseffekt kommen wird.

- Warum haben Sie gerade Digital Research als Partner für die Entwicklung der Unix-System-V-Anwendungsbibliothek gewählt?

Digital Research ist einer der größten Software-Anbieter und verfügt über Vertriebskanäle, die sehr wertvoll für uns sein könnten. Außerdem möchte sich unser Partner vom Betriebssystem-Geschäft mehr auf den Bereich Applikationen verlegen und wird auch im Unix-Fahrwasser mitschwimmen.

- Sind bei AT&T ähnliche Abkommen mit anderen Softwareherstellern abzusehen?

An den Vereinbarungen mit Digital Research gibt es nichts, was Exklusivität bedeuten würde. Wir planen, ähnliche Verträge mit anderen Partnern einzugehen, wenn sie unseren Geschäftsinteressen entsprechen.