Thema der Woche

Arcor-Kunden fürchten miesen Service mehr als Vodafone

04.02.2000
Ein Schreckgespenst geht in der deutschen TK-Szene um. Gelingt Vodafone-Mobilfunker Chris Gent die Mannesmann-Übernahme, so verlieren die deutschen Anwender eventuell mit Arcor den wichtigsten Telekom-Konkurrenten im Festnetz. Entsprechend interessiert verfolgen TK-Verantwortliche in deutschen Unternehmen die Übernahmeschlacht.

Geht es nach Vodafone-Chef Chris Gent, muss sich ein Teil der CW-Leser demnächst möglicherweise einen neuen TK-Partner suchen. Sollte dem britischen Mobilfunker nämlich die geplante Übernahme des Mannesmann-Konzerns gelingen, droht den TK-Töchtern Mannesmann Arcor und Otelo das Aus. Gent macht keinen Hehl daraus, dass für ihn Investitionen in ein Festnetz reine Geldverschwendung sind. Seinem Credo zufolge gehören alleine dem Mobilfunk sowie dem drahtlosen Internet die Zukunft.

Eine Strategie, die in Deutschland etlichen TK-Verantwortlichen Kopfzerbrechen bereiten dürfte. Mannesmann Arcor zählt seit dem Start in den liberalisierten TK-Markt zu den bevorzugten Preselection-Partnern und ist der wichtigste bundesweite Telekom-Konkurrent. Mit rund 6,4 Milliarden verkauften Telefonminuten führte Arcor 1999 die Hitliste der Telekom-Herausforderer an. Zudem war das Unternehmen eines der wenigen, das der Telekom von Anfang an mit einer eigenen Infrastruktur Paroli bieten konnte. Durch die Übernahme des Bahnnetzes verfügten die Eschborner beim Start in den liberalisierten TK-Markt schon über ein rund 40000 Kilometer umfassendes Netz aus Kupferkabeln und Glasfasern. Gleichzeitig sind die Eschborner einer der wenigen Anbieter, die ihren Kunden bereits in zehn deutschen Metropolen eigene ISDN-Anschlüsse offerieren. Außerdem gibt es nicht viele andere Player, die wie Arcor im entstehenden Geschäft mit xDSL (schneller Internet-Zugang über herkömmliche Kupferleitungen) demnächst der Telekom mit einem eigenständigen Produkt Konkurrenz machen.

Entsprechend sieht Elmar Bille, Senior Consultant bei der HMP Teleconsult, in Mannesmann Arcor einen der wenigen Akteure, die die Power haben, bei der rasanten technischen TK-Entwicklung mit der Telekom Schritt zu halten. Trotz dieser Pluspunkte für Arcor, so Bille, "kann ich mir vorstellen, dass die deutsche TK-Szene im Zuge der Mannesmann-Übernahme einen guten Wettbewerber im Festnetzbereich verliert". Dabei sind für den Berater zwei Szenarien vorstellbar: Zum einen wird die Gruppe ArcorOtelo zerschlagen, zum anderen könnte sie von einer anderen TK-Gesellschaft gekauft werden. Das entsprechende Kapital und Potenzial haben laut Bille in Deutschland vor allem zwei Companies: Colt und Mobilcom.

Andere Stimmen vermuten dagegen, dass Vodafone-Chef Gent angesichts der positiven Zukunftsaussichten der Mannesmann-Festnetztöchter eventuell doch noch schwach wird und von einem Verkauf absieht. Schließlich hatte Arcor-Boss Harald Stöber erst kürzlich für die Gruppe einen Jahresumsatz von zwei Milliarden Euro versprochen. Einen solchen Gesinnungswandel seitens Gents kann sich auch Berater Bille vorstellen. Er gibt aber zugleich zu bedenken: "Unter der Vodafone-Führung wird das Geschäft leiden, da die Briten als Mobilfunker keinen großen Sinn für das Festnetz haben." Zumal Arcor, trotz seiner Position als Nummer zwei im deutschen TK-Markt, zu fortlaufenden Investitionen gezwungen ist. Kunden würden nämlich, so weiß der Berater aus seinem täglichen Kontakt mit Anwendern, bei Ausschreibungen verstärkt IP-Dienste sowie internationale Datenservices nachfragen, wie sie im Zuge der wirtschaftlichen Einigung Europas immer wichtiger würden. Und hier sieht Consultant Bille bei Arcor Nachholbedarf, denn bei europaweiten, grenzüberschreitenden Projekten spielten die Eschborner praktisch keine Rolle: "Da fallen immer die folgenden drei Namen: MCI/Worldcom, Viag Interkom und Global One."

Während Bille und Co. über die Auswirkungen einer erfolgreichen Mannesmann-Übernahme durch Vodafone auf den deutschen Festnetzmarkt diskutieren, gibt sich das Arcor-Management gelassen. So will man in der Eschborner Zentrale bislang keine Verunsicherung bei den Kunden festgestellt haben. Entspannt sieht auch eine große deutsche Versicherung, die namentlich nicht genannt werden will, der Entwicklung entgegen. "Arcor kann uns schon aus rechtlichen Gründen nicht einfach die Leitungen kappen, nur weil Vodafone sich vielleicht entschließt, das Festnetz nicht zu betreiben", argumentiert der verantwortliche Bereichsleiter. In das gleiche Horn stößt Manfred Herresthal, Mitglied des Vorstands beim Deutschen Verband für Post und Telekommunikation: "Ein Käufer übernimmt automatisch mit einem Unternehmen alle Rechte und Pflichten aus bestehenden Verträgen."

Unabhängig von der rechtlichen Situation will die Versicherung, falls sich eine Übernahme abzeichnet, auf jeden Fall alternative Angebote einholen. Grund zur Sorge bestehe angesichts der Vielzahl der am Markt existierenden Provider aber nicht. Ein Standpunkt, dem Verbandsvertreter Herresthal beipflichtet: "Es gibt genug Anbieter, die neue Kunden mit Kusshand aufnehmen."

Ruhe ist auch das erste Gebot bei der Münchner IT-Management- und Beratungsgesellschaft Nigeons GmbH, die etwa im Gewerbepark Martinsried aufstrebende Hightech-Unternehmen mit Kommunikationslösungen versorgt. In Anspielung auf die ersten Anzeigenmotive in der Mannesmann-Vodafone-Übernahmeschlacht will Manager Guizetti erst einmal warten, "bis das Baby gewickelt ist". Sollte Vodafone-Chef Gent aber den Festnetzbereich abstoßen und an seiner Mobilfunkstrategie festhalten, kann sich der TK-Verantwortliche durchaus vorstellen, den Carrier zu wechseln. Für den Otelo-Business-Kunden der ersten Stunde sprechen gegen den Mobilfunk nicht nur ungeklärte Fragen wie die verfügbare Bandbreite, sondern auch die Fürsorgepflicht der Arbeitgeber.

Gerade hierzulande sieht er in der wachsenden Diskussion über mögliche Gesundheitsrisiken durch den Mobilfunk und andere elektrische Strahlenquellen ein Problem auf die Anbieter reiner Mobilfunklösungen zukommen. Skeptisch steht auch Herresthal einer reinen Mobilfunkstrategie gegenüber: "Die Übernahme von Mannesmann durch Vodafone ist für Mannesmann-Aktionäre nicht unbedingt ratsam, weil aus unserer Sicht die Kombination von Mobilfunk und Festnetz wesentlich sinnvoller ist."

Angesichts solcher Äußerungen könnte Arcor, ungeachtet des Übernahmekampfes, weiter Business as usual betreiben, wie es in der Zentrale heißt, wäre da nicht noch ein anderes Problem: Die Geschäftskunden sind mit der Serviceleistung des TK-Anbieters unzufrieden.

So geht etwa Jürgen Pawlik, Leiter von Verwaltung und Einkauf bei der Honda Deutschland GmbH in Offenbach, hart mit seinem Ex-Provider Mannesmann ins Gericht: "Honda duldet die Geschäftspraktiken von Mannesmann nicht mehr."

Erste schlechte Erfahrungen hatte der Hersteller laut Pawlik mit Mannesmann als Mobilfunkkunde gemacht: "Erst wurden wir mit Lockangeboten geködert, und dann hieß es, diese Zusagen hätte der Mannesmann-Mitarbeiter gar nicht machen und den Vertrag nicht unterschreiben dürfen." Dies und die schlechten Erfahrungen in Sachen Service führten dazu, dass Honda nach einem Jahr wieder zur Telekom-Tochter T-Mobil wechselte.

Ähnliches erlebte Pawlik wieder, als Mannesmann Arcor den Konkurrenten Otelo übernahm "und uns nicht die alten Konditionen einräumen wollte". Das Fass zum Überlaufen brachte dann der fehlende Support und Service, nachdem die Otelo-Mitarbeiter, die Honda betreuten, im Zuge der Übernahme das Unternehmen verließen. Dieses Phänomen der Fahnenflucht kommt seiner Ansicht nach bei Akquisitionen öfter vor und könnte auch im Fall einer Übernahme von Mannesmann durch Vodafone auftreten. Insgesamt fasst Pawlik, der heute zufriedener Kunde von Star Telecom und D1 ist, das Geschäftsgebaren von Mannesmann wenig schmeichelnd zusammen: "Nach dem Motto ,Friss oder stirb'' stellen die den Anwender vor vollendete Tatsachen."

Auch bei den deutschen Kirchen (Evangelische Kirche in Deutschland [EKD], Kirchenamt, Diakonisches Werk, Caritasverband und Katholische Kirche), die 1997 der Öffentlichkeit als Otelo-Vorzeigekunden präsentiert wurden, sorgte die Servicequalität nicht gerade für Begeisterungsstürme. Ende letzten Jahres, so erzählt Wolfgang Teske, Finanzdirektor beim Diakonischen Werk der EKD in Stuttgart, wäre es aufgrund der andauernden Probleme fast zu einer Kündigung des Rahmenvertrages mit Arcor gekommen. Die Eschborner sind nämlich seit dem Kauf von Otelo Teskes neuer Ansprechpartner, da sie die Verpflichtungen aus dem Kontrakt übernahmen.

Die Kirchen haben Arcor allerdings, so Teske, keine Nibelungentreue geschworen: "Wir evaluieren fortlaufend unser Verhältnis zum TK-Partner und haben im Rahmenvertag Anpassungsklauseln für die Tarife vereinbart." Sollte sich ein günstigerer Partner finden und Arcor nicht nachbessern, ist für die Kirchen ein Wechsel durchaus vorstellbar. Allerdings schränkt der Finanzdirektor ein: "Wir wechseln nicht zu jedem billigen Jakob, wenn er nicht entsprechende Qualität erbringt." Eine Maxime, der einige kirchliche Krankenhäuser bereits Konsequenzen folgen ließen. Nachdem Arcor-Otelo das Problem mit der Weitervermittlung des Zählimpulses, der für eine Einzelplatzabrechnung erforderlich ist, nicht in den Griff bekam, wechselten sie den Anbieter.

Mittelstand beklagt schlechten Arcor-Support

Angesprochen auf die eventuelle Übernahme von Mannesmann durch Vodafone sieht Teske kein grundsätzliches Problem, empfiehlt aber, zu prüfen, ob die Philosophie des neuen Partners sich noch mit dem eigenen Anforderungsprofil deckt. Wenn etwa im Zuge einer Akquisition die Mutter des TK-Partners ein Rüstungskonzern würde oder Arbeitsplätze aufs Spiel setzte, hätten die Kirchen Probleme, da man die Geschäftspartner auch an ethischen Maßstäben messe.

Die negativen Erfahrungen der befragten Anwender teilt Consultant Bille: "Unsere Kunden berichten immer wieder von Problemen bei der Rechnungsstellung, fehlerhaften Einzelverbindungsnachweisen, schleppenden Tarifanpassungen und schlechten Serviceleistungen." Entsprechend groß sei vor allem im Mittelstand die Fluktuation unter den Arcor-Kunden. Ein anderes Bild zeichnet sich dagegen bei den Großkunden ab: "Diese werden von Arcor gepflegt und gehegt." Deshalb empfiehlt der Berater den Anwendern abschließend, eine Anschaltung bei Arcor weniger aus strategischen Gründen als vielmehr unter ganz profanen Gesichtspunkten zu überdenken. Jürgen Hill und Peter Gruber

Historie von Mannesmann Arcor

Januar 1994: Aus der Deutschen Gesellschaft für Netzwerkdienste mbH, Eschborn, geht die CNI Communications Network International GmbH hervor. An dieser ist Mannesmann mit zunächst 50 Prozent beteiligt.

Juli 1995: Die Deutsche Bahn AG beschließt, die Telekommunikationsaktivitäten in die DB Kom Gesellschaft für Telekommunikation mbH & Co. KG auszugliedern. Der Beschluss wird planmäßig zum 1. Januar 1996 vollzogen.

Juli 1996: Das Mannesmann-Konsortium erhält den Zuschlag für den Erwerb von 49,8 Prozent der Anteile an der DB Kom.

Oktober 1996: Die Europäische Kommission erteilt ihre Zustimmung zum Einstieg des Mannesmann-Konsortiums bei der DB Kom und die Verschmelzung mit CNI.

Januar 1997: Die Partner präsentieren der Öffentlichkeit ihre fusionierten TK-Aktivitäten als neues Gemeinschaftsunternehmen Mannesmann Arcor AG & Co.

Januar 1998: Mit der Liberalisierung des TK-Marktes adressiert Mannesmann Arcor auch den Privatkundenmarkt.

Juli 1998: Das Mannesmann-Konsortium erwirbt von der Deutschen Bahn AG vorzeitig 25,1 Prozent der Anteile an Mannesmann Arcor. Eine entsprechende Kaufoption war bereits bei der Verschmelzung vereinbart worden. Damit ist das Mannesmann Konsortium mit 82 Prozent und die Deutsche Bahn mit 18 Prozent an dem TK-Unternehmen beteiligt. Dem Mannesmann Konsortium gehören wiederum nach Darstellung von Arcor drei Partner an: Die Mannesmann AG (85,5 Prozent), Deutsche Bank (zehn Prozent) sowie Airtouch mit 4,5 Prozent.

April 1999: Mannesmann Arcor übernimmt das Festnetzgeschäft und den Markennamen von Otelo. Dabei soll sich Arcor künftig verstärkt den Business-Kunden widmen, während Otelo das Privatkundensegment adressiert. Gleichzeitig erwirbt Arcor die hundertprozentige Otelo-Tochter Germanynet, einen Online-Dienst mit über 600000 Internet-Nutzern, so lauten zumindest die Arcor-Angaben.

November 1999: Vodafone-Chef Chris Gent überrascht die Öffentlichkeit mit dem Versuch einer feindlichen Übernahme des Mannesmann-Konzerns. Nachdem der britische Mobilfunker wiederholt sein Desinteresse am Festnetzgeschäft öffentlich betont hat, beginnt das Rätselraten um die Zukunft von Arcor und Otelo.