Arbeitszeugnis: Wie Bewertung funktioniert

10.09.2002
Von 
Alexandra Mesmer war bis Juli 2021 Redakteurin der Computerwoche, danach wechselte sie zu dem IT-Dienstleister MaibornWolff, wo sie derzeit als Head of Communications arbeitet.
Es ist ein offenes Geheimnis: Wenn Mitarbeiter das Unternehmen verlassen, sollen sie oft ihr Arbeitszeugnis selbst schreiben oder ihrem Vorgesetzten einen entsprechenden Vorschlag liefern. Wer seine Leistung ins rechte Licht rücken will, muss viele Regeln beachten.

Ein qualifiziertes Arbeitszeugnis zu schreiben kostet Zeit. Es gilt, sich zuerst über die Leistungen des scheidenden Mitarbeiters bei Kollegen und Vorgesetzten zu informieren und die Bewertung dann so zu formulieren, dass sie den gesetzlichen Vorgaben - jedes Zeugnis muss wahr und wohlwollend sein - entspricht. Gleichzeitig soll das Zeugnis der Individualität des Einzelnen gerecht werden. Diesen hohen Anspruch können heute viele Personalverantwortliche nicht mehr erfülllen, weil ihnen dafür die Zeit fehlt.

Individualität geht verloren

Die Folge: Entweder greifen die Personaler auf mehr oder minder passende Zeugnisse von bereits ausgeschiedenen Mitarbeitern zurück, aus denen sie eine neue Variante zusammenmixen, oder sie benutzen eine Software, die nach Eingabe von Schulnoten für bestimmte Kategorien die standardisierten Textbausteine ausspuckt. "Es besteht durchaus die Gefahr, dass Arbeitszeugnisse wie Bewerbungen auch austauschbarer werden, wenn sich alle nur an die Standardformulierungen halten und jede Individualität verloren geht", sagt Dirk Kempa, Consultant der Paola Klinger Personalberatung, Hannover.

Oft wird aber auch der Mitarbeiter aufgefordert, sich selbst sein Arbeitszeugnis zu schreiben: "Wir hören das immer wieder von Klienten", bestätigt Karriereberater Thomas Küpper, der unter www.karrierekick.de bei individuellen Karrierefragen hilft, so auch beim Erstellen von Arbeitszeugnissen. Allerdings ist es gar nicht so leicht, die eigene Leistung und das Sozialverhalten zu bewerten. Mittlerweile beschäftigen sich darum zahlreiche Ratgeber mit dem komplexen Thema und zeigen anhand von Beispielen, welche Bewertungen sich hinter den Formulierungen verstecken. Doch genügt es nicht zu wissen, dass ein Satz wie "Er/sie erledigte alle Aufgaben pflichtbewusst" auf die mangelnde Initiative des Mitarbeiters schließen lässt.

Zunächst sollte jedes qualifizierte Arbeitszeugnis Angaben zur Person, Tätigkeitsbezeichnung und Dauer der Beschäftigung enthalten. Die Aufgaben des Mitarbeiters werden beschrieben, um daraufhin seine Leistung beurteilen zu können. Schließlich wird auch sein Sozialverhalten gegenüber Vorgesetzten, Kollegen und bei Vertriebsmitarbeitern sowie gegenüber Kunden bewertet. Am Ende sollte der Vorgesetzte nicht nur das Ausscheiden des Mitarbeiters begründen, sondern entsprechend bedauern und mit Zukunfts- und Erfolgswünschen enden. "Es ist entscheidend, dass alle diese Elemente vorhanden sind", betont Karriereberater Küpper. "Ich habe schon Zeugnisse gesehen, die lasen sich bis zum Schluss hervorragend, aber dann fand sich keine Zeile des Bedauerns, was die ganzen vorherigen Aussagen in einem anderen Licht erscheinen lässt. Die fehlenden Zeilen sagen alles."

Auch Personalberater Kempa bestätigt, dass die Technik des Weglassens oft eine subtilere Bewertungsmethode darstellt als die so genannten Geheimcodes, die mittlerweile gar nicht mehr geheim sind, da sie jeder Interessierte in diversen Zeugnisratgebern nachlesen kann: "Wenn das Selbstverständliche besonders betont wird, Aufgaben, die nur entfernt mit der Tätigkeit zu tun haben, in den Mittelpunkt gerückt oder essentielle Aufgaben einfach nicht erwähnt werden, sind das auch Wege, jemanden negativ zu beurteilen." Wird etwa nur auf die Freundlichkeit und Pünktlichkeit eines Managers eingegangen, ohne wichtige Führungsfähigkeiten wie etwa Delegation von Aufgaben oder Motivation von Mitarbeitern zu berücksichtigen, ist die Bewertung eindeutig negativ.

Das Arbeitszeugnis einer Führungskraft sollte in jedem Fall auf die spezielle Qualifikation, die Personal- und Budgetverantwortung und vor allem auf die Erfolge des Betreffenden eingehen. Um die Bewertung individueller zu gestalten, kann auch versucht werden, den Charakter der Person zu beschreiben. "Es ist auch üblich, dass Führungskräfte statt eines Zeugnisses Referenzen (Aufsichtsrat, Kunden etc.) angeben, die auf Nachfrage die Leistung des Managers bescheinigen", erklärt Küpper. In Zeugnissen für IT-Spezialisten kommt es darauf an, die Aufgaben entsprechend zu beschreiben. Dazu Küpper: "Der SAP-Spezialist sollte auch erwähnen, mit welchen Modulen er gearbeitet hat. Der Softwareentwickler soll auch auf Tools und Entwicklungsumgebungen eingehen."

Allerdings sollten in einem zweiseitigen Zeugnis - so die Standardlänge - die Beschreibung der Qualifikationen und Aufgaben höchstens eine Seite einnehmen. Personalberater Kempa gibt noch folgenden Tipp: "Leider hält sich immer noch das Vorurteil, dass Softwareentwickler nicht über eine hohe soziale Kompetenz verfügen. Darum sollten gerade sie darauf achten, dass ihre sozialen Fähigkeiten im Zeugnis entprechend gewürdigt werden."