Arbeitsplatznaher DV-Einsatz in der öffentlichen Verwaltung

30.09.1977

Dr. Klaus Lenk, Professor für Verwaltungswissenschaft, Universität Oldenburg, und Mitglied der Planungsgruppe "DV-gestützte Büro- und Verwaltungssysteme" der GMD, Bonn

Nach wie vor dominiert bei der DV-Unterstützung von Tätigkeiten der öffentlichen Verwaltung die Großrechner-Technologie. Gewiß finden sich, vor allem im kommunalen Bereich, schon Ansätze zu einem arbeitsplatznahen Einsatz der DV. Das geringere Innovationstempo, das deutlichere Verharren des öffentlichen Sektors bei schwerfälligeren Formen der DV-Unterstützung kommt jedoch nicht von ungefähr.

Die auffällige Forcierung des DV-Einsatzes im öffentlichen Bereich, vor allem gegen Ende der 60er Jahre, läßt sich nur zum Teil aus Wirtschaftlichkeitsüberlegungen oder dem Verkaufsdruck der Hersteller erklären. Mindestens ebenso bedeutsam waren vielfach Wunschträume von Politikern, auf dem Weg über integrierte Informationsysteme politische Planung und Vorausschau zu verbessern und den Verwaltungsapparat präzis steuern zu können.

Aber nicht nur für Politiker sondern auch für das Verwaltungsmanagement ergaben sich verlockende Perspektiven. Wenigstens in Teilbereichen ließ die Automation auf den Fortfall der lästigen Aufgabe hoffen sich über korrekte und zeitgerechte Arbeitsbewältigung durch mehr oder weniger gut motivierte Mitarbeiter Gedanken zu machen: Die Maschine als Befehlsempfänger sollte, der am Obrigkeitsstaat nagenden Motivationskrise zum Trotz, den alten Traum der perfekten Hierarchie doch noch Realität werden lassen, wie er sich in Max Webers Idealtypus der legalen (bürokratischen) Herrschaft darstellt.

Mit der Perspektive einer arbeitsplatznahen DV-Unterstützung von Verwaltungsprozessen entfällt die Legitimation der bisherigen Automationspolitik der öffentlichen Verwaltung, soweit diese auf den Möglichkeiten, den (angeblichen oder wirklichen) Sachzwängen sowie dem Prestige der DV-Technologie beruhte. Eine durchgreifende Umorientierung dieser Automationspolitik ist dennoch nicht in Sicht. Nachdem Kostenverfall und Miniaturisierung der Hardware und (in Ansätzen) eine bessere Beherrschung softwaretechnischer Probleme die DV von ihrem Podest zu holen begannen, zeigt sich, daß im öffentlichen Bereich nur zögernd von den neuen Möglichkeiten Gebrauch gemacht wird. Allzu selten noch wird gesehen, daß die arbeitsplatznahe DV äußerst flexibel eingesetzt werden und sich an arbeitsorganisatorische Zielvorstellungen anpassen kann, anstatt ihrerseits eine bestimmte Arbeitsorganisation zu erzwingen. Gegenüber dem immer noch vorherrschenden Gebrauch von DV-Anlagen als komfortable Schreib- und Rechenmaschinen kann der arbeitsplatznahe Einsatz von DV zu qualitäts- statt kostenorientierter Rationalisierung führen. Untersuchungen des Forschungsprojekts Verwaltungsautomation an der Gesamthochschule Kassel haben gezeigt daß viele Zweige der öffentlichen Verwaltung noch Spielraum dafür bieten, die Qualität von Verwaltungsleistungen und die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter ohne Produktivitätseinbuße zu verbessern. Ein heute schon möglicher alternativer Einsatz der Technik könnte darin bestehen, den Sachbearbeiter aus den durch die bisherigen Automationsanstrengungen geschaffenen ablauforganisatorischen Zwängen zu entlassen und ihm Dispositionstätigkeiten (beispielsweise Terminüberwachung) abzunehmen, Rechen- und Schreibkapazität, Zugriff zu Daten, Verwaltungsvorgängen, Rechts- und Verwaltungsvorschriften, Prüfroutinen und Formen der Bearbeiterführung sowie Kommunikationsmöglichkeiten zu Kollegen oder Antragstellern unmittelbar am Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen.

Als ein wesentliches Hindernis erscheint hier die gegenwärtige Organisation der Datenverarbeitung in der öffentlichen Verwaltung. Realisierungsfähige Zielvorstellungen können nur entwickelt werden, wenn alternative Möglichkeiten des DV-Einsatzes und der organisatorischen Gestaltung bekannt sind. Das Wissen um solche Möglichkeiten ist aber in der Verwaltung außerhalb der Rechenzentren institutionell unterentwickelt. Die Rechenzentren verstehen sich weniger als Berater der Fachverwaltungen denn als zentrale Verarbeitungsstellen, die argwöhnisch auf die Erhaltung ihrer Kompetenzen nicht nur in der Systementwicklung und Programmierung, sondern auch im eigentlichen Verarbeitungsbereich bedacht sind.

Eine Reihe weiterer Restriktionen tritt hinzu. Die Implementierung neuer, arbeitsplatznaher DV-Systeme im öffentlichen Bereich hat mit Hindernissen zu rechnen, die vielfach rechtlicher, finanzieller und haushaltstechnischer Natur sind, insgesamt aber aus organisations- und verhaltensspezifischen Bedingungen des öffentlichen Bereichs folgen. Die Neugestaltung von Arbeitssituationen oder die qualitative Verbesserung der Verwaltungsleistung setzt in vielen Fällen deren Überwindung voraus; diese ist mit mehr oder weniger hohen politischen Kosten verbunden und oftmals praktisch unmöglich. Hier soll nicht weiter auf jene durchaus sinnvollen Restriktionen organisatorischer Umgestaltung im öffentlichen Bereich eingegangen werden, die sich aus Erfordernissen der Rechtsstaatlichkeit und der Kontrollierbarkeit des Verwaltungshandelns oder daraus ergeben, daß öffentlichen Organisationen ihre Aufgaben politisch vorgegeben sind, Sie nicht einfach das Produktionsprogramm wechseln können. Vielmehr geht es um organisationsrechtliche, verfahrensrechtliche und dienstrechliche Restriktionen, aber auch um die gegenwärtigen Praktiken der Haushaltsaufstellung, des Haushaltsvollzugs sowie der Kosten- und Wirtschaftlichkeitsrechnung. Nur eine dieser Restriktionen sei hier beispielhaft genannt.

Gerade bei der Ausstattung einzelner Arbeitsplätze mit hochwertiger Informationstechnologie liegt ein wesentliches Hemmnis in der traditionellen Sachkostensparsamkeit der öffentlichen Verwaltung, die zwar politisch im Einzelfall außer Kraft gesetzt werden kann (etwa bei der technischen Ausrüstung des Bundeskriminalamts), durch den Einsatz der öffentlichen Haushalte zu konjunkturpolitischen Zwecken aber immer wieder verstärkt wird. Gespart werden kann nur an den Sachkosten, kaum aber an den Personalkosten; umgekehrt stehen bei Haushaltsausweitungen allein Bauinvestitionen im Mittelpunkt des wirtschaftspolitischen Interesses.

Weder von einem verstärkten Kostendruck auf die öffentliche Verwaltung noch von einer Lockerung der finanziellen Zügel läßt sich die kurzfristige Überwindung solcher und ähnlicher Innovationshemmnise erwarten. Erfolgversprechender wäre der Versuch, Konkurrenzverhältnisse im öffentlichen Sektor zu schaffen. Die Vorstellung des Außenseiters, der Innovationsprozesse ins Rollen bringt, ist durchaus auf den öffentlichen Bereich übertragbar.