Arbeitsplatznaher DV-Einsatz im Bereich der öffentlichen Verwaltung:Der Sachbearbeiter als Herr des Verfahrens

23.06.1978

Die Dokumentation und die Bereitstellung von Vorschriften für die Verwaltungshandlung bergen die größten Probleme für die Arbeit in den Amtsstuben. Hier plädiert Professor Dr. Klaus Lenk (Lehrstuhl für Verwaltungswirtschaft an der Universität Oldenburg), daß die Automatisation "ungeahnte Auswirkungen auf die Qualität der Sachbearbeiter-Entscheidung" haben kann. Hier der Teil zwei des Lenk-Vortrags vor dem Siemens-Seminar für Führungskräfte der Landes- und Kommunalbehörden.

Die neuen Möglichkeiten erschließen sich, wenn man von den typischen Arbeitssituationen, Mitteln und Ergebnissen der Sachbearbeitung ausgeht. Diese können wie folgt gekennzeichnet werden.

1. Informationsbereitstellung und Dokumentation beziehen sich auf Informationen über die Umwelt und die eigenen Ressourcen einer Verwaltung. Soweit diese nicht ad hoc ermittelt werden, stehen sie in Datenspeichern oder in Akten, Vorgängen, schon zur Verfügung. Hierzu kommen die Handlungsanweisungen an den Sachbearbeiter, die sich als Rechtsnormen, Verwaltungsvorschriften, Geschäftsanweisungen usw. darstellen und Programme für die menschliche Entscheidungstätigkeit sind. Zur Datenspeicherung braucht hier nichts ausgeführt zu werden. Problematischer ist die Speicherung und vor allem die maschinelle Dokumentation und Bereitstellung von Vorgängen, jedenfalls solange diese hauptsächlich durch Zusammenführung von beschriebenem oder bedrucktem Papier entstehen. - Dokumentation und Bereitstellung von Vorschriften wirft im wesentlichen alle die Probleme auf, die unter dem Stichwort "Juristisches Informationssystem" diskutiert werden; hier sei nur die Frage hinzugefügt, warum nicht das, was dem Steuerberater recht ist, dem Sachbearbeiter im Finanzamt billig ist. Der automatisierte Hauskommentar, die Vervollständigung der in der Schublade vom Sachbearbeiter gesammelten Verfügungen könnten ungeahnte Auswirkungen auf die Qualität seiner Entscheidungen haben.

Es ist im übrigen eine Frage der Zweckmäßigkeit, ob derartige juristische Informationssysteme im kleinen zentral zum Abruf bereitgehalten werden oder unmittelbar am Arbeitsplatz (vielleicht auch auf Mikrofilm) gespeichert werden. In der Regel bedarf die Informationsbereitstellung eines Bildschirms. Dabei ist sicherzustellen, daß gleichzeitige Bildschirmbenutzung auch für die Fallbearbeitung (Entscheidungshilfe) möglich ist. Es ist eine Frage der Arbeitsplatzgestaltung, ob ein geteilter Bildschirm oder zwei getrennte Bildschirme vorzusehen sind.

2. Kommunikation mit Kunden, Kollegen und Vorgesetzten sowie anderen Behörden in Sprache und Schrift hat unterschiedliche Ziele. Sie kann der Ermittlung von Information dienen, die nicht bereits irgendwo auf Informationsträgern vorhanden ist. Sie kann ferner der Auskunft und Beratung dienen. Sie kann Kontroll- und Berichtszwecke haben. Ferner kann sie kollektive Entscheidungsfindung ermöglichen, was bei der Sachbedeutung in der Regel nur bei schwierigen Fällen von Bedeutung ist. Schließlich ergeben sich Bedürfnisse nach informaler, nicht arbeitsbezogener Kommunikation. Was im einzelnen aus der inzwischen vorhandenen oder doch schon beschriebenen reichhaltigen Palette angemessen ist, soll hier und jetzt nicht weiter verfolgt werden.

3. Bei der Entscheidungshilfe ist zentral, daß Arbeitsvorgänge ohne Unterbrechung (evtl. im Beisein des Kunden) ausgeführt werden können. Je nach der Erfahrung des Sachbearbeiters wird eine mehr oder weniger detaillierte Bearbeiterführung durch Bildschirmvorgaben abgerufen werden können. Prüfroutinen und Plausibilltätskontrollen werden unmittelbar bei der Eingabe und Speicherung von Daten des Sachverhalts ausgelöst. Die Verarbeitung (Rentenberechnung, Einkommenssteuerveranlagung usw.) erfolgt sofort. Mit der Rückverlagerung der maschinellen Ausführung und Prüfung von Entscheidungsschritten an den Arbeitsplatz kann erreicht werden, daß der Sachbearbeiter Vorgänge abschließend bearbeiten kann und dabei immer Herr des Verfahrens bleibt, auch wenn Teilschritte in der DV-Anlage ablaufen.

Die hier benötigten, größtenteils sehr umfangreichen Programme, stellen Anforderungen an die Speicherkapazität und müssen bei Änderung der Tätigkeit leicht auswechselbar sein (Abruf aus zentralem Programmspeicher oder Hardware-Einschub).

4. Die Ausgabe der maschinell erstellten Bescheide braucht nicht unbedingt am Arbeitsplatz des Sachbearbeiters stattzufinden, wenn die Bescheide an die Kunden versandt werden und der Sachbearbeiter das Ergebnis seiner Tätigkeit auch auf dem Bildschirm abrufen kann. Verbesserungen gegenüber der jetzigen Form der Bescheiderstellung wären durch Zurücknahme der übergroßen Standardisierung von Textbausteinen denkbar. Der Sachbearbeiter muß weitgehend die Möglichkeit haben, das Ergebnis seiner Tätigkeit in differenzierter Weise, auch abgestellt auf die Eigenart und Auffassungsgabe des Kunden, mitzuteilen. Er muß selbstformulierte Sätze über seine Tastatur so mühelos in den Bescheid hineinschreiben können, daß er diese Möglichkeit auch tatsächlich wahrnimmt.

5. Durch die DV-Unterstützung fallen eine Reihe von Abfallprodukten zur Sachbearbeitung an: Listenführung, Statistiken, Kontrolle über Arbeitsleistung und Arbeitsergebnis. Schon bei der Systementwicklung sind die Zielvorgaben hier sehr genau zu formulieren; vor allem ist zu prüfen, inwieweit die Möglichkeit zur zentralen Kontrolle von Arbeitsleistung, Arbeitszeit und Arbeitsrhythmus beschränkt werden müssen; dies nicht nur aus Gesichtspunkten des Datenschutzes, sondern auch wegen des berechtigten und vermutlich stärker werdenden Widerstands der Mitarbeiter und der Gewerkschaften.

Leitgedanke der künftigen Entwicklung sollte es sein, dem Sachbearbeiter eine umfangreiche und komplexe Informationsverarbeitungs-Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, deren er sich so bedienen kann wie derzeit etwa eines Taschenrechners. Diese Vorstellung müßte nun für die einzelnen Verwaltungszweige und Bereiche der Verwaltungstätigkeit weiter aufgeschlüsselt werden; anderenfalls besteht die Gefahr, daß angesichts der im wesentlichen vermutlich gleichförmigen Hardware-Konfiguration wesentliche Unterschiede in der Sachbearbeitung übersehen werden.

Durchsetzbarkeit und Grenzen

In der bisherigen Erörterung war von arbeitsplatznaher Datenverarbeitung noch recht wenig die Rede. Mit Absicht, denn am Beginn sollten die Ziele stehen. Dann kommen die Mittel. Der besseren Erfüllung einiger dieser Ziele dienen Organisation, Technik und Planung samt ihren Hilfsmitteln bis hin zu der noch anzusprechenden Wirtschaftlichkeitsanalyse. Unter den Mitteln sollte nicht die Technik im Vordergrund stehen, sie hat sich vielmehr in den Dienst der arbeitsorganisatorischen Gestaltung zu stellen. Gerade arbeitsplatznahe DV kann äußerst flexibel eingesetzt werden und sich an arbeitsorganisatorische Zielvorstellungen anpassen, anstatt ihrerseits eine bestimmte Arbeitsorganisation zu erzwingen.

Für Verwirrung in dieser Hierarchie aus Zielen der Verwaltungspolitik, organisatorischen und technischen Mitteln der Gestaltung wird freilich oft genug gesorgt. Gerade die Geschichte der DV ist reich an größtenteils fehlgeschlagenen Versuchen, vage erkannte Bedürfnisse und Ziele kurzschlüssig durch massiven Technikeinsatz zu befriedigen. Es erübrigt sich daher nicht, davor zu warnen, die arbeitsplatznahe DV als bloße Mode zu übernehmen, ohne die sinnvolle Verteilung dezentral und weiterhin zentral zu erledigender Funktionen bewußt zu bestimmen.

Wenn im folgenden von der Durchsetzung arbeitsplatznaher DV die Rede ist, so ist damit auch die Durchsetzung dieser Ziel-Mittel-Hierarchie gemeint. An der Verbreitung von Formen des arbeitsplatznahen DV-Einsatzes ist auch im öffentlichen Bereich auf längere Sicht nicht zu zweifeln. Der volle Nutzen der arbeitsplatznahen DV kann jedoch nur dann zum Tragen kommen, wenn Verwaltungspolitik und ihre Zielsetzungen eine viel engere Verbindung mit organisatorischer Gestaltung und Technikeinsatz und Wirtschaftlichkeitsstreben einerseits, mitarbeiter-, bürger- und politikbezogene Nebenziele des Verwaltungshandelns andererseits zwei getrennten Welten an. Selbst in dem von gewerkschaftlicher Seite geprägten Begriff der qualitätsorientierten Modernisierung reflektiert sich noch die Verzerrung der Prioritäten: Nicht die Modernisierung, Technikeinsatz als Selbstläufer steht im Vordergrund: Besser wäre es, von Qualitätsverbesserung durch Modernisierung zu sprechen und damit deren Mittelcharakter deutlich machen.