Hard- und Softwareanbieter schnappen den Anwendern die Spezialisten weg

Arbeitsmarkt: Comeback für Systemprogrammierer

28.11.1986

MÜNCHEN - Noch herrscht ein Engpaß an Systemprogrammierern bei Anwenderfirmen, und dies, obwohl die Hard- und Softwareanbieter sie bei ihren Kunden längst überflüssig machen wollten. Tatsache ist, daß alle drei Gruppen um diese Fachleute feilschen. Dies hat enorme Gehaltssprünge bei den Systemprogrammierern zur Folge. Sobald sich die Software stabilisiert haben wird, muß der Programmierer Systemmanageraufgaben übernehmen können.

Einen akuten Notstand an Systemprogrammierern - die Hard- und Softwareanbieter gern als DV-Dinosaurier apostrophieren - gibt es derzeit bei der Porsche AG in Stuttgart. Vier von sieben dieser Spezialisten haben gekündigt. Walter Hartmann, Fachreferent für den Zentralbereich und Vertrieb bei Porsche, erläutert das so: "Diese Leute konnten sich bei uns gehaltlich nicht mehr weiterentwickeln."

Das Unternehmen steht jetzt vor der Frage, wie die Situation gemeistert werden kann. Da auf dem Markt kurzfristig niemand zu haben ist, werden Mitarbeiter mit einem Trainee-Programm auf Vordermann gebracht. Dennoch fehlt ein weiterer externer Systemprogrammierer. Hartmann dazu: "Der Markt hier in Stuttgart ist abgegrast. Fachkräfte aus dem norddeutschen Raum konnten wir auch nicht bekommen. Jetzt versuchen wir, in England zu akquirieren."

Auch ein DV-Experte von der Daimler-Benz AG in Stuttgart beklagt die Lage: "Wir suchen ständig Systemprogrammierer. Binnen eines Jahres hat sich der Arbeitsmarkt von einer Nachfrage nach Arbeit hin zu einer Nachfrage nach Bewerbern verändert. Ein Grund mag sein, daß die großen Computerhersteller Siemens, IBM und HP, Nixdorf sehr stark expandiert haben, da der Bedarf im Bereich der Bürokommunikation und fortschreitender Informationstechnologie im administrativen Bereich offensichtlich gestiegen ist. Zudem werben Softwarehäuser Systemprogrammierer mit höheren Gehältern von den Anwendern ab."

Um aus diesem Dilemma herauszukommen, beauftragten einige Industrieunternehmen Headhunter, so Helmut Kreß von der SCS Pesonalberatung. Kreß: "Diese Art der Abwerbung praktizieren fast nur amerikanische Beratungsfirmen. Denn wer sich darauf einläßt, muß mit einer Geldbuße rechnen, da nur Leute aus dem oberen Management, laut der Bundesanstalt für Arbeit, direkt angegangen werden dürfen." Die Anwender benutzen diesen Weg jedoch immer wieder, da er am meisten Erfolg verspricht. Bevorzugt werden Systemprogrammierer, die Erfahrungen mit dem Betriebssystem MVS von IBM haben und sich im Bereich Datenbanken, Teleprocessing und Datenkommunikation auskennen.

Mit Hochschulabgängern ist der Bedarf bei den Anwendern auch nicht zu decken, denn die Studenten wechseln nach ihrem Abschluß in der Regel zu Hard- und Softwarehäusern. Eine andere Möglichkeit der Firmen ist, Anwendungsprogrammierer zu Systemprogrammierern umzuschulen. Allerdings scheitert dieses Vorhaben oft, denn obwohl Systemprogrammierer eine sehr verantwortungsvolle Tätigkeit ausüben,

sind Erfolgserlebnisse relativ gering und werden auch nur selten öffentlich anerkannt.

Ein anderes schwäbisches Industrieunternehmen klagt, daß einige Systemprogrammierer die Situation auf dem Markt ausnutzten. Mitarbeiter, die bislang 65 000 Mark im Jahr verdienen, verlangen von einer neuen Firma 110 000 Mark. Bei Hard- und Softwareanbietern gibt es sogar Spitzengehälter von 130 000 Mark im Jahr.

Die Anwender wollen nun diesem Trend entgegenwirken. Dazu ein Beispiel eines Unternehmens in Süddeutschland: In einem bestimmten Zeitraum werden Leute ausgesucht, die von ihren Eigenschaften her für den Beruf des Systemprogrammierers geeignet sind. Sie besuchen anschließend Kurse und werden einem erfahrenen Mann an die Seite gestellt, der sie in das Aufgabengebiet einarbeitet. Dies ist der gangbarste Weg, zumal die jetzigen Systemprogrammierer durchaus bereit sind, den Nachwuchs auszubilden.

In den selbstherangezogenen jungen Leuten sieht Reinhard Rechtien, Systemprogrammierer bei der Leonberger Bausparkasse, keine Gefahr. Rechtien: "Ich sehe zwar schon, daß der Marktwert, wenn es mehr Leute gibt, mit der Zeit sinken wird. Allerdings ändert sich auch das Berufsbild eines Systemprogrammierers, da voraussichtlich die Software in ein paar Jahren stabiler ist. Dann sind die Systemmanager gefragt. Deshalb sehe ich sehr optimistisch in die Zukunft."