Arbeitnehmer müssen Diskriminierung nachweisen

15.12.2006
Seit August ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in Kraft. Ob dadurch die Diskriminierung am Arbeitsplatz eingeschränkt wird, beantwortet der Münchner Rechtsanwalt Knut Müller, spezialisiert auf Arbeitsrecht, im Interview mit CW-Redakteurin Alexandra Mesmer.

CW: Was hat das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz wirklich gebracht?

MÜLLER: Das neue Gesetz hat Transparenz in das Thema Diskriminierung gebracht. Wir haben die in dem Gesetz behandelten Themen schon lange in unserer Rechtsordnung. Sie sind jetzt neu gestaltet. Viele alte gesetzliche Regelungen sind dadurch abgelöst worden, dies gilt etwa für das Beschäftigtenschutzgesetz oder für die gesetzlichen Regelungen zum Schutze vor der Geschlechterdiskriminierung (Paragraf 611 a, Paragraf 611 b Bürgerliches Gesetzbuch). Im Ergebnis: Nicht viel Neues, aber mehr Transparenz und Sensibilität.

CW: Wie ist diese Transparenz geschaffen worden?

MÜLLER: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) benennt gleich zu Beginn die acht vom Gesetz geregelten Diskriminierungsmerkmale. So sind benachteiligende Handlungen etwa wegen der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung und auch der sexuellen Identität verboten. Von wesentlicher praktischer Bedeutung ist das Diskriminierungsmerkmal "Alter". Die ersten Gerichtsverfahren laufen schon. Es geht darin um Altersgrenzen, wann Mitarbeiter aufhören müssen zu arbeiten. Es ist eine diskriminierende Regelung, wenn ich nur aufgrund meines Alters den Job verliere. Das Gleiche gilt auch, wenn man Menschen aufgrund ihres Alters den Zugang zur Beschäftigung verweigert.

CW: Oft gehen die Unternehmen hier aber subtiler vor, wenn sie etwa in Stellenanzeigen nach einem neuen Mitglied für das "junge, dynamische Team" suchen. Ist eine solche Formulierung schon diskriminierungswürdig?

Knut Müller, Rechtswanwalt für Arbeitsrecht: Das Gesetz bringt nicht viel Neues, schafft aber mehr Transparenz in Sachen Diskriminierung.
Knut Müller, Rechtswanwalt für Arbeitsrecht: Das Gesetz bringt nicht viel Neues, schafft aber mehr Transparenz in Sachen Diskriminierung.

MÜLLER: Hier geht es darum, was für einen Mitarbeiter das Unternehmen sucht. Wenn es einen jungen, dynamischen Mitarbeiter braucht, darf es den selbstverständlich auswählen und einstellen. Umgekehrt gilt: Wer einen Mitarbeiter mit langjähriger Berufserfahrung sucht, darf junge Bewerber ablehnen. Das sind erlaubte Diskriminierungen, weil der Arbeitgeber sein Anforderungsprofil bestimmen darf.

CW: Können IT-Mitarbeiter über 40 Jahre, die aufgrund ihres Alters keine Fortbildung mehr erhalten, dagegen vorgehen?

MÜLLER: Hier hat der Gesetzgeber eine Beschwerdestelle geschaffen. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, diese Stelle einzurichten, bei der sich der sich diskriminiert fühlende Arbeitnehmer beschweren kann. Der Arbeitgeber muss sich mit der Beschwerde befassen und ihr abhelfen, wenn er sie für berechtigt hält. Daneben kann sich der Arbeitnehmer nach wie vor beim Betriebsrat beschweren und Klagen einreichen. Die Darlegungslast ist allerdings sehr hoch: Der Arbeitnehmer muss darlegen, dass er anders als andere Arbeitnehmer behandelt wird. Der Arbeitnehmer muss folglich vortragen und belegen können, dass Fortbildungen in einem Unternehmen ausschließlich an Mitarbeiter vergeben werden, die das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Gelingt dieser Vortrag, muss der Arbeitgeber vielmehr beweisen, dass es sich hierbei um eine "zufällig" unterschiedliche Behandlung handelt. Gelingt dies dem Arbeitgeber nicht, ist die Diskriminierung festzustellen und gegebenenfalls Schadensersatz durch den Arbeitgeber zu leisten und die begehrte Fortbildung zu gewähren.

CW: Müssen die Unternehmen Klagewellen amerikanischen Ausmaßes befürchten?

MÜLLER: Das glaube ich nicht. Das AGG stellt im Grunde genommen keine gesetzliche Neuregelung dar, sondern wiederholt viele bekannte Regeln. Da wird sich auch in der Prozesssituation wenig verändern. Wir sehen bis heute kaum Klagebewegungen.

CW: Viele Unternehmen holen sich ja juristischen Rat in Sachen Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz. Welche der gesetzlichen Regelungen sorgen aus ihrer Erfahrung für die größte Verunsicherung in den Unternehmen?

MÜLLER: Das gesetzliche Regelwerk insgesamt sorgt für Verunsicherung, da unklar ist, ob das AGG den europarechtlichen Vorgaben genügt und den Arbeitgebern erstmals eine Schulungsobliegenheit aufgebürdet wird, wobei der Umfang dieser Schulungsobliegenheit ungeklärt ist.

CW: Ist diese Verunsicherung berechtigt?

MÜLLER: Die Verunsicherung ist in Bezug auf die europarechtlichen Bedenken gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz berechtigt. Der Gesetzgeber bessert zurzeit die Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes nach. Es ist geplant, die Paragraphen 10 Nummer 6 und 10 Nummer 7 (beide Regelungen betreffen Fragen der Berücksichtigung des Alters im Rahmen der Sozialauswahl) ersatzlos entfallen zu lassen. Damit entfallen sinnvolle Konkretisierungen in Bezug auf das Diskriminierungsmerkmal "Alter". Es entspricht der allgemeinen Meinung, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz damit in Bezug auf die noch enthaltenen Regelungen zur Sozialauswahl und zum Kündigungsschutz europarechtswidrig sind.

CW: Das Gesetz fordert vom Arbeitgeber ja eine umfassende Dokumentationspflicht ein. Was muss der Arbeitgeber alles im Alltag festhalten, was bedeutet das etwa für den Rekrutierungsprozess?

MÜLLER: Nicht der Gesetzgeber fordert vom Arbeitgeber eine umfassende Dokumentationspflicht. Die Dokumentationspflicht für den Arbeitgeber folgt letztlich daraus, dass mit Hilfe der Dokumentation versucht werden wird, den Haftungsbestimmungen des AGGs zu entgehen. Der Arbeitgeber muss daher etwa im Rekrutierungsprozess das Anforderungsprofil der zu besetzenden Stelle möglichst konkret beschreiben können, intern für seine Unterlagen dokumentieren, warum eine bestimmte Bewerbung abgelehnt worden ist. Jedoch ist es nicht empfehlenswert, im Außenverhältnis bestimmte Begründungen mitzuteilen.

CW: Würden Sie das Gesetz als arbeitnehmer- oder eher als arbeitgeberfreundlich bezeichnen?

MÜLLER: Ich betrachte das Gesetz weder als arbeitnehmer- noch als arbeitgeberfreundlich. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ist ein Arbeitnehmerschutzgesetz. Es dient dem Persönlichkeitsrechtsschutz von Diskriminierung bedrohter Arbeitnehmergruppen. Dies allein macht das Gesetz noch nicht arbeitnehmerfreundlich, da jedem Arbeitgeber auch unabhängig von der Inkraftsetzung des AGG an einer rechtmäßigen und diskriminierungsfreien Behandlung seiner Arbeitnehmer gelegen ist. Die Rechtsprechungspraxis der Instanzgerichte wird zeigen, ob die Regelungen zur Darlegungslast arbeitnehmer- oder arbeitgeberfreundlich ausgestaltet werden. Dies kann aus meiner Sicht heute noch nicht abgeschätzt werden.


CW-TV-Tipp

Was bringt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz? Diese und andere Fragen hat der Arbeitsrechlre Knut Müller auch vor unseren Kameras beantwortet.