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Arbeiten in den USA: Fettnäpfchen lauern überall

11.10.2000
Warum ein interkulturelles Training wichtig sein kann

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Für einige Jahre im Ausland zu arbeiten ist für viele Menschen immer noch ein großer Traum. Gerade für IT-Experten steht Nordamerika auf der Wunschliste ganz oben. Allerdings unterscheidet sich ein Arbeitsaufenthalt ganz wesentlich von einer Urlaubsreise. Ingrid Weidner, freie Journalistin in München, hat ein interkulturelles Training begleitet.

Das Rollenspiel mit Videofeedback steht am letzten Tag des Seminars “Doing Business with the Americans" von Siemens SQT auf dem Programm. An vier Tagen und drei Abenden dreht sich alles um Leben und Arbeiten in den USA. Dekoration, Musik und Fernsehprogramm am Morgen lassen keine Zweifel aufkommen, dass es der richtige Seminarraum ist. Die meisten Kursteilnehmer stehen kurz vor dem Sprung über den großen Teich: Ihr Hausrat schippert in großen Containern über den Ozean, das Haus ist vermietet, ihre Koffer sind gepackt.

Ausreichende Sprachkenntnisse sind nur die halbe Miete. Mindestens genauso wichtig sind die feinen kulturellen Unterschiede. Und genau die stehen im Mittelpunkt des Seminars. “Was fällt Ihnen zu Amerika ein? Schreiben Sie drei Stichwörter auf die Notizzettel", bittet Melissa Lamson, Trainerin für Interkulturelle Kommunikation in Berlin, die Teilnehmer am ersten Tag. Die Palette reicht von “Bill Clinton" bis “Hamburger". Auf einer zweiten Pinnwand findet sich ein buntes Sammelsurium von Fragen: Ein Manager will wissen, wie er es schafft, “dass die anderen tun, was ich möchte". Der geeignete Kindergarten ist genauso Thema wie die deutsche Bäckerei in Florida oder die Frage, “wie man bei den Amerikanern zwischen Oberflächlichkeit und echtem Interesse unterscheiden kann".

“Mehr als 50 Prozent der Auslandsentsendungen scheitern, weil die Familie oder die Partner Schwierigkeiten mit dem Leben in dem neuen Land haben", sagt David Hudnut, Produkt-Manager für Interkulturelle Kommunikation und Cross Cultural Business USA bei SQT. “Deshalb ist es Teil unserer Trainingsstrategie, Ehepartner und Teenager in das Seminar einzubeziehen." Das Konzept findet bei den anwesenden Ehepartnern breite Zustimmung. “Mich interessieren die geschäftlichen Gepflogenheiten in den USA ebenfalls. Mit dem Hintergrundwissen kann ich meinen Mann sicher besser verstehen", so eine Teilnehmerin. Die meisten mitreisenden Ehepartner erhalten keine Arbeitserlaubnis. Sie müssen den Alltag organisieren, sich um den Haushalt und die Kinder kümmern, Dinnerpartys für die Geschäftspartner geben und mindestens genauso große Herausforderungen meistern wie ihre Partner im übersichtlichen Großraumbüro.

Heimweh wird zur Bewährungsprobe

Ein Auslandsaufenthalt ist eine große berufliche und persönliche Chance. Dazu, dass er nicht zum Problem wird, möchte das Trainingsseminar beitragen. Trotzdem durchlaufen erfahrungsgemäß alle "Expatriats" vier unterschiedliche Stufen der Anpassung an das neue Leben. In den ersten Monaten nach der Ankunft sind alle happy. Alles ist aufregend, neu und interessant. Doch dann schleichen sich Routine und Langeweile ein, die Stimmungskurve sinkt. In der dritten Phase, die von den Trainern als "Horrorphase" bezeichnet wird, verwandelt sich die Begeisterung in Unmut und Zweifel; das Heimweh wird zur härtesten Bewährungsprobe. Schaffen es die Neuen dann, die Ruhe zu bewahren, kein Rückflugticket nach Deutschland zu kaufen und die Vorteile der amerikanischen und deutschen Gepflogenheiten zu verknüpfen, steigt die Stimmungskurve langsam wieder an, und die restlichen Monate gestalten sich angenehm. Trotzdem verteidigen Leute plötzlich Eigenheiten des eigenen Kulturkreises, von denen sie sich zu Hause vehement distanziert hätten.

Neben allerlei Informationen vom Krankenversicherungs- und Bankensystem bis zum amerikanischen Führerschein widmen die beiden amerikanischen Trainer den Feinheiten der Kommunikation viel Zeit. Sie wollen den Kursteilnehmern neben Spaß an der Herausforderung eines Auslandsaufenthaltes vor allem Sensibilität für das große unbekannte Land USA vermitteln. "Wir möchten den Teilnehmern einen Eindruck geben, was sie erwartet, womit sie sich auseinander setzen müssen und worauf sie achten sollten", so Lamson.

Statt staubtrockener Sprachanalysen bieten Lamson und ihr Kollege Herbert Nestler, Kommunikationstrainer in München, jede Menge Übungsmöglichkeiten, besonders in der hohen Kunst des Smalltalks. Was Europäer und vor allem viele sachorientierte Deutsche als amerikanische Geschwätzigkeit verstehen, bedeutet für viele Amerikaner eine Chance, das eigene Netzwerk um einen interessanten und möglicherweise nützlichen Knoten zu erweitern. “Sie langweilen sich auf einem achtstündigen Flug in die USA? Dabei kann es ein idealer Ort zum Üben sein. Denken Sie daran, dass Ihr Nachbar wenig Chancen hat, Ihren Fragen zu entkommen", ermuntert Nestler die noch schüchternen Teilnehmer vor der Übung. “Außerdem macht es wirklich nichts, wenn man in so einer Situation einen Fehler macht."

Alter, Tod und Sex sind tabu

Allerdings gibt es einige Tabuthemen, die bei der lockeren Plauderei auf keinen Fall diskutiert werden sollten. “Europäer neigen zu kritischen Streitgesprächen, bei denen sie ihr Gegenüber verbal ziemlich in die Zange nehmen", merkt Lamson an. “Diesen Diskussionsstil sollten sie gegenüber Amerikanern möglichst ganz ablegen." Alter, Tod, Politik und Sex sind Themen, die auf keinen Fall zu einer Cocktailparty oder Flugzeugkonversation passen. Möglichst unverbindlich nett plaudern, interessiert, aber nicht zu investigativ fragen, kommt der leichten Unterhaltung am nächsten. "Amerikaner sind sehr harmoniebedürftig; konfliktreiche Diskussionen mögen sie überhaupt nicht", so Nestler.

Was ist die größte Herausforderung für deutsche Geschäftsleute in den Vereinigten Staaten? “Meiner Meinung nach ist es das Verständnis für die persönliche Beziehungsebene. Dabei geht es nicht wirklich um tiefe Freundschaften, sondern darum, eine persönliche Atmosphäre zu schaffen, zu der Verständnis und Respekt gehören. Amerikaner würden nie aus bloßem Pflichtgefühl heraus eine Aufgabe erfüllen, wie das Deutsche tun", so Lamson über den wohl kniffligsten und gleichzeitig wichtigsten Part einer guten und erfolgreichen Geschäftsbeziehung.

Unterschiedliche Kommunikationsstile machen sich besonders im Arbeitsalltag bemerkbar. Ein kategorisches “No" hört sich für einen US-Amerikaner wie ein Schlag ins Gesicht an und sollte nach Möglichkeit in einer Konversation oder bei Geschäftsverhandlungen nicht verwendet werden. Ein "Yes, but" erfüllt den gleichen Zweck und wirkt wesentlich höflicher. Viele Amerikaner halten die meisten Deutschen für unhöflich und dominant, vor allem, wenn sie ihren Angestellten Anordnungen erteilen. Deutsche im Gegenzug empfinden den Kommunikationsstil ihrer amerikanischen Kollegen als zu unterwürfig. Dabei öffnet ein "Please" viele Türen und tut niemanden weh. Zur Kommunikation zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern gehört viel Feingefühl. Das Gleiche gilt für jedes gute Meeting. Hier kommt es darauf an, eine angenehme Arbeitsatmosphäre zu schaffen. Anfangs sollte man möglichst oberflächlich freundlich und neutral bleiben. Selbst wenn der Flug und Transfer zum Hotel ein Albtraum war, interessiert das niemanden wirklich. Das Wort "Probleme" gehört nicht unbedingt zum aktiven Wortschatz eines Amerikaners. Deshalb ist die einzig angebrachte Antwort auf die Frage nach

der Reise ein "Fine, thank you".

Besonders tückisch bei der Wahrnehmung von kulturellen Unterschieden ist der Filter, durch den wir aufgrund unseres eigenen Wertesystems Menschen und Situationen beurteilen. Deshalb ist es unerlässlich, sich die eigenen Wertmaßstäbe und die des Ziellandes bewusst zu machen. Pünktlichkeit, Individualismus oder Patriotismus spiegeln eine bestimmte Geistes- und Kulturgeschichte wider. Die damit angeblich verbundenen Werte sind zwar oft eher Klischees als Wirklichkeit, beeinflussen aber trotzdem das eigene Verhalten.

Richtig kompliziert und verwirrend wirken für europäische Ohren und Gewohnheiten die Themen "Political Correctness" und "Sexual Harrassment". "Um Unklarheiten zu vermeiden, hat sich die Rechtsprechung am höchsten Standard orientiert, damit sich niemand wegen seines Geschlechts, seiner Hautfarbe oder Religionszugehörigkeit angegriffen fühlt und alle die gleichen Chancen haben", so SQT-Manager Hudnut. "Das hängt mit dem amerikanischen Ideal der Gleichheit zusammen." Deshalb sollten sich internationale Arbeitnehmer schnell mit den amerikanischen Gepflogenheiten vertraut machen. Nach dem ersten Fauxpas gibt es eine Abmahnung und höchstens noch eine Chance, bevor das Rückflugticket nach Deutschland gebucht wird oder die Geschäftsbeziehungen mit einem Kunden ruiniert sind.

Die Tücke steckt im Detail. Ein Beispiel: Selbst wenn das Wörterbuch noch "Secretary" als Berufsbezeichnung auflistet, heißt die in vielen Fällen weibliche Mitarbeiterin "Team Assistent" oder "Office Manager", und zu ihren Aufgaben gehört ganz sicher nicht, für Geschäftstreffen und Besprechungen Kaffee zu kochen und zu servieren. "Solche Tätigkeiten unterschreiten ihre Qualifikation und können nicht Teil ihrer Arbeit sein", so Lamson. "Entweder Sie kochen den Kaffee selbst, oder Sie beauftragen eine Servicegesellschaft", fügt er hinzu.

Überhaupt gibt es bei den Beziehungen zwischen Frauen und Männern am Arbeitsplatz einige Regeln zu beachten. Was sich für manche Männer wie eine Schikane anhört, ist Teil der geforderten Gleichberechtigung in der Karriere. Anzügliche Bemerkungen sind ebenso tabu wie sexistische Witze.