Network-Services/Strategische Lücken in Management-Systemen

Application-Services werden sich nur langsam etablieren

04.08.2000
Wenn man den Prognosen der Marktforscher von Ovum glaubt, gehört den Application-Service-Providern (ASPs) die Zukunft. Während diese Dienstleister im laufenden Jahr rund vier Milliarden Dollar erwirtschaften werden, sollen es im Jahr 2006 schon 136 Milliarden Dollar sein. Hadi Stiel* hat jedoch noch einige Ungereimtheiten im ASP-Geschäft entdeckt.

Der Markt für Application-Services steht noch ganz am Anfang. Obwohl die ASPs derzeit in den Medien mit viel Vorschusslorbeeren bedacht werden, so Rüdiger Both, Bereichsleiter Telekommunikation bei Diebold Deutschland in München, bleibt bei einem Blick hinter die Kulissen nicht viel von den viel gelobten Offerten übrig. Die Angebote, so der Diebold-Manager, laufen immer nach dem gleichen Muster ab: "Potenzielle Kunden werden aufgefordert, Anwendungen statt im eigenen Unternehmen auf Servern des ASP zu platzieren." Die Unternehmen reagierten, indem sie allenfalls weniger sensible Anwendungen wie Textverarbeitung, Tabellenkalkulation und vielleicht noch E-Mail dem Dienstleister überantworteten. Wichtigere Applikationen bis hin zu strategischen Geschäftsanwendungen werden jedoch nach wie vor intern betreut.

Um auch dieses Geschäftsfeld bestellen zu können, müssten ASPs ihre Dienste in die Netzwerke der Kunden hineintragen können. Dass sie es nicht tun, ist weniger ihnen als vielmehr den Herstellern von Management-Systemen anzukreiden. "Nach Jahren der Konzentration auf das Enterprise-Management sind Hersteller wie Tivoli und Computer Associates (CA) gerade erst dabei, das TK-Management zu entdecken", erklärt Robert Heinrich, bei Arthur Andersen in Eschborn verantwortlich für Technology Risk Consulting.

Er geht davon aus, dass mindestens zwei Jahre vergehen werden, bis die beiden Hersteller das für sie neue Geschäft einigermaßen abdecken werden. "Der dritte große Hersteller von Management-Systemen, Hewlett-Packard, bedient zwar beide Felder, aber über eine separate Architektur im Kern seiner Lösungen." Damit habe HP die Integrationsarbeit, Enterprise- und TK-Management unter einen Hut zu bringen, noch vor sich.

Andere Hersteller wie Compaq und Micromuse sind bei der Verwaltung von TK-Equipment gut positioniert, haben dafür aber im Bereich des Enterprise-Managements nur partielle Lösungen zu bieten. Lediglich Bullsoft, das gerade unter dem neuen Namen Evidian als eigenständige Organisation aus der Bull-Gruppe ausgegliedert wurde, scheint in beiden Management-Disziplinen präsent zu sein.

Matthias Parschau, Berater beim Kommunikationsdienstleister Sornet in Bad Camberg, macht die Folgen dieses insgesamt trauri-gen Status quo deutlich: "Damit fehlen den ASPs marktgängige Management-Werkzeuge, um via TK-Management-Plattform die geschäftsprozessbezogenen Service-Levels an den Schnittstellen der Kunden in Form adäquater Service-Level-Agreements (SLAs) aufzunehmen."

Den ASPs bleibe bei dieser Ausgangssituation oft nichts anderes übrig, als selbst bei der Entwicklung ihrer TK-Management-Lösung Hand anzulegen. "Doch das ist kostspielig und führt damit ein akzeptables Angebot an Application-Services gerade in der Startphase schnell ad absurdum", moniert Parschau. "Zudem harmonieren solche Eigenentwicklungen in den seltensten Fällen mit den Enterprise-Management-Plattformen der möglichen Kunden."

Der Sornet-Berater sieht neben dem Evidian-Ansatz lediglich Service-Level-Management-(SLM-)Lösungen wie "E-Health" von Concord, die den ASPs helfen könnten, angemessen auf die Anforderungen der einzelnen Geschäftsanwendungen zu reagieren. "Solche Suites bieten leistungsfähige Funktionen zum Applikations-Monitoring einer Vielzahl von Anwendungen, die auf den Servern und Clients beim Kunden laufen, inklusive einer ausgereiften RMON-2-Funktionalität (Remote Monitoring) bis auf Applikationsebene."

Die Vor-Ort-Recherche werde lokal im Server- und Client-Agenten ausgewertet. Damit liefen bei Lösungen wie E-Health an der zentralen Konsole des ASP nur die reinen Ergebnisdaten auf. Aus diesen Daten ließen sich wiederum aussagekräftige Reports zu den Geschehnissen auf den entfernten Kunden-Servern und -Clients generieren und für die Gewährleistung differenzierter SLAs entsprechend dem Volumen der einzelnen Anwendungen ins Verhältnis setzen.

"Solche SLM-Lösungen sind zwar kein Ersatz für harmonierende Enterprise- und Telekommunikations-Management-Plattformen", so Parschau. "Sie sind jedoch für die ASPs ein begehbarer Weg, bis solche Plattformen im Markt in hinreichender Breite zur Verfügung stehen." Als Alternativprodukte zu E-Health von Concorde nennt der Berater die "INS Vital Suite" von Lucent und "Continuity" von ICS.

Zwischenzeitlich auf solche SLM-Suites zu setzen empfiehlt sich für die ASPs schon deshalb, weil zudem die großen Hersteller von Management-Systemen keinerlei Meta-Directory-Engagement an den Tag legen. Ein solches Überverzeichnis würden die ASPs dringend brauchen, um die Zielsysteme beim Kunden (Netz- und Rechner-Betriebssysteme, Dienste, Anwendungen und Datenbanksysteme) mit ihren Management-Services erreichen zu können. So könnten zudem über die Verzeichnungsstrukturen sowie Benutzer- und Gruppenprofile Management-Verantwortungen verlässlich zwischen ASP und Kunden aufgeteilt werden. Das wäre wiederum eine solide Basis für Anwender, um auch geschäftskritische Applikationen an einen externen Dienstleister auslagern zu können.

Management-Anbieter ignorieren Meta-DirectoriesArthur-Andersen-Manager Heinrich bringt die Ausgangsposition, die ASPs und Unternehmen gleichsam trifft, auf den Punkt: "Keiner der großen Hersteller von Management-Systemen sieht sich derzeit in der Verantwortung, die Meta-Directory-Funktionalität zu integrieren, obwohl der Markt bereits mehrere solcher Lösungen mit einer Vielzahl von Integrationskonnektoren bietet." Beispiele sind die Meta-Directory-Systeme von Siemens ("DirX"), BT/Syntegra ("Rialto"), Critical Path ("Meta Connect") und der Sun Netscape Alliance Iplanet (Meta Directory).

Das führende Trio im System-Management-Markt IBM/Tivoli, CA und HP verfährt jedoch nach dem Motto "Meta-Directories gehören nicht zu unserem Kerngeschäft". Damit kann das Gros der Zielsysteme bei der potenziellen Kundschaft von den ASPs erst gar nicht mit Application-Services angesprochen werden. Es steht also zu befürchten, dass diese den Markt nur langsam erobern werden.

Auch Parschau warnt vor überhöhten Hoffnungen: "Was vorerst zählt, sind pragmatische Einzellösungen für das Service-Level-Management, über die zumindest für die ASPs einige wichtige Anwendungen, Datenbanken und Groupware-Systeme sowie allgemeine Betriebssystem-Dienste wie Telnet, FTP und Terminal-Services erreichbar sind."

Die Prognose von Frost & Sullivan gibt dem Sornet-Berater Recht: Erst im Lauf des Jahres 2003 soll der ASP-Markt die 20-Milliarden-Dollar-Hürde nehmen, um dann sehr schnell zu wachsen und im Jahr 2006 ein Umsatzvolumen von 136 Milliarden Dollar zu erreichen.

*Hadi Stiel ist Berater und freier Journalist in Bad Camberg.

Abb: Die Marktforscher geben sich optimistisch. Während das ASP-Geschäft im laufenden Jahr ein Volumen von vier Milliarden Dollar umfassen wird, sollen die Anbieter im Jahr 2006 bereits rund 136 Milliarden Dollar erwirtschaften. Quelle: Ovum