Michael Slater, Chefredakteur des Microprocessor Report, zum Fall Apple

Apple leidet heute vor allem unter einem schlechten Image

26.01.1996

"Es war kein guter Sommer fuer Apple. Eigentlich haette es eine erfolgreiche Zeit werden sollen, in der die Power-PC-CPU in fast allen Macintosh-Systemen eingesetzt wird und ein PCI-Bus an die Stelle der Nubus-Verbindung tritt. Doch die schlechten Nachrichten ueberwogen das Erfreuliche.

Nicht nur, dass Microsoft Windows 95 auf den Markt brachte, damit den Vorspung von Macintosh-Software schmelzen liess und die Aufmerksamkeit in erstaunlichem Masse auf sich zog - darueber hinaus tauchten bei Apple Produktionsprobleme auf. Diese internen Pannen und die allgemeine Windows-Euphorie fuehrten dazu, dass Presse und Analysten gnadenlos Kritik uebten.

Die kurzfristigen Engpaesse sind deshalb besorgniserregend, weil sie Apples Marktposition genau in der entscheidenden Phase des Jahres 1995 schwaechten, als Windows 95 die Anwender in die Computergeschaefte zog. Aber Apples groesstes Problem ist, als Firma angesehen zu werden, die sich auf dem absteigenden Ast befindet. (...) Die Hauptschwierigkeit liegt darin, dass viele den Mac langfristig nicht fuer eine Alternative halten, einfach weil Windows-PCs den Markt dominieren. Aus dem gleichen Grund koennen sich viele Software-Entwickler nicht entschliessen, grosse Anstrengung in Mac-Software zu stecken.

Ich habe vor kurzem an einer Diskussion mit Michael Spindler, Apples Chief Executive Officer, Richard Nagel, Vice-President Research and Development, sowie anderen Topmanagern teilgenommen. Ihre Enttaeuschung darueber, wie Apple in der Presse in die Zange genommen wurde, war offensichtlich; (...). Was das Unternehmen braucht, ist eine in der Oeffentlichkeit praesente, charismatische Identifikationsfigur, die der Firma eine neue Vision gibt und die Herausforderung glaubwuerdig angeht. Spindler, der ein guter Manager sein mag, ist fuer diese Rolle nicht der richtige Mann, Nagel koennte es sein.

Die Apple-Manager hatten sich mit Bergen von Statistiken gewappnet, die beweisen sollten, dass das gaengige Bild vom Niedergang des Mac falsch ist. Laut ihren Untersuchungen steigen die Verkaufszahlen von Mac-Software schneller als bei Windows- Programmen.

Nur zehn Prozent glauben an Apple

Die Zahl der Software-Entwickler fuer Macs waechst, statt kleiner zu werden. Dennoch befriedigen diese Statistiken niemand, selbst wenn sie wahr sind - was einige Analysten bezweifeln. Die Untersuchungen lassen naemlich das Image ausser acht, demzufolge Apple keine gesunde Firma ist. Bei einem Treffen von 450 Managern aus der Industrie und Marktbeobachtern, das Stewart Alsop (von der CW-Schwesterpublikation "Infoworld", Anm. d. Red.) unlaengst organisiert hatte, wurden die Anwesenden nach ihren Prognosen fuer Apples Marktanteil im Jahr 1998 gefragt. Die groesste Gruppe - ueber 45 Prozent - schaetzte, dass dieser Wert unter fuenf Prozent liegen werde. Weitere 42 Prozent veranschlagten zwischen fuenf und zehn Prozent. Ganze zehn Prozent des einflussreichen und gut informierten Auditoriums sahen Apples Marktanteil 1998 ueber der Zehn-Prozent-Marke. (...)

Apple hat es nicht geschafft, das versprochene Plus an Rechenleistung zu liefern, das man sich von den Power-PC- Bausteinen erhofft hatte. Apples Partner und Chiphersteller waren ausserstande, wesentlich mehr Leistung zu liefern als Intel. Sie konnten den Power-PC 604 nicht in groesseren Mengen produzieren und hielten Apple auf diese Weise davon ab, den Chip in Standardrechnern einzusetzen.

Bei Apple scheint man zu glauben, dass es schon reicht, wenn Power- Macs etwas schneller sind als Windows-Rechner und etwa gleich viel kosten. Doch fuer die Power-Macs bedeutet ein nur geringer Geschwindigkeitsvorsprung oder ein kleines Mehr in puncto Ausstattung oder Ergonomie das Aus.

Um die schlechten Prognosen nicht wahr werden zu lassen, braucht Apple einige neue Produkte, die sogar die Windows-Anwender aufhorchen lassen. Rechner mit dem geheimnisumwitterten Power-PC 615, der (Intels, Anm. d. Red.) x86-Prozessoren emuliert, koennten die Aufmerksamkeit wecken - wenn Preis und Leistung aussergewoehnlich sind. Copland (die naechste Version des Mac- Betriebssystems, Anm. d. Red.) wuerde gleichfalls helfen, doch es ist wenig wahrscheinlich, dass es vor 1997 ausgeliefert wird.

Apple und seine Partner in der Chipherstellung muessen einen Weg finden, dass der schnelle Power-PC 604 auch in Einsteigermaschinen eingesetzt wird. IBM und Motorola muessen sich der Herausforderung stellen, die Leistung der Power-PC-Prozessoren zu erhoehen und einen Baustein mit x86-Emulation zu liefern. Ironischerweise waere es ein leichtes fuer IBM, die Reputation der Mac-Rechner zu verbessern, einfach indem sie diese Maschinen als produktive Hilfen fuer jedermann unter ihre Fittiche nimmt."