Phacos-Software weiß, was im Giftschrank lagert

Apotheken-Mini nimmt Pharmazeuten Pillenangst

18.09.1981

ESCHBORN (pi) - In einer Apotheke werden jährlich bis zu 10 000 Arzneimittel bestellt, verwaltet und verkauft. Eine derartige Fülle von Artikeln manuell zu verwalten, können sich heute vergleichbare Einzel- oder Großhandelsbetriebe kaum noch leisten. Um so erstaunlicher, daß in den meisten Apotheken die Datenverarbeitung bereits nach dem automatisierten Bestellwesen aufhört. In der Hamburger Mühlen-Apotheke ist das anders:

Seitdem preiswerte und leistungsfähige Minicomputer auf dem Markt sind, bietet es sich geradezu an, sie auch in Apotheken einzusetzen. Das Angebot schlüsselfertiger Problemlösungen aus den Reihen der Systemhersteller ist allerdings noch recht unterentwickelt. Obwohl hier ein zahlenmäßig überschaubarer und interessanter Markt existiert, ist die DV-lndustrie mit dem akademischen Pharmaka-Händler nie so richtig ins Gespräch gekommen. Der Grund: Den Software-Stricken und Organisatoren fehlen zumeist umfassende Branchenkenntnisse.

Das hat dazu geführt, daß die wirklichen Renommierinstallationen von Minis mit entsprechenden Apotheken-Programmen meistens von Apothekern selbst entwickelt, beziehungsweise von ihnen bei externen Software-Fachleuten in Auftrag gegeben worden sind.

Ein Beispiel hierfür ist die auf Minicomputern laufende Software, die erstmals von der Mühlen-Apotheke in Hamburg-Harburg eingesetzt wurde. Uwe Hoffmann, Besitzer der Mühlen-Apotheke, entwickelte zusammen mit externen Programmierern ein integriertes Programmpaket, das er seit über drei Jahren selbst benutzt und auch anderen Kollegen in Lizenz anbietet.

Sein schlüsselfertiges Hard-/Softwareangebot heißt Phacos (Pharma-Computer-Systeme). Es läuft auf Rechnern der Commercial-System-Serie von Data-General.

Lochkarten bleiben

Den Einstieg in die Datenverarbeitung erhielten die Apotheken durch das bei vielen Kollegen eingeführte Kleinlochkarten-Verfahren mit Datenübertragung für das Bestellwesen. Der Besitzer der Mühlen-Apotheke sieht dieses Verfahren jedoch, nur als einen Teil der Apothekerorganisation an, in dem der unternehmerisch planende und steuernde Aspekt fehlt.

Phacos sieht die Beibehaltung der Lochkartenleser vor. Dafür wurde ein Interface entwickelt, über das alle Arten von Lesern mit Rückprozedur über Postmodems an den CS-Computer anschließbar sind. Das bedeutet auch, daß mit dem Bestellvorgang und dessen Rückmeldung die gelieferten Waren direkt zur weiteren Verarbeitung in den Computer eingelesen werden.

In Kundennähe steht ein Informationsbildschirm mit Datenabruf- und Eingabemöglichkeit über Tastatur oder Lesestift. In den hinteren Räumen wird normalerweise der Rechner selbst aufgestellt sowie ein zweiter Bildschirm für die Daten der Warenbewirtschaftung drangehängt. Unter Berücksichtigung der ABDA-Datensatzstruktur enthält Phacos folgende Programm-Module:

- Kommissions-Programme

- Informations-Programme

- Standardprogramme

- Sonderprogramme (auf Wunsch)

Weitere Programmroutinen sind Rabatt- und Lageroptimierung, Verfalldatum, Fakturierung, Orderannahme, Ladenhüterkontrolle und Bestandskorrektur.

Phacos bringt durch Sort-Programme und Dateiverwaltungsroutinen die Möglichkeit, zum Beispiel Statistiken nach beliebigen Kriterien zusammenzustellen, Rabatte zu kontrollieren, Brutto- und Nettoumsätze zu prüfen oder Rohverdienste zu ermitteln.

Doch nicht nur für die kaufmännische Abrechnung wird das Programm wirtschaftlich eingesetzt. Eine große Aufgabe für die EDV liegt im Bereich der Patienteninformation und der Arzneimittelsicherheit. So sind im CS/30-Computer die relevanten Medikamente nicht nur mit ihrer Stammsatznummer, sondern auch mit ihren Indikationen und Kontraindikationen abgespeichert. Nach einen entsprechenden Befehl kann der Apotheker sich für ein Arzneimittel, das ein Kunde gerade kauft, Anwendungsbereiche und Interaktionen abrufen, Dosierungen ablesen und den Patienten bei Arzneimittelmißbrauch beraten. Das kann auch dann geschehen, wenn der Patient bei mehreren Ärzten in Behandlung war und mehrere Verschreibungen vorlegt.

Schon heute erhalten Kunden der Mühlen-Apotheke nicht nur guten Rat in mündlicher Form. Auf Wunsch kann der Patient die ihm empfohlenen Vorsichtsmaßnahmen auch "schwarz auf weiß" mit nach Hause nehmen.

Programmierte Preise

Das Programm hilft dem Apotheker nicht nur bei der Übersicht über sein Warenlager oder die Vielfalt der Sonderangebote. Der Computer warnt zum Beispiel rechtzeitig vor dem Verfalldatum von lagernden Arzneimitteln. Diese können dann heraussortiert und ohne finanzielle Einbuße an den Lieferanten zurückgegeben werden. Diese Verfalldatum-Programmroutine kann turnusmäßig auf der CS/ 30 ablaufen. Ein weiterer Vorteil bietet der eigene Rechner bei der Bestellung. Durch die Vielzahl von Arzneimitteln kann oft nur recht unkontrolliert eingekauft werden, so daß häufig viel zu große Warenlager entstehen.

Mit Phacos übernimmt ein Programm eine monatliche Bestelloptimierung, so daß 90 Prozent der Ware nur einmal im Monat bestellt werden muß. Der weitere Vorteil dabei: ein erhöhter Rabatt bei niedrigeren Lagerkosten.

Computer "sucht"

Eine weitere Programmroutine benutzt zeitlich zurückliegende Daten und berechnet damit saisonale Schwankungen, Tendenzen und andere Einflüsse. Dadurch sind vorausschauende Bestelloptimierungen möglich. Auch die zum Teil komplizierten Abrechnungen prozentualer Erstattungen öffentlicher Leistungsträger sowie unterschiedlicher Kostenträger sind möglich. Das Programm errechnet exakt, welcher Preis für den bestimmten Artikel genommen werden kann.

Der Computer wird darüber hinaus als Auskunftssystem eingesetzt. Er hat ein Literaturverzeichnis abgespeichert mit Arzneibuch, Handbuch und Indikationsdatei über ABDA-Schlüssel. Über den Bildschirm sind Anfragen möglich wie: "Wo kann man sich über ein bestimmtes Medikament detailliert informieren?"

Des weiteren sind Angaben über Arzneien gespeichert, die im Kühl- oder Giftschrank aufbewahrt werden müssen. Diese Informationen sind bereits zur schnellen Wiederauffindung im Stammsatz eines jeden Arzneimittels enthalten.

Ein Spezial-Software-Modul bietet eine Art von Identifizierungsschlüssel für Arzneien in fester Form. Kommt ein Patient mit einer Tablette, ohne ihre Herkunft und Packung zu kennen, so werden folgende Werte in den Computer eingegeben: Größe, Form, Farbe und sonstige galenische Merkmale. Der Rechner "blättert" daraufhin die abgespeicherten festen Pharmaka durch und druckt eine Vorschlagsliste aus, in der die in Frage kommenden Medikamente aufgeführt sind.

Die Programme für Phacos sind in der Programmiersprache Cobol geschrieben. Damit besteht eine weitere Voraussetzung, daß jeder einzelne Apotheker mit einem eigenen Computer eigene Dateien aufbauen und verwalten kann.

Die Kosten für eine Phacos-Anlage einschließlich Software, zwei Bildschirme, einem Drucker, einer Magnetplatte betragen inklusive Wartung des Minicomputers monatlich etwa 2000 Mark.