Konzerntochter Netscape fordert Schadensersatz

AOL Time Warner verklagt Microsoft

01.02.2002
MÜNCHEN (CW) - Die AOL-Tochter Netscape sorgt für neuen Ärger in Microsofts Rechtsabteilung. Wegen wettbewerbswidriger Geschäftspraktiken im Browser-Markt soll die Gates-Company Schadensersatz leisten. Eine gerichtliche Verfügung müsse zudem sicherstellen, dass der Softwaregigant sein Monopol nicht mehr missbraucht.

Microsofts Anwälte bekommen immer mehr Arbeit. Das seit Jahren schwelende Kartellverfahren ist nicht ausgestanden, Einigungsversuche in privaten Sammelklagen scheiterten erst kürzlich. Nun eröffnet Netscape, Pionier und ehedem härtester Rivale im Browser-Geschäft, eine weitere Front.

Mit der Kopplung des Browsers "Internet Explorer" an das Windows-Betriebssystem habe Microsoft gegen Wettbewerbsgesetze verstoßen und den eigenen "Netscape Navigator" aus dem Markt gedrängt, argumentiert Netscape in einer Klage vor einem Washingtoner Gericht. Die Höhe der Schadensersatzforderungen soll erst im laufenden Verfahren zur Sprache kommen, Experten rechnen mit einer Summe in Milliardenhöhe.

Während der so genannten Browser-Kriege Ende der 90er Jahre hatte Netscape seine dominierende Position an Microsoft verloren. Der Marktanteil für den Navigator sank von rund 70 Prozent im Jahr 1995 in den einstelligen Bereich, dagegen arbeitet der mit Windows kostenlos gelieferte Internet Explorer heute auf rund 90 Prozent der PCs. Die finanziell schwer angeschlagene Netscape Communications Corp. wurde 1999 von AOL übernommen. Der Online-Anbieter wiederum fusionierte vergangenes Jahr mit dem Medienkonzern Time Warner.

Für Microsoft wäre eine hohe Schadensersatzleistung finanziell verkraftbar. Als bedrohlicher aber könnte sich eine weitere Forderung Netscapes erweisen: Im Wege einer gerichtlichen Verfügung müsse der Desktop-Monopolist daran gehindert werden, seine Marktmacht weiterhin zu Lasten von Netscape und anderer Konkurrenten zu missbrauchen, so die Kläger.

Deren Erfolgschancen stehen nicht schlecht, meinen US-Juristen. Schon Richter Thomas Jackson hatte 1999 in seinen "Findings of Facts" im erstinstanzlichen Kartellprozess Wettbewerbsverstöße Microsofts im Zusammenhang mit Netscape aufgelistet. Ein Berufungsgericht hob zwar im Juni 2001 die von Jackson angeordnete Zerschlagung des Unternehmens auf, bestätigte aber weitgehend die Vorwürfe des Monopolmissbrauchs.

Netscape und andere Kritiker verfolgen ein gemeinsames Ziel: Microsoft soll verpflichtet werden, eine Windows-Version ohne damit verbundene Anwendungssoftware anzubieten. Das Betriebssystem dürfte demnach keine Programme wie Browser, Instant-Messaging-Client oder Media Player beinhalten.

Von der neuen Klage erhoffen sich die Anwälte des Browser-Pioniers auch eine Verschärfung der Bedingungen für eine außergerichtliche Einigung, die neun von 18 klagenden Bundesstaaten und das US-Justizministerium im Herbst 2001 mit Microsoft aushandelten. Die übrigen neun klagenden Staaten lehnen den Vergleich als zu wenig wirksam ab und fordern schärfere Auflagen.

Schützenhilfe erhalten die Einigungsgegner von zwei Nobelpreisträgern. In einem Brief an die zuständige Bezirksrichterin Colleen Kollar-Kotelly kritisieren die Ökonomen Joseph Stiglitz und Kenneth Arrow den Kompromiss scharf. Er enthalte keinerlei in die Zukunft gerichteten Auflagen, die Microsoft daran hindern könnten, seine Marktmacht mit illegalen Mitteln zu schützen und auszubauen. Kollar-Kotelly muss über die Rechtswirksamkeit des Einigungsvorschlags befinden, Anhörungen dazu setzte sie für den 11. März 2002 an. (wh)