Software-Unternehmer-Gespräch zum Thema Mitarbeiterführung

Anwendungsentwicklung als soziologisches Problem erkannt

21.02.1992

BERLIN (qua) - Dem Umgang mit der Ressource Mitarbeiter widmeten sich gleich drei Redner beim diesjährigen "Berliner Software-Unternehmer-Gespräch". Ihre Botschaft läßt sich in drei Stichwörtern zusammenfassen: Förderung der Individualität anstelle von starren Hierarchien, Vertrauen statt Kontrolle und kreatives Chaos.

"Die größten Probleme der Systementwicklung sind nicht so sehr technischer als vielmehr soziologischer Natur", formulierte Timothy Lister, Gründer der Atlantic Systems Guild Inc. mit Sitz in London und New York, einen Gedanken, der in ähnlicher Form auch von den anderen Referenten geäußert wurde. Die Zusammensetzung eines Projektteams sei der entscheidende Faktor für Erfolg oder Mißerfolg eines Softwareprojekts.

Mehr Soziologen als lnformatiker

Bestätigung fand der New Yorker Gastredner bei Jürgen Fuchs, Geschäftsführer bei der Ploenzke Informatik, Kiedrich im Rheingau. Offenbar haben Klaus Plönzke und seine Co-Manager auch bereits Konsequenzen aus dieser Erkenntnis gezogen: "Wir haben mehr Soziologen im Haus als Informatiker", plauderte Fuchs aus dem Nähkästchen. Außerdem, so Fuchs, werden bei Ploenzke 70 Prozent der Projekte von Frauen geleitet - mit der recht fragwürdigen Begründung, daß es sich bei einem Projekt schließlich nicht um ein technisches Unterfangen handle. Im übrigen warnte der Ploenzke-Geschäftsführer seine Zuhörer davor, "großangelegte" Projekt-Management-Tools einzusetzten. Dabei bestehe nämlich die Gefahr, daß das Projektteam nur noch mit der Bedienung des Softwarewerkzeugs und kaum noch mit der eigentlichen Arbeit beschäft sei.

Einig waren sich die drei Referenten darin, daß ein Übermaß an Planung letztendlich zum Mißerfolg führe. "Die meisten Katastrophen, die wir haben, sind "Ordungskatastrophen", untermauerte Fuchs seine These.

Lister belegte anhand empirisch gewonnener Untersuchungsergebnisse, daß Softwareprojekte dann besonders zügig abgewickelt werden, wenn weder der Entwickler noch der Systemanalytiker gezwungen sind, vorher deren Aufwand zu schätzen. Ein regelrechter Produktivitäts-Killer sei die von vielen DV-Verantwortlichen praktizierte Unart, Termine zu nennen, die das jeweilige Entwicklungsteam unter gar keinen Umständen einhalten könne.

Auch der Hannoveraner Führungsberater Gerhard Weigle äußerte die Ansicht, daß die meisten Projekte ohne Planung sehr viel besser liefen - zumal viele der geplanten Unternehmungen ohnehin niemals umgesetzt würden. Als seinen Beitrag zur Lenin-Demontage bezeichnete das ehemalige Mitglied der GMO-Geschäftsführung die Umkehrung eines dem russischen Revolutionär zugeschriebenen Bonmots: "Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser." Die Eigenverantwortung der Mitarbeiter läßt sich, das machten die drei Referate deutlich, als einer der Schlüsselfaktoren eines neuen Führungsstils identifizieren. Vorbild für eine erfolgreiche Arbeitsgruppe ist für Fuchs die jazzband, in die jeder Mitspieler seine Individualität einbringt und gerade dadurch zur Gesamtleistung beiträgt.