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"Anwender verstehen Directories nicht"

30.05.2001
Auf der Brainshare Europe in Nizza sprach die COMPUTERWOCHE mit Novell-COO Stewart Nelson über die künftige Produktstrategie der Company.

NIZZA (COMPUTERWOCHE) - Mit Novell-COO (Chief Operating Officer) und Executive Vice President Stewart Nelson sprach CW-Redakteur Jürgen Hill über die künftige Produktstrategie der Company.

CW: Worauf liegt der Schwerpunkt von Novells künftiger Produktentwicklung?

NELSON: Diese Frage wird uns vor dem Hintergrund des Kaufs von Cambridge Technology Partners häufig gestellt. Viele Anwender befürchten nämlich, dass die Produktentwicklung künftig nur noch die zweite Geige spielt. Die Antwort darauf ist ein klares Nein. Die Vision eines One Net hat noch immer zentrale Bedeutung, auch wenn sie von den Übernahmegesprächen überschattet wird. Mit der Weiterentwicklung unseres Directory, von "Groupwise" oder mit dem kommenden "Netware 6" haben wir das auch bewiesen.

CW: Welche Rolle spielt das E-Directory dabei?

NELSON: Unsere Idee ist es, nicht das Directory zu verkaufen, sondern es als Engine zu etablieren, die verschiedenste Services wie etwa "I-Chain" oder "DirXML" zusammenbindet. In dieser Richtung wollen wir weitere Netzdienste entwickeln, um zum Beispiel für Unternehmensanwendungen wie E-Procurement, oder Customer-Relationship-Management eine höhere Verfügbarkeit zu gewährleisten.

CW: Und wie passt Netware 6 in dieses Szenario?

NELSON: Mit Netware 6 haben wir unser Netz-Betriebssystem konsequent weiterentwickelt und mit "I-Print" Lösungen für aktuelle Probleme wie etwa das Drucken im Netz hinzugefügt. Ein anderes Beispiel ist "I-Folder", das es dem Anwender ermöglicht, jederzeit auf seine Daten zuzugreifen, ohne dass er sie sich per E-Mail selbst schicken muss. Diese Beispiele zeigen, dass die Produktentwicklung weitergeht, zudem sprechen wir nicht erst seit der Cambridge-Übernahme von Solutions. Das ist eine logische Konsequenz, denn der Markt verlangt nach Lösungen und nicht nach einzelnen Produkten.

CW: Kann man I-Folder wirklich als Lösung bezeichnen? Oder ist es nur ein nettes Tool, um tägliche Probleme zu lösen?

NELSON: Genau das ist der Mehrwert. Viele Anwender werden auf Netware 6 upgraden , weil I-Folder, I-Print oder die neuen Storage-Features ihre alltäglichen Probleme lösen. Zudem werden Drittanbieter mit I-Folder etc. weitergehende Lösungen entwickeln. Insofern haben Sie Recht, wenn Sie sagen, I-Folder ist keine Lösung. Dann betrachte ich I-Folder als ein Feature, um andere Lösungen zu entwickeln.

CW: Und das Directory, von dem Sie als Lösung sprechen...

NELSON: Nein, ich spreche nicht von dem Directory als Lösung, für mich ist der Verzeichnisdienst wie der Motor eines Autos. Sie kaufen ein Auto als Lösung, um von A nach B zu kommen, aber nicht den Motor. Das Directory ist der Motor, den wir nicht verkaufen. Ja, Novell sollte eigentlich gar nicht über das Directory reden. Wenn, dann müssen wir Lösungen um das Directory bauen.

CW: Dann benötigt Novell aber Partner wie Siebel und andere, die darauf Lösungen für E- oder M-Commerce aufsetzen.

NELSON: Sie können darauf wetten, dass wir entsprechende Gespräche führen. Und damit diese Lösungen reibungslos miteinander arbeiten, bauen wir DirXML-Konnektoren, um CRM, SCM etc. im Enterprise Networking miteinander zu verbinden. Sie haben völlig Recht, ohne die Unterstützung von Partnern hat ein Directory wenig Mehrwert. Wir verdienen unser Geld mit Produkten wie I-Chain, die um das Directory gebaut sind.

CW: Wenn Novell so darauf erpicht ist, Geld mit Directory-Diensten zu verdienen, warum haben Sie dann einige Produkte in das Unternehmen Volera ausgegliedert?

NELSON: Volera gehört noch immer zu 85 Prozent Novell. Unsere Speichertechnologie ist sehr fortschrittlich, doch innerhalb von Novell ging dies unter, denn jeder sah nur Netware und das Directory.

CW: Stichwort Storage: Vermarktet Novell jetzt wieder Hardware wie früher?

NELSON: Nein, diese Zeiten sind vorbei.

CW: Sie sprechen davon, dass die Anwender nur Netware sehen. Warum nicht auch Netware outsourcen?

NELSON: Ich hätte damit kein Problem. Auf der anderen Seite freut es mich, wenn die User zur Brainshare kommen, um mehr über Netware und unser Directory zu erfahren.

CW: Schön, aber mit einem Netz-Betriebssystem für File- und Print-Dienste wird Novell wohl kaum überleben.

NELSON: Netware ist mittlerweile mehr als File und Print. Nehmen Sie nur Themen wie I-Print, I-Folder oder Storage.

CW: Sicher, wenn ich aber an Ihre Vision eines One Net glaube, dann sehe ich diese Produkte auch auf anderen Netz-Betriebssystem-Plattformen.

NELSON: Das klingt für mich so, als ob Sie sagen, weil Microsoft Word und Excel auf Mac unterstützt, brauche ich kein Windows mehr. Wenn wir unser Directory auf NT oder Solaris anbieten, dann ändert das nichts an unserem Bekenntnis zu Netware.

CW: Wir haben viel über die Produkte gesprochen, die rings um Netware und das Directory angesiedelt sind. Wo sehen Sie noch Lücken?

NELSON: Novell benötigt mehr Lösungen in der Art von DirXML oder I-Chain. Dies erreichen wir entweder mit Partnerschaften oder mit Unternehmen, die wir kaufen. Obwohl wir unser Directory seit mehr als fünf Jahren auf dem Markt haben, fängt dieses Segment gerade erst zu boomen an. Die Anwender beginnen jetzt unternehmensweite Directory-basierte Lösungen einzuführen.

CW: Warum erst jetzt? Unternehmen wie Novell, Siemens oder Critical Path (Isocor) propagieren Directories schon seit längerem als strategisches Tool?

NELSON: Weil die Anwender die Bedeutung eines Directory nicht verstehen. Wenn ich von einem Verzeichnisdienst spreche, schauen mich die Leute fragend an. Rede ich von einem Workstation-Manager, sagen sie okay, zeigen Sie es mir. So verkauft Novell etwa "Zenworks" als Workstation-Manager, den die Anwender nachfragen, ohne zu wissen, dass er auf einem Directory basiert. In diesem Zusammenhang räume ich gerne ein, dass Novell einen Fehler gemacht hat, als wir versucht haben, das Directory alleine zu vermarkten.