Front-Office: Neuer Hoffnungsträger für die Softwarebranche

Anwender suchen den direkten Draht zum Kunden

16.01.1998

Kosten senken ist out, Umsatz steigern dagegen in. Diesen Eindruck vermittelt jedenfalls die neueste Studie der Aberdeen Group aus Boston, Massachusetts. Die Auguren haben im vergangenen Jahr rund 50 Anwendungen zum Thema Vertriebs-, Marketing-, Service- und Supportsoftware, von ihnen als Customer Interaction Software (CIS) bezeichnet, unter die Lupe genommen (siehe Kasten "Front-Office-Module").

Die Anbieter im CIS-Markt erzielten 1996 insgesamt einen Umsatz von über einer Milliarde Dollar. Bis ins Jahr 2000 soll das Segment um durchschnittlich 35 Prozent jährlich auf 3,4 Milliarden Dollar wachsen, so die Prognose der Analysten (siehe Kasten "CIS-Prognose" auf Seite 16).

Anwenderunternehmen erhielten durch CIS-Applikationen die Chance, besser auf ihre Kunden einzugehen und vor allem den Umsatz kräftig zu steigern. Der Clou dabei ist, daß nicht nur die typischen Umsatzmotoren Verkauf und Vertrieb ihr Scherflein dazu beitragen. Alle Unternehmensbereiche sollen mittels CIS-Lösungen den Kunden optimal betreuen und über das normale Maß an Service hinaus von sich aus weitere Produkte und Dienste anbieten können oder wenigstens per internen Workflow Vertriebsaktivitäten auslösen.

Selbst aus Call-Centern und Hotlines sollen sich mit Kunden-Management-Produkten der neuesten Bauart Einnahmequellen machen lassen.

Die leidige Kostensenkungs-Debatte hat damit zwar nicht ausgedient, aber nach den Einschätzungen der Analysten zumindest an Bedeutung verloren. Denn die Möglichkeit, mittels CIS-Anwendungen den Umsatz zu erhöhen, ist um ein vielfaches größer als das Rationalisierungspotential etwa durch den Einsatz von Enterprise-Resource-Planning-(ERP-)Systemen von SAP und Baan. Wird mit Hilfe eines Sales-Force-Automation-(SFA-)Paketes der Gesamtumsatz eines Unternehmens um zehn Prozent gesteigert, übertreffen die Mehreinnahmen das gesamte DV-Budget des Betriebes für den gleichen Zeitraum. Dieses beträgt durchschnittlich etwa fünf Prozent des Jahresumsatzes.

Stellen sich die erhofften Umsatzzuwächse tatsächlich ein, amortisieren sich die meisten CIS-Projekte rasch: Rund sechs Monate nach Produktivstart sind die Kosten für Hard- und Software, Schulung sowie Beratung wieder eingespielt, ermittelten die Analysten. Außerdem kommen zufriedene Kunden gerne zurück.

Das reduziert den Werbe- und Marketing-Aufwand, der nötig ist, um neue Klienten zu gewinnen. Laut Faustregel ist er zehnmal so hoch wie der, um einen vorhandenen Käufer zu halten.

Doch ist nicht alles Gold, was glänzt. Die Einstiegsinvestitionen im CIS-Umfeld sind hoch. Die Preise pro Modul, ob Vertriebs-, Service- oder Supportkomponente, beginnen jenseits der 100000-Mark-Grenze, ohne Beratung, versteht sich. Um aber Kundenorientierung und Gewinnsteigerung im Unternehmen flächendeckend realisieren zu können, bedarf es meist einer Handvoll CIS-Komponenten. Die Projektkosten steigen dann schnell auf einige Millionen Mark. Die Einführungszeit für eine Gesamtlösung sollte nicht geringer als eineinhalb bis zwei Jahre bemessen werden, empfiehlt die Aberdeen Group.

Angesichts dieser Dimensionen scheint der Einsatz von integrierter CIS eher großen, finanzkräftigen Unternehmen vorbehalten zu sein. Damit sich aber Kundenzufriedenheit und Umsatzwachstum für kleinere und mittlere Betriebe nicht als unerreichbare Fata Morgana am Horizont erweisen, sind einige Hersteller bemüht, abgespeckte Pakete zu entwickeln. Auch durch stark abgestufte Lizenzgebühren versuchen sie Interesse im Mittelstand zu wecken.

Zur besseren Übersicht haben die Analysten das CIS-Spektrum in zwei Anwendungsgebiete unterteilt: Applikationen zum Kunden-Management sowie Vertriebs- und Marketing-Lösungen (siehe Kasten "Front-Office-Module" auf Seite 15). Von den 50 betrachteten Paketen decken zehn das gesamte Leistungsspektrum aus den Bereichen Kunden-Management sowie Vertriebs- und Marketing-Lösungen ab. Zu den Herstellern gehören Applix, Astea, Aurum (Tochterunternehmen von Baan), Clarify, Magic, Onyx, Scopus, Siebel, Software Artistry und Vantive (siehe Kasten "CIS-Anbieter" auf Seite 15). Diese haben ihren Stammsitz in den USA, betreiben aber Niederlassungen im deutschen Sprachraum und in anderen europäischen Ländern.

Ein Anreiz für Anwenderunternehmen neben der besseren Kundenorientierung und möglichen Umsatzzuwächsen, auf den CIS-Zug aufzuspringen, ist, sich mit Hilfe dieser Pakete Wettbewerbsvorteile zu erarbeiten. Branchen wie Telekommunikationsindustrie und Energieversorger, aber auch viele Konsumgüterhersteller, deren Produkte in puncto Qualität und Funktionen immer ähnlicher werden, sind heute gezwungen, sich durch besseren Service und Support vom Wettbewerber abzuheben.

Die Features gängiger ERP-Systeme ê la SAP, Baan und Oracle allein reichen dazu nicht aus. Sie werden jedoch als Quelle für Stammdaten- und Bewegungsdaten wie Preise, Bonität und Liefertermine an die CIS-Systeme angebunden. Kunden-Management-Pakete sollten also über offene Schnittstellen (Application Programming Interfaces = APIs) verfügen und einfach zu integrieren sein.

ERP-Lieferanten wie Baan und SAP haben den Trend zu CIS erkannt und ihr Angebot durch Kooperationen und Käufe verstärkt. So hat die niederländische Softwareschmiede Baan den CIS-Anbieter Aurum gekauft, und SAP hat sich mit 50 Prozent an dem Mannheimer Softwarehaus Kiefer & Veittinger beteiligt, einem Hersteller von Vertriebs- und Marketing-Software. Durch diese Kooperationen wird laut Aberdeen die Integration von CIS- und ERP-Anwendungen sichergestellt.

Eine andere Möglichkeit, die Systeme zu verbinden, entwickeln Drittanbieter wie die amerikanischen Newcomer Crossroads Software oder Crossroute Software Inc. Beide Unternehmen stellen entsprechende Adapter oder Connectoren her, die ERP-und CIS-Systeme miteinander verbinden sollen. Software-Unternehmen wie Peoplesoft, Baan, SAP, Hewlett-Packard, Clarify, Aurum und Scopus haben sich bereit erklärt, ihre APIs offenzulegen (siehe CW Nr. 40 vom 3. Oktober 1997, Seite 14 und CW Nr. 45 vom 7. November 1997, Seite 18).

Darüber hinaus sollten CIS-Systeme Computer Telephony Integration (CTI), Workflow-Mechanismen, Zugriff über Internet und Intranet, Datenreplikation und -synchronisation unterstützen. Einige Produkte bieten Data-Warehouse-ähnliche Funktionen zur Entscheidungsunterstützung (Decision Support).

Anwenderunternehmen sollten bei CIS-Systemen darauf achten, daß sie modular aufgebaut und über Schnittstellen miteinander integrierbar sind. Screen-Layout und Anwendungslogik lassen sich mit Hilfe von integrierten Werkzeugen an die Nutzerwünsche anpassen. Die Tools sind zum Teil jedoch sehr unterschiedlich, so daß die Anwender meist auf einen Lieferanten zurückgreifen, wenn sie ihr Spektrum an CIS-Anwendungen ausbauen wollen. Die Entscheidung für ein CIS-Paket ist daher, so die Analysten, strategisch und wird an höchster Stelle im Unternehmen getroffen. Um so mehr sollten Interessenten darauf achten, daß der ausgewählte Lieferant ein ausbaufähiges Lösungsspektrum bietet und durch eine gute Marktposition als sicherer Partner auch für die Zukunft in Frage kommt.