SAP in der Kritik

Anwender kritisieren zu komplexe Systeme

01.03.2010
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.

SAP hat den Kundenanschluss verloren

Den SAP-Verantwortlichen ist es in den zurückliegenden Jahren offensichtlich nicht gelungen, die Anwender von ihrer Roadmap zu überzeugen. Laut der DSAG-Umfrage nutzen zwar mittlerweile 80 Prozent der Kunden das aktuelle Release ERP 6.0. Dies dürfte allerdings hauptsächlich dem Auslaufen des Standardsupports und Lockrabatten geschuldet sein. Außerdem liege der Anteil in Bezug auf alle Installationen erfahrungsgemäß deutlich niedriger, sagt DSAG-Vorstand Karl Liebstückel. Die Adaptionsrate sei bei den DSAG-Mitgliedern höher, weil sie über die SAP-Produkte besser informiert seien. Den SOA-Visionen aus Walldorf folgt dagegen nur ein geringer Teil der SAP-Klientel. Drei Viertel der von der DSAG befragten Unternehmen plant keine SOA-Projekte. Der Umstieg auf SAPs neue Produktwelt bleibt damit meist rein technischer Natur. "Die Adaption von SOA ist schleppend", zieht Lenck Bilanz.

Auch sonst vermochten die SAP-Verantwortlichen ihre Kunden nur teilweise für ihre Strategien zu begeistern, wie die Umfrageergebnisse zeigen:

  • Lediglich die Hälfte der Anwender mit dem aktuellen ERP-Release baut das System mit den vom Hersteller in loser Folge ausgelieferten Enhancement Packages kontinuierlich weiter aus.

  • Nur ein Viertel der Umfrageteilnehmer behauptet von sich, das Portfolio des 2007 übernommenen Business-Intelligence-Anbieters (BI) Business Objects zu kennen.

  • Von den knapp 40 Prozent der befragten Anwender, die sich für den Enterprise Support entschieden haben, sehen drei Viertel keinen Mehrwert durch das teurere Supportmodell.

  • Gerade einmal sechs Prozent der interviewten Unternehmen setzen die neuesten Kernel-Patches ein.

Nicht dazu gehört Thorsten Sommer, Leiter Business Information Technologies der Volkswagen AG. "Wir spielen keine aktuellen Kernel-Patches ein, sondern nur stabile", stichelte der IT-Manager unter dem Beifall seiner Kollegen.

SAP habe in den vergangenen Jahren viele Produkte entwickelt und auf den Markt gebracht, sagt Lenck auf der Suche nach einer Erklärung. Gerade rund um das ERP-System mit seiner nach wie vor sehr guten Qualität seien viele Technologien entstanden, die teilweise zu Problemen geführt hätten. "Es gab eine Zeit bei der SAP, da wurde die Geschwindigkeit der Produktentwicklung höhergestellt als die Sicherstellung, dass sich die neuen Produkte zu 100 Prozent in die bestehenden Systeme einfügen lassen", kritisiert der DSAG-Vorstand. Mehr Produkte und mehr Einsatzszenarien hätten zudem dafür gesorgt, dass die Software nicht mehr so gründlich getestet werden konnte wie früher. "Diese Faktoren haben zu einer gefühlten schlechteren Qualität geführt."

Nicht mit Kritik spart auch Volkswagen-Manager Sommer. In Wolfsburg sehe man SAP zwar als starken Partner, aber längst nicht erhaben über Kritik. Beispielsweise sei das technische Zusammenspiel der Produkte in Teilen verbesserungswürdig. Den fachlichen Mehrwert durch SAP müssten sich die Unternehmen durch steigenden finanziellen und technischen Aufwand erkaufen. Der Aufwand für Upgrades sei unverhältnismäßig hoch. SAP solle an Fachfunktionen arbeiten und die Komplexität seiner Produkte senken, rät Sommer seinem Softwarelieferanten. Teilweise gebe es im Portfolio unnötige technische Abhängigkeiten. Darüber hinaus wünscht sich der Manager stärker modularisierte und standardisierte Softwareteile sowie technische Enhancement Packages, die es Anwendern auch erlauben, einzelne Funktionen auszuschalten.

Ob seine Wünsche in absehbarer Zeit in Erfüllung gehen, scheint Sommer aber zu bezweifeln. SAP sei wohl derzeit an vielen Stellen mit sich selbst beschäftigt. Aber immerhin habe der seit kurzem amtierende Co-Vorstandssprecher Jim Hagemann Snabe im vergangenen Jahr mit seinem Bekenntnis zu verbessertem System-Management und mehr Modularität zwei von Sommers obersten Prioritäten getroffen. Software as a Service und hauptspeicherbasierende Datenbanken, die der SAP-Chef ebenfalls anführte, zählt Sommer nicht dazu.