Gemischte Reaktion auf IBMs ES9000-Offensive

Anwender können Auswirkungen noch nicht einschätzenTrotz Downsizing und Dezentralisierung nimmt der Bedarf an Mainframe-Rechenleistung zu. Mit ihrem historisch gewachsenen Zweiklassen-Angebot, gekennzeichnet durch die Divergenz der /370-Betriebssysteme D

26.10.1990

IBM will Anwender in J-Klasse einkesseln

Für Kutnick ist die Strategie des Mainframe-Marktführers klar: "Es ist ganz unstreitig, daß die IBM versucht, Anwender über ihre Migrationspolitik in der J-Klasse einzukesseln", denn nur über diesen Pfad öffne sich der Weg auf die ES/9000-720-Maschine, die wiederum das "Sesam-öffne-dich" für die Summit-Rechner 820 und 900 darstelle. Der Meta-Chef geht in diesem Punkt vollkommen konform mit Karl Heinrich Bell von Kienbaum und Partner in Düsseldorf: Beide sehen in dieser Taktik einen brillanten finanztechnischen Schachzug: "Big Blue kontrolliert alle J-Maschinen, IBM bekommt ja schließlich beim Wechsel eines Anwenders auf eine Summit-Maschine dessen J-Systeme zurück und kann diese wieder verwenden, mit neuen Boards ausrüsten und verkaufen." Wer Summit sagt, muß somit zuerst für J-Systeme zahlen. Ganz undurchsichtig ist darüber hinaus bislang, wie sich die Restwerte der alten Systeme entwickeln werden. Und die IBM scheint ihre Kunden in diesem Punkt bewußt im Unklaren lassen zu wollen .

Außerdem kann nur MVS/ESA in der Version 4.0 in Zukunft die Funktionen etwa der Sysplex-Komplexe völlig ausnutzen. Anwender, die zukunftsorientiert denken und beispielsweise noch MVS/XA fahren, stehen deshalb vor einem Problem. Die Saarstahl AG in Völklingen etwa, die unter MVS/XA auf einer 3084-Maschine arbeitet, stößt mit ihren Leistungskapazitäten an die Grenze einer anderen Rechnerwelt. Trotzdem ist für Klaus-Reiner Resch noch nicht klar, ob man das Migrationsangebot wahrnehmen oder sich auf einen PCMer verlassen soll: "Für uns sind die Wachstumspfade, die die IBM nun aufgezeigt hat, erst einmal noch nicht interessant. Die IBM muß uns vielmehr nachweisen können, daß mit gewissen CPUs in Verbindung mit der nötigen Software und entsprechenden Tools Vorteile bei der Anwendung herausspringen."

Nur der Neuerungen wegen interessiere ihn die IBM-Ankündigung nicht. Außerdem seien alle unterhalb der beiden echten Summit-Rechner angesiedelten Modelle mit der Markteinführung der 820- und 900-Systeme wieder veraltet. "Diese Modelle haben also eine Wachstumsrate nur bis zum Markteintritt der Summit-Maschinen."

Die Wachstumspfade der ES/9000-Systeme, kritisiert Resch weiter, seien zudem genau festgelegt, somit nicht individuell planbar, weshalb man als Anwender nur bestimmte Wege der Migration einschlagen könne "Wenn sie das addieren, stellt sich heraus, daß das für den Anwender aus finanziellen Gesichtspunkten überhaupt keine interessante Sache ist."

Verbunden ist der Schwenk auf die neue IBM-Technologie allerdings mit einem Pferdefuß, der von Marktbeobachtern und Anwendern indes prinzipiell erkannt und nur in dem Grad der Bedeutung noch unterschiedlich bewertet wird. Unternehmensberater Bell zu dem eklatanten Schönheitsfehler des ES/Konzepts: "Wenn Sie heute IBM Großrechner benutzen, zahlen Sie zu 70 Prozent für Hardware und zu 30 Prozent für Software." Da die IBM aufgrund der allgemeinen Tendenz fallender Hardwarepreise ihren Umsatz aber auf andere Weise steigern müsse, werde sie dies zunehmend über erhebliche Preissteigerungen bei Systemsoftware, Tools und Facilities zu realisieren versuchen.

Die Softwarekosten werden erheblich steigen

Dabei spielt die Abhängigkeit der jeweiligen Software von der benutzten Hardware eine entscheidende Rolle für die Kosten beim Anwender. Bell: "Wenn man in Zukunft auf die ES/9000-Architektur wechselt, bedeutet das auch, daß der Anwender eine Fülle von Software auf die Maschine bringen muß, damit der Rechner überhaupt macht, was der Benutzer will. Früher kaufte man beim Hardwarewechsel eine Softwarelizenz. Heute muß man ein Bündel von Software-Tools oder Utilities zusätzlich erstehen.

Sein amerikanischer Kollege Kutnick geht davon aus, daß die Anwender in den nächsten Jahren in eine extreme Preisspirale geraten werden: "Die Softwarekosten werden erheblich in die Höhe schnellen.

Das liegt nicht nur daran, daß IBM die Preise für Programmpakete um 25 Prozent anheben wird, sondern auch daran, daß der Anwender immer mehr zusätzliche Software benötigen wird, um seine Anwendungen und Operationen überhaupt effizient ablaufen lassen zu können."

Für den Anwender ist IBMs Verhaltensweise bitter, muß er doch in Zukunft die Softwarezeche zahlen. Aus Big Blues Sicht jedoch wurde mit dem Summit-Announcement eine ausgeklügelte Zukunftsstrategie entwickelt. Deren Ziel soll einerseits sein, die Kassen des blauen Riesen klingeln zu lassen. Andererseits will man die PCMer in Zugzwang bringen. Ein DV-Leiter aus dem Rheinland machte deren prekäre Lage deutlich: "Wenn Sie sich in Zukunft auf einen Anbieter kompatibler Mainframes verlassen, dann koppeln Sie sich mit deren Hardware von der IBM als Software-Betreuungsunternehmen ab."

Wohldurchdacht hat die IBM für ihre Summit-Rechner darüber hinaus ein neues Betätigungsfeld ausgemacht: Am 5. September 1990 deklarierte Big Blue den Mainframe als Datenbank-Server par excellence, auf dem ein Produkt zum Einsatz kommt, das für die IBM ebenfalls von strategischer Bedeutung ist - DB2. Für Kutnick steht außer Zweifel, daß Big Blues, Großrechner-Datenbank, die in Deutschland nach Aussagen von ECS-Chef Dickamp praktisch den Standard in DV-Zentralen darstellt, eine Katalysatorfunktion für die ES/9000-Systeme insbesondere die Summit-Rechner, haben wird.

Hier schließe sich der Kreis. Rainer Kegelmann von MAN Roland in Offenbach hatte als einen Segen der Summit-Ankündigung die erheblich erweiterten Hauptspeicher-Kapazitäten genannt. Vor allem bei Anwendungen wie relationalen Datenbanken, davon geht man in Offenbach aus, würden sich aufgrund dieser Verbesserungen in Zukunft erhebliche Performance-Steigerungen erzielen lassen "Massenanwendungen auf Basis relationaler Datenbanksysteme werden jetzt wohl noch interessanter werden als in der Vergangenheit, weil es hier bei einigen Anwendungen noch Ressentiments gegenüber DB2 gegeben hat."

Doch wer kann den Anwender unterstützen, wenn er Probleme mit seiner Software hat? Die PCMer? Kegelmann: "Die Plug-kompatiblen Hersteller können sicher schnelle und preiswerte Maschinen bauen. Die beherrschen auch die IBM Betriebssysteme" Aber man benutze seine Mainframes ja nicht zum Selbstzweck. Deshalb nütze es einem Anwender auch nichts, wenn er beispielsweise auf keine DB2-Spezialisten oder etwa Catia-Experten zurückgreifen könne.

Vor allem sei zu bedenken, daß bei der IBM die Verbindung von Betriebssystemen wie MVS/ESA und von den zunehmend notwendigen Tools für die Anwendungssoftware in bezug auf das Zusammenspiel mit der benutzten Hardware immer enger werde. "PCMer können zwar Betriebssysteme nachvollziehen. Wenn sie nun aber im MVS Facilities drinhaben, die sie etwa für Repository oder AD/Cycle brauchen, dann gehen wir eigentlich immer davon aus, daß die PCMer an diesem Punkt passen werden. "Es bleibt", so hört es sich vernichtend aus dem Mund von Kegelmann an, "zumindest immer ein Risiko."