Was passiert mit den Digital-Produkten?

Anwender fordern klare Produktstrategie von Compaq

09.10.1998

Nicht zu Unrecht zweifeln Digital-Anwender am Fortbestand von Technologien aus dem Haus des ehema- ligen Midrange-Marktführers. Unterschiedlicher könnten zwei Firmen, die zur Fusion ansetzen, nämlich nicht sein. Hier der ambitionierte PC-Verkäufer mit Hang zum Höheren, der mit seinen PC-Servern in der Vergangenheit bereits einen Fuß in die oberen Hierarchien des DV-Managements zu setzen versuchte. Dort das mit den Jahren etwas betulich gewordene Ingenieursunternehmen. Bekannt ist Digital für ausgereifte Technologien - berühmt sind aber auch die Schwächen bei der Vermarktung guter Produkte. Digital ist zudem ausgerichtet auf Großkunden, die direkt bedient wurden. Compaq erreicht seine Klientel durch lupenreinen indirekten Vertrieb.

Compaqs Stärke ist ohne Zweifel sein kompromißloses Marketing. Jeder konnte das verfolgen, kaum daß die Fusion vom Digital-Aufsichtsrat und der US-Kartellbehörde abgesegnet war. In ganzseitigen Anzeigenstrecken in Fach-und Publikumszeitschriften posaunte das Unternehmen seine neue Mission in die Öffentlichkeit hinaus.

Insbesondere für die Digital-Klientel wirft die Übernahme jedoch einige elementare Fragen auf. George Weiss von der Gartner Group verweist darauf, daß Compaq nach den beiden Fusionen mit Tandem und Digital über eine Vielfalt von Hard- und Softwareplattformen verfügt (siehe CW 6/98, Seite 37).

Neben den Prozessorplattformen Mips, Alpha, Intel sowie Digital VAX sind dies die Betriebssysteme Nonstopkernel, Tandem Unix, Digital Unix, SCO Unix, Open VMS, Windows NT und Win- dows 9x. Eingekauft hat sich Compaq zudem Netzwerk-Middle- ware-Technologien wie Application Control and Ma- nagement System (ACMS), Reliable Transaction Router (RTR) oder Altavista - alles keine kleinen Softwareprogramme, sondern ausgewachsene Pakete mit all ihren Potentialen und Problemen.

Nicht zu vergessen sind ferner Technologien wie Tandems Servernet, Digitals Trucluster und das mit einigen Erwartungen befrachtete Galaxy-Konzept, daneben die Verbindungstechnologie Memory Channel Interconnect, um nur einige zu nennen.

Compaq muß den Anwendern eine nachvollziehbare technologische Ausrichtung auf künftige Skalier- und Cluster-Konzepte unterbreiten. In diesen Zusammenhang gehört auch die Frage, was aus Technologiekooperationen wie etwa der zwischen Digital und Sequent Computer Systems wird.

Sequents Entwicklung Non Uniform Memory Access (Numa) sollte in DECs 1997 entworfenem "Bravo"-Konzept für die Digital-Unix-Umgebung ein kräftiges Kampfmittel gegen die Konkurrenten IBM, Sun Microsystems und HP darstellen. Compaq wird nun entscheiden müssen, ob und wie solche Partnerschaften gepflegt werden.

Hier zeigt sich ein Problem der Fusion: Compaq hat sich durch die Firmenverschmelzung nicht einfach um eine potente Servicemannschaft bereichert, sondern genau den Gemischtwarenladen erworben, den es beispielsweise bei Mitbewerber IBM immer etwas mokant kritisiert. Mögen die eingekauften Technologien auch noch so gut sein - DV-Verantwortliche insbesondere in großen Unternehmen goutieren solch vielfältige Auswahl überhaupt nicht. Compaq wird deshalb gezwungen sein, sehr schnell glasklare Signale an den Markt zu geben, welche Entwicklungsstränge Zukunft haben beziehungsweise wie das Potpourri aus diversen Technologien zu einer nachvollziehbaren und durchgängigen IT-Infrastruktur gebündelt werden kann.

Die Gartner Group rät Anwendern, so lange keine langfristige Unternehmensstrategien auf Alpha-Server-Technologien zu gründen, bis Compaqs Ausrichtung absolut klar und zuverlässig ist.

Hier haben die Texaner allerdings vor einigen Wochen ein deutliches Zeichen gesetzt, als sie sich mit der Entscheidung, Tandems ausfallsichere Rechner auf die Alpha-Plattform statt auf Intels 64-Bit-Architektur zu migrieren, eindeutig festlegten. Bleibt der legitime Einwand, warum Compaq der vergleichsweise exotischen Alpha-Chip-Architektur flächendeckend zum Marktdurchbruch verhelfen können soll, wenn dies nicht einmal dem eindeutigen Markt-Schwergewicht IBM mit dessen Prozessorplattform (Power-PC) gelungen ist.

Compaq unternimmt ferner alle Anstrengungen, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, in Kürze seien die ererbten Technologien miteinander verwoben und harmonisierten dann aufs trefflichste (Beispiel Nonstopkernel (NSK)/NT, Digital Unix/NT, Alpha/NSK). Auch mit diesen Versprechungen begibt sich Compaq in die Schuld der Anwender. Ob es etwa gelingt, die NSK-Umgebung von einem Big- auf ein Little-Endian-Byte-Adressierverfahren umzusetzen, bleibt abzuwarten.

Für eine relativ problemlose Integration spricht hingegen, daß lediglich rund 21 Prozent des DEC-Umsatzes aus Produktsegmenten stammen, die sich mit dem Angebotsspektrum von Compaq überlappen. Bei den austauschbaren Gerätelinien handelt es sich im wesentlichen um die Desktop-, Mobil- und Workstation-PCs sowie Server im unteren Leistungsbereich.

Eine von Compaq veröffentlichte Pro-Forma-Analyse rechnet den von Digital und Compaq 1997 gemeinsam erzielten Umsatz auf 37,645 Milliarden Dollar, den Nettogewinn auf 1,867 Milliarden Dollar hoch. Compaq erwirtschaftete gemeinsam mit Tandem in seinem Geschäftsjahr 24,584 Milliarden, Digital 13,061 Milliarden Dollar.

Auf Basis dieser Zahlen eruierte die Gartner Group, welche Teilumsätze künftig aus den verschiedenen Produktbereichen eines fusionierten Compaq-Digital-Tandem-Unternehmens einen zu erwartenden Gesamtumsatz erwirtschaften könnten (siehe Grafiken Seiten 45 und 46). Ergebnis: Digitals Produktlinien überdecken sich nur bedingt mit denen von Compaq.

Alpha-Workstations und -Server, VAX-Server sowie das Geschäft mit der Aufrüstung dieser Systeme werden künftig genauso wie Digitals Speichergeschäft ("Storageworks") komplett in Compaqs Umsatz einzurechnen sein.

Insgesamt müsse ein vereintes Compaq-Digital-Tandem-Unternehmen lediglich rund 2,77 von insgesamt 37,64 Milliarden Dollar - mithin nur sieben Prozent - als doppelt vorhandene Produktmasse abschreiben. Wenn man einmal davon ausgehe, schreiben die Gartner-Analysten, daß Compaq in seinen angestammten Betätigungsfeldern keine Marktanteilseinbußen zu befürchten habe, so ließen sich Extrapolationen auf den Umsatz der Pfeiffer-Company für die kommenden Jahre errechnen: Im Jahr 2002 könne das hochfliegende Unternehmen mit einem Konzernumsatz von insgesamt rund 59 Milliarden Dollar rechnen. Kein Ergebnis also, über das irgend jemand die Nase rümpfen sollte. E-Mail: jbmeyercomputerwoche.de