Learntec 2002: Euphorie des vergangenen Jahres weicht Nüchternheit und Realismus

Anwender brauchen flexible Lernlösungen

15.02.2002
KARLSRUHE (hk) - 20 Prozent mehr ausstellende Unternehmen und zehn Prozent mehr Besucher meldet die Bildungsmesse Learntec gegenüber dem Vorjahr. Die euphorischen Marktprognosen für Online-Lernen nimmt jedoch keiner mehr ernst. Was zählt, ist die Verbindung von klassischen Methoden mit E-Learning-Anteilen. Dabei kommt es darauf an, den Anwendern flexible Lernlösungen zu präsentieren.

Die beiden wissenschaftlichen Leiter und Gründer der Messe Uwe Beck und Winfried Sommer zogen nach zehn Jahren Learntec eine nüchtern positive Bilanz. Immerhin haben sie es geschafft, jedes Jahr mehr Aussteller - diesmal 272 - und mehr Besucher - über 8000 - nach Karlsruhe zu locken. Die beiden Fachhochschulprofessoren starteten ganz klein mit ihrer Bildungstechnologie-Ausstellung, wie sie sie am liebsten nennen, und haben mittlerweile das größte Treffen dieser Art in Europa etabliert.

Immer wieder stand die Frage im Raum, wohin sich die Branche nach der unrealistischen Euphorie vom vergangenen Jahr entwickeln wird. In den letzten Monaten mussten einige große Anbieter Konkurs anmelden, was als Beleg genommen wurde, dass dieser junge Industriezweig genau wie viele Firmen der New Economy nicht gelernt hat zu wirtschaften. Als Paradebeispiel diente Prokoda. Das Unternehmen startete vor rund 15 Jahren als einer der ersten Trainingsanbieter, der sich auch auf elektronische Bildungsmedien spezialisierte. Vor zwei Jahren meinte man, nachdem es jahrelang langsam bergauf gegangen war, schnell wachsen zu müssen, und ließ sich vom schwedischen Anbieter M2S aufkaufen, um die Internationalisierung zu schaffen. Vor einigen Wochen meldete M2S Konkurs an. Die deutsche Niederlassung ging nun "für einen Apfel und ein Ei", wie ein Insider erzählte, an den größten E-Learning-Anbieter Smart Force. M2S hatte für Prokoda einen dreistelligen Millionenbetrag (Mark) gezahlt.

Jürgen Theisen, Mitgründer und Mitglied der heutigen Smart-Force-Prokoda-Geschäftsführung, macht sich keine Illusionen: "Wir sind zu schnell gewachsen, wollten europaweit expandieren und haben die hohen Vorlaufkosten unterschätzt." Zudem habe die Integration der beiden Produktlinien von M2S und Prokoda viel Zeit und Geld gekostet. "Anbieter von Standardlösungen werden es in Zukunft sehr schwer haben", ist Theisen überzeugt. Die Lokalisierungs- und Anpassungskosten eines Produktes seien viel zu hoch. Es werde nur noch ganz wenige große Anbieter geben, die dies leisten könnten.

Die beiden Wissenschaftler Beck und Sommer sehen eine weitere Entwicklung, worauf sie nächstes Jahr auf der Learntec einen Schwerpunkt setzen wollen: "Lernen und Informieren wachsen zusammen." Der Begriff der reinen Wissensvermittlung werde aufgeweicht. Beck nennt dazu folgendes Beispiel: Künftig könnten sich Besucher eines Mobilfunkladens an den Rechnern über neue Produkte und deren Bedienung informieren. Für die junge Generation werde es immer selbstverständlicher, elektronisch Auskunft zu holen und zu lernen.

"E-Learning wird ein gesamtgesellschaftliches Phänomen", prophezeien die Professoren. Es werde viel stärker als bisher Einzug in Schule, Hochschule und Privatleben halten. Uwe Thomas, Staatssekretär im Bundesbildungsministerium, beschrieb seine Vision: Das Notebook eines jeden Schülers wird mit dem Gerät des Lehrers vernetzt. Der Politiker sieht IT-Kompetenz zum Allgemeingut werden. Der Umgang mit dem PC entwickle sich zur Selbstverständlichkeit. Überall, in der Schule, zu Hause und im Betrieb werden PC und Internet-Anschluss zur Verfügung stehen. IT-gestützte Bildung werde ein weltweiter Markt. Darauf müssten sich die Europäer einstellen. Denn amerikanische Hochschulen fingen an, ihre Inhalte über das Web anzubieten und auch virtuelle Abschlüsse zu ermöglichen.

IT-Basiswissen für alle Audi-MitarbeiterWie Visionen Realität werden, zeigt das Beispiel Audi. Personalvorstand Andreas Schleef verkündete eine IT-Bildungsoffensive. Innerhalb eines Jahres sollten alle 44000 Beschäftigten in den deutschen Werken grundlegende IT- und Web-Kenntnisse erwerben. Nach knapp über einem Jahr nähert sich das Projekt dem Ende, und fast alle Beschäftigten des Autobauers haben die "IT-Card" erworben, nämlich das Zertifikat, dass sie über Computer- und Internet-Basiskenntnisse verfügen. Audi hat, wie Josef Szymanski vom Bildungswesen zugab, einen sehr großen Aufwand betrieben, allein um zum Beispiel in der Produktion Lerninseln zu installieren. Die ganze Ausbildung lief via PC.

Zuerst wurden in Workshops die Gruppenleiter geschult, die dann ihr Wissen weitergaben. Gelernt wurde in der Arbeitszeit, die Gruppen mussten ihre Lernprozesse selbst organisieren. Zusätzlich forderten die Mitarbeiter CD-ROMs an, denn das Interesse war groß, zu Hause weiterzulernen. 13000 Silberscheiben gingen an die Beschäftigten. Durch zusätzliche Aktionen wurden die Mitarbeiter bei Laune gehalten und immer wieder motiviert weiterzulernen. So beteiligten sich an einem Online-Gewinnspiel 13400 Beschäftigte, ein Ergebnis, mit dem die Organisatoren nie gerechnet hatten, erzählt Szymanski stolz.

Was geschieht nun aber mit dieser aufwändig aufgebauten Infrastruktur? Der Audi-Personaler ist sich der Konsequenzen bewusst. Er weiß, dass die Mitarbeiter IT-Blut geleckt haben und dass es irgendwie weitergehen muss. Dazu gebe es schon viele Überlegungen, sagt Szymanski. Beispielsweise sollen die Lieferanten künftig verpflichtet werden, ihre Maschinen mit einem zusätzlichen Lernprogramm auszuliefern. Damit könnten sich dann die Arbeiter gleich am Arbeitsplatz das notwendige Know-how beibringen.

Grundsätzlich lässt sich sagen: Wo auf Anwenderseite Überzeugungstäter am Werk sind, hat E-Learning gute Chancen, sich durchzusetzen. Bestes Beispiel ist die Commerzbank. In der IT-Abteilung sitzt der Personalexperte Günther Szogs, der mit großem missionarischem Eifer dabei ist, ein Knowledge-Management-System zum Laufen zu bringen. Angefangen hatte das Ganze damit, dass er die Informationen über die freiberuflichen IT-Spezialisten dokumentierte.

Wissens-Management bei der CommerzbankEine Datenbank enthält alle wichtigen Informationen vom Know-how der Profis bis hin zum Tagessatz. In einem weiteren Schritt wird nun dieses System leicht verändert auch auf die internen Mitarbeiter übertragen. Dabei üben die Personaler indirekt Druck auf ihre Mitarbeiter aus, denn auch sie standen vor dem Problem, mit dem alle Firmen kämpfen: Wie lässt sich das Wissen der Mitarbeiter dokumentieren, und wie bekommt man die Beschäftigen dazu, dass sie ihr Know-how weitergeben? Zum Beispiel indem die Personaler selbst diese Datenbank mit Informationen über die Mitarbeiter auffüllen. Sie schauen sich die Definition eines Projekts an, ziehen daraus ihre Schlüsse, was die einzelnen Beteiligten können müssen, und erfassen es elektronisch. Szogs ist dabei, sein System kontinuierlich auszubauen. So besteht für IT-Mitarbeiter jetzt schon die Möglichkeit, einen Überblick über die gesamten Projekte mit all ihren Anforderungen, dem Verlauf, der Dokumentation und den Mitarbeitern zu erhalten. Der Commerzbank-Mann formulierte es in Karlsruhe so:"Wir wollen aus Wissenskonsumenten Wissensträger machen."

Die Hersteller passen sich den Wünschen der Anwender an. Sie wissen, dass teure Lernplattformen nicht besonders beliebt sind. So wurde auf der Messe die Geschichte einer Versicherung kolportiert, die sich solch ein umfangreiches Learning-Management-System ins Haus holte, das mehrere Millionen Mark kostete. Monatelang wurde an der Implementierung gearbeitet. Dann ging der Anbieter Pleite, es herrschte wochenlang Stillstand, weil keiner weiterwusste. Gelernt hatten die Mitarbeiter auch noch nichts.

Propagiert wurde deshalb in Karlsruhe von einigen Firmen das Application-Service-Proving(ASP)-Modell, das in der IT-Industrie schon seit längerem ein Thema ist. Der Anwender soll dabei nur mieten, was er benötigt, um hohe Investitionen zu vermeiden.

In eine ähnliche Richtung gehen die Überlegungen der imc AG. Die Saarbrücker haben ein "Self-Authoring-Werkzeug" auf der Messe vorgestellt. Damit soll jeder, der unterrichtet, sein Web-based-Training selbst entwickeln. Im Prinzip, so die Vorstellung der Geschäftsführer Volker Zimmermann und Wolfgang Kraemer, ließe sich aus jeder Powerpoint-Präsentation mit Ton und Videoaufnahmen ein Lernprogramm basteln. So könne das Wissen im Unternehmen endlich gewinnbringend weiterverwertet werden, und die "Tausende von Präsentationen müssten nicht vergammeln", wie es Kraemer formulierte.

Über eines müssten sich die Unternehmen allerdings im Klaren sein: Die neue E-Learning-Welt birgt auch ihre Gefahren. Ksenija Razum von Unilog Integrata Training macht vor allem auf einen Punkt aufmerksam: Wer sich Online-Wissensvermittlung ins Haus holt, hat auf dieses Weise alle Prozesse, die damit zusammenhängen, im Unternehmen. Früher schickte man den Mitarbeiter zur Weiterbildung, der dann mehr oder weniger gebildet zurückkam. Ein Unternehmen, das auf E-Learning setzt, muss sich nun zusätzlich um die Administration der technischen Lerninfrastruktur kümmern. Die Lehrinhalte zu erstellen, beziehungsweise zu beschaffen bleibt auch Aufgabe des Unternehmens.