Fahnder nehmen das Internet ins Visier

Anti-Terror-Schutz oder Industriespionage?

28.09.2001
MÜNCHEN (hi) - Nach den Terroranschlägen in den USA fordern Politiker und Geheimdienste, das Internet verstärkt zu überwachen. Andere Sicherheitsexperten warnen jedoch vor den Folgen und befürchten neue Schwachstellen.

Nach den Ereignissen vom 11. September fordern nun die Sicherheitsbehörden auf breiter Front ein Verbot von Kryptografie und Steganografie (siehe Kasten, Seite 4, und "Nachrichten lassen sich in Pixeln verstecken", Seite 18) sowie die Erlaubnis, den Internet-Verkehr abzuhören. In einer Art patriotischem, vorauseilendem Gehorsam haben bereits die Online-Dienste AOL und Earthlink ihre Bereitschaft bekundet, mit den Behörden zu kooperieren und Einblick in die Privatsphäre der Benutzer zu gewähren. Über solche Maßnahmen wird auch hierzulande wieder debattiert. Zuletzt wurden ähnliche Einschränkungen in der Bundesrepublik zur Amtszeit von Innenminister Manfred Kanther unter dem Eindruck des wiedererstarkten Neonazimus und etlicher Kinderporno-Skandale im Internet diskutiert.

Die SPD-Bundestagsabgeordneten Jörg Tauss und Ulrich Kleber weisen darauf hin, dass entsprechende DV-technische Vorkehrungen das Gegenteil erreichen könnten: die Sicherheit gefährden. Nach Auffassung der beiden Sozialdemokraten könnten die staatlichen Überwachungs-Schnittstellen, wie sie etwa die TK-Überwachungsverordnung oder die Cybercrime-Konvention des Europarates fordern, als Einfallstore für Cyberterroristen dienen. Über diese vermöchten die Eindringlinge dann Infrastrukturen und Unternehmen in Deutschland zu attackieren.

Ferner befürchten die Parlamentarier, dass so ein riesiger Überwachungsapparat installiert wird. Zudem würden Verhaltensweisen wie die Datenverschlüsselung kriminalisiert, auch wenn sie nur dazu dienen, den Austausch von Unternehmensdaten im E-Business sicher über offene Netze wie das Internet zu bewerkstelligen. Außerdem ignorieren die Pläne der verschiedenen Geheimdienste laut Tauss und Kleber die einfache Tatsache, dass schon ein mittelmäßig versierter Computerbenutzer sich mit Verschlüsselung und dem Verstecken von Nachrichten in Bildern oder Musik (Steganografie) leicht vor staatlicher Überwachung im Internet schützen kann. Folgt man dieser Argumentation, so würden entsprechende Verbote nur der Industrie schaden, da sie eines wirksamen Schutzes bei der Übertragung sensibler Daten beraubt würde, während Terroristen ein Verbot kaum stören dürfte.

Ausnutzen der Angst?

Zahlreiche Kritiker glauben zudem, dass das Argument des Schutzes vor Terror, Neonazis oder Kinderpornografie vorgeschoben ist. So kursieren Vermutungen, dass FBI und CIA das derzeitige Klima der Angst dazu nutzen wollen, um ihr im Februar 2001 vorgelegtes, kostspieliges Konzept einer neuen "National Homeland Security Agency" voranzutreiben. Einen Teilerfolg konnten sie bereits verbuchen, als US-Präsident George Bush in seiner Rede am Donnerstag letzter Woche einen Verantwortlichen für die "Homeland Security" ernannte.

Ferner ist der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, dass moderne Kryptografie- und Steganografie-Verfahren deshalb verboten werden sollen, weil sie den Geheimdiensten die Wirtschaftsspionage erschweren. Während nämlich heute populäre Verschlüsselungsalgorithmen wie Data Encryption Standard (DES) mit speziellen Cracker-Maschinen in wenigen Stunden zu knacken sind, gelten Neuentwicklungen wie der Mitte 2000 kreierte Advanced Encryption Standard (AES) nach dem heutigen Stand der Technik als nicht entzifferbar. Vor dem Hintergrund des Verdachts auf Internet-Spionage hatte auch Ende Mai 2001 ein Ausschuss des Europäischen Parlaments Unternehmen zur Verwendung von Verschlüsselungsprogrammen aufgefordert. Im Zuge seiner Untersuchung zu dem von den USA geleiteten Spionagesystem Echelon war der Ausschuss zu dem Ergebnis gekommen, dass EU-Firmen durch die elektronische Spionage der "amerikanischen Freunde" ein jährlicher Verlust von mehreren Milliarden Euro entstehe.

Steganografie-GeschichteBei der jetzt ins Zentrum der Kritik geratenen Steganografie handelt es sich um eine Technik, deren Ursprünge in die Antike zurückreichen. So beschrieb bereits der griechische Geschichtsschreiber Herodot, wie seine Landsleute dieses Verfahren benutzten. Um die Warnung vor einer Invasion unerkannt zu überbringen, ritzten sie die Nachricht in das Holz einer Wachstafel. Unter der Wachsschicht mit einem anderen Text war die Nachricht nicht zu sehen. Bereits im alten Rom wurde das Verfahren verfeinert: Mit Milch, Fruchtsaft oder Urin wurden Nachrichten auf Papyrus geschrieben und hinter anderen Texten verborgen. Erst beim Erhitzen wurde dann die Botschaft sichtbar. Im 20. Jahrhundert entwickelten die Nazis eine neue Variante und nutzten Mikrofilme in Form von Micodots.