Ratgeber Technik: Was braucht man, worauf läßt sich verzichten?

Anrufverteiler und Client-GUI sind das Herz des Call-Centers

08.05.1998

In einer Firma von Pontius zu Pilatus verbunden zu werden oder lange in einer Warteschleife mit Musikberieselung zu hängen, verärgert den Anrufer. Die Lösung versprechen sich manche Unternehmen von Call-Centern: Diese Anrufzentralen sollen die Verfügbarkeit von kompetenten Ansprechpartnern erhöhen und dem Klienten einen besseren Service bieten als vorher. Immer mehr Firmen springen deshalb auf den Zug auf, Call-Center liegen im Trend. Nach Angaben des Deutschen Direktmarketing Verbands (DDV) gibt es in der Bundesrepublik mittlerweile mehr als 1000 Anrufzentralen, der Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) spricht sogar von 2500.

Um ein Telefondienstzentrum zu betreiben, benötigen Firmen neben einer guten Organisation die passende Technik. Das Herzstück eines Call-Centers bildet eine Automatic-Call-Distribution-(ACD-)Anlage. Der automatische Anrufverteiler leitet die ankommenden Anrufe an den nächsten freien Platz weiter. Beim Kauf einer ACD-Anlage sollten Anwender darauf achten, daß sie auf Knopfdruck Statistiken über die Arbeit des Call-Centers liefern kann. Für eine ständige Qualitätskontrolle ist es zum Beispiel wichtig zu wissen, wie viele Anrufe verloren gegangen sind.

Zur Standardausstattung eines Call-Centers gehört außer der ACD-Anlage auch eine Client-Software. Sie informiert den Mitarbeiter (Agent) soweit möglich schon vor Gesprächsbeginn über den Anrufer. Hierbei kommt es auf Übersichtlichkeit an: Der Agent muß am Bildschirm auf den ersten Blick das Wesentliche erfassen können. Denkbar erscheinen auch andere Varianten: zum Beispiel die zehn wichtigsten Fragen des Tages anzuzeigen oder Fragen automatisch vorzugeben. Die Client-Software greift dabei auf zentrale Datenbanken zu.

Generell sollte bei der Einrichtung eines Call-Centers vor allem auf Erweiterbarkeit hinsichtlich Größe und Funktionalität geachtet werden. Um ein Anrufzentrum zu betreiben, genügen in technischer Hinsicht die ACD-Anlage und die Client-Software. Es gibt allerdings diverse Bausteine auf dem Markt, die von Fall zu Fall mal mehr, mal weniger sinnvoll erscheinen. Dazu gehören verschiedene Wählverfahren, Sprachdialogsysteme und Software für die Personalplanung.

Die Wählverfahren Preview Dialing, Power Dialing und Predictive Dialing sollen die jeweils zuständigen Agenten für die Anrufer besser erreichbar machen. Sie ergeben allerdings nur dann Sinn, wenn das Telefondienstzentrum nicht nur Anrufe entgegennimmt (Inbound-Betrieb), sondern selbst Anrufaktionen initiiert (Outbound-Betrieb).

Beim Preview Dialing, der schwächsten Form, bekommt der Agent vor einem Anruf nach draußen die Daten des nächsten Anzurufenden angezeigt, muß den Wählvorgang allerdings noch per Knopfdruck selbst starten. Die Variante Power Dialing arbeitet automatisch eine Liste von Anzurufenden ab, ohne Initiative des Agents. Noch weiter geht das Predictive Dialing: Hierbei wird die durchschnittliche Gesprächsdauer geschätzt. Der Dialer beginnt schon für das nächste Gespräch zu wählen, wenn das laufende sich statistisch dem Ende nähert. Im Idealfall hat der Agent gleich wieder einen Kunden in der Leitung, wenn er das vorangegangene Telefonat beendet hat. Dieses Verfahren eignet sich nur bei genügend Personal, auf das die Anrufe verteilt werden können, und wenn die Anrufe etwa gleich lang dauern. Nach Erfahrungen der Richard Scholz GmbH in Springe läßt sich mit Predictive Dialing der Anteil der Sprechzeit der Agenten an der gesamten Arbeitszeit von rund 35 Prozent auf maximal 80 Prozent steigern.

Von einer Umsatzsteigerung durch Outbound-Calling berichtet auch die Telefonbanking-Tochter einer Bank, die nicht genannt werden möchte. Nachdem das Unternehmen Marktanteile an zwei Wettbewerber verloren hatte, beschloß es, ein Call-Center zu gründen und selbst auf die Kunden zuzugehen. Dadurch konnte es seinen Umsatz wieder erhöhen und mußte kein Personal entlassen.

Es gibt aber auch Lösungen, die auf den persönlichen Kontakt verzichten, zum Beispiel Voice-Mail oder Sprachdialogsysteme (Interactive Voice Recording = IVR). Diese Systeme sind aufgrund ihrer Anonymität umstritten. Viele Menschen sprechen eben doch lieber mit einem Menschen als mit einer Maschine. Voice-Mail kann in Spitzenzeiten allerdings Last abfangen.

Sprachdialogsysteme unterliegen zudem gewissen technischen Beschränkungen. Wie Oliver Bohl, Berater bei 4Com in Hannover, erläutert, müssen Spracherkennungssysteme trainiert werden, und zwar jedes Wort einzeln. Das begrenzt deren Wortschatz stark, beispielsweise auf die Ziffern von 0 bis 9 und einige wenige Kommandos. Trotzdem fressen sie viel Rechenleistung. Ein großes Manko besteht in der Unfähigkeit, Namen zu erkennen - das Vokabular wäre zu umfangreich. Ein sprechender Fahrplan (Telefon 0241/60 40 20) demonstriert, was heute möglich ist.

Dennoch setzt die Lufthansa mittlerweile mehrere Sprachdialog-Systeme ein, darunter das Gepäckinformationssystem (GIS) und die Aktuelle Lufthansa Fluginformation (ALF). GIS unterscheidet, ob ein verlorenes Gepäckstück bereits gefunden wurde, sich bei der Auslieferung befindet oder schon ausgeliefert ist. ALF gibt Auskunft über Ankunfts-, Abflugzeiten sowie Start- und Landestellen (Gates) der Lufthansa am aktuellen Tag.

"Am Anfang hatten wir das Gefühl, die Spracherkennung funktioniert nicht richtig", beschreibt Hansjakob Schlaich, Berater und Projektleiter Call-Center bei der Lufthansa Systems GmbH in Frankfurt, seine Erfahrungen mit dem Training der Software "Speechmania" von Philips. "Aber der Aufwand hat sich gelohnt." Die Erfolgsrate der Dialoge betrage nun 90 Prozent. Gegebenenfalls können Anrufer mit einem Telefondienstzentrum in Kassel verbunden werden. Ein weiterer Anwender, der den Einsatz von IVR nicht scheut, ist die Post & Telekom Austria AG, Wien.

Die Anbieter werben damit, daß die Technologie Mitarbeiter einsparen hilft - für Call-Center-Betreiber eine wichtige Größe, da der Großteil der Kosten im Personalbereich entsteht. Jörg Schmidt, Geschäftsführer der Deutsche-Bahn-Tochter DB Dialog Telefonservice GmbH in Schwerin, spricht von drei Vierteln der Aufwendungen. Die Technik schlägt in diesem Zusammenhang nur mit zehn bis zwanzig Prozent zu Buche.

Um die Personalkosten zu reduzieren, schwört Schmidt auf die Verwendung einer Software für die Planung des Personalbedarfs und -einsatzes. In Call-Centern mit mindestens 50 Mitarbeitern sei das rentabel. "Die Anschaffungskosten betragen rund ein Prozent der Jahreslohnkosten", rechnet er vor. Die Personalplanung für mehr als 100 Mitarbeiter sei manuell sowieso nicht mehr zu bewältigen. Als Auswahlkriterien nennt er beispielsweise, ob die Software das deutsche Arbeitsrecht und die Wünsche der Mitarbeiter berücksichtigt, und wie weit sich freie Wochenenden im voraus festlegen lassen.

Auch das Call-Center am ehemaligen Militärflugplatz Hahn in Rheinland-Pfalz (siehe Kasten) wird eine Personalplanungssoftware einsetzen, obwohl dort zunächst nur 36 Mitarbeiter beschäftigt werden. Das Auswahlverfahren für einen bestimmten Hersteller läuft noch. Der Personalbedarf in Anrufzentren ist schwer zu planen, weil die Zahl der Anrufe in schwer vorherzusehendem Ausmaß schwankt. Ein häufiger Fehler besteht darin, daß Kunden die Gesprächszeit mit der Vorgangsdauer insgesamt verwechseln. Call-Center-Betreiber schätzen außerdem das Verhältnis zwischen Inbound- und Outbound-Kommunikation oft falsch ein. Falls unterschiedlich qualifizierte Leute im Anrufzentrum arbeiten, stellt das einen weiteren Stolperstein dar. Nicht selten treten Schnittstellenprobleme auf. Die Organisatoren müssen möglichst viel über ihre Mitarbeiter und Anrufer wissen. Vor dem Echtstart bleibt daher ein ausführlicher Testlauf unverzichtbar.

Auch Horst Vollstedt, Senior Consultant bei Eutelis in Ratingen, rät zu einer ausführlichen Bedarfsanalyse. "Hier läßt sich am meisten Geld sparen. Werden bei der Planung Fehler gemacht, merkt man es häufig erst später." Außerdem sollte sich der Anwender bei langfristigen Investitionen überlegen, ob es nicht sinnvoll ist, altes Equipment (teilweise) auszumustern.

Während oben genannte Technologien schon State-of-the-Art sind, wirft die nächste Generation ihre Schatten voraus. Zu den neuen Stichworten gehören beispielsweise das Web-fähige Call-Center, Internet-Telefonie und Unified Messaging. Letzteres faßt die Bearbeitung von E-Mail, gesprochenen Mitteilungen und Faxen unter einem Dach zusammen und erlaubt es, mit den Nachrichten zwischen diesen Kommunikationsformen zu wechseln. Die Meta Group sieht bereits einen Wandel vom Call-Center zum Customer Interaction Center voraus. Neben den neuen Technologien spielen dabei auch eine bessere Überwachung und Speicherung der Gespräche eine Rolle. 1984 ist zwar vorbei, aber es könnte sein, daß Big Brother unter dem Deckmäntelchen der Qualitätssicherung und Leistungssteigerung jetzt in der Arbeitswelt eine zweite Chance bekommt.

Call-Center Hahn

Auf dem ehemaligen Militärflughafen Hahn in Rheinland-Pfalz entsteht ein Call-Center der Lufthansa Cargo GmbH, das der Akquise und Abwicklung von Frachtaufträgen dient. Die Anrufzentrale Hahn setzt eine Telefonanlage von Ericsson mit ACD-Funktionalität sowie Wartefeldansagen derselben Firma ein. Der Auswahlprozeß für eine Personalplanungssoftware läuft noch. Die Agents haben auch auf die Großrechner Zugriff (und damit auf das Reservierungssystem). Aus Gründen der Sicherheit wird das Call-Center mit zwei separaten Leitungen versorgt. Derzeit werden dort 36 Leute ausgebildet, von denen 80 Prozent vorher arbeitslos gewesen sein sollen. Für die Betreuung der DV-Systeme ist die Lufthansa Systems zuständig, während das Unternehmen Futurecom aus Eschborn seine Erfahrung mit Call-Center-Prozessen und der Ausbildung von Agents einbringt. Zunächst wird dort noch kein 24-Stunden-Betrieb aufrechterhalten, weil dazu die arbeitsrechtlichen Bedingungen angepaßt werden müssen.