Anreize zum Bleiben

05.10.2001
Von Miriam Müller
Ungeachtet des Abbaus von Arbeitsplätzen in der IT-Branche stehen viele Personalabteilungen vor dem Problem, qualifizierte Fachkräfte zu finden und die auch an das Unternehmen zu binden. Deshalb sollten flexible Arbeitszeiten, Weiterbildung und Familienbetreuung nach wie vor zu einer guten Arbeitsatmosphäre zählen.

Weltweit mussten in den ersten fünf Monaten dieses Jahres 269 Internet-Firmen ihre Türen schließen - mehr als im gesamten Krisenjahr 2000. Auch hierzulande wird die Liste insolventer Internet-Firmen wöchentlich länger, und selbst bei den Großen der Computerbranche hinterlässt die Krise mittlerweile sichtbare Spuren: Gewinnwarnungen und Personalabbau sind an der Tagesordnung.

Spezialisten sind immer gefragt

„Es findet zur Zeit eine Art Bereinigung auf dem IT-Arbeitsmarkt statt. Der Druck auf die Unternehmen, alles an Arbeitskräften zu jedem Preis einzustellen, hat nachgelassen, und die Normalität hält wieder Einzug“, beschreibt Gabriele Kernwein, Geschäftsführerin der IT-Personalvermittlung PC/Enter, die Situation. Dennoch sind qualifizierte Fachkräfte nach wie vor begehrt, und die „Perlen“ unter den Mitarbeitern versucht man, so lange wie möglich an Bord zu halten. Auch Instrumente zur Mitarbeiterbindung werden weiterhin angewandt. Denn die Topleute können sich auch in wirtschaftsschwachen Zeiten den Arbeitgeber aussuchen.

Die in der Vergangenheit verbreiteten Incentives, zusätzliche Anreize für bestimmte Tätigkeiten und Belohnungen für gute Leistungen, sind einige Möglichkeiten, Mitarbeiter über das Gehalt hinaus an das Unternehmen zu binden. Doch den meisten Firmen fehlt derzeit das nötige Kleingeld, den Beschäftigten einen neuen Sportwagen, den Urlaub im firmeneigenen Appartement oder eine Einladung zum Essen zu bezahlen. Dass das den Unternehmen jedoch nicht zum Verhängnis werden muss, bestätigten jetzt zahlreiche Untersuchungen.

Freiheiten am Arbeitsplatz

So bewerten Werktätige ihren Job keineswegs nur nach dem Festgehalt. Stimmt das Gesamtumfeld nicht, ist es auch mit kleinen und großen Aufmerksamkeiten nicht getan. Im vergangenen Jahr stand bei einer Studie für etwa drei Viertel der Arbeitnehmer in der New Economy die Freiheit am Arbeitsplatz an erster Stelle. Das mag sich zwar angesichts der Vielzahl insolventer Dotcoms geändert haben - unbestritten ist jedoch, dass neben Erfolgsbeteiligungen oder Aus- und Weiterbildung auch Aspekte des persönlichen Wohlbefindens wie etwa die Qualität des Kantinenessens im Zentrum des Mitarbeiterinteresses stehen. Unternehmen haben erkannt, dass sie sich mit solchen Kleinigkeiten im Schaulaufen der Arbeitgeber gut positionieren können.

Bei den Hamburger Internet-Telefonie-Spezialisten von Nikotel ist deshalb flexibles Arbeiten nicht nur theoretisch möglich: „Mir ist egal, um wie viel Uhr ein Mitarbeiter anfängt. Wer nachts besser arbeitet, kann das gerne tun“, sagt Nikolai Manek, Gründer und Geschäftsführer von Nikotel. „Wer gute und kreative Mitarbeiter rekrutieren und behalten will, sollte die nicht in ein Korsett unnötiger Formalia stecken. Es reicht nicht aus, von Mitarbeitern Flexibilität und Kreativität zu verlangen. Auch Arbeitgeber müssen offen sein.“

Kleine Unternehmen, die sich von den festen Hierarchien und der starren Organisation mancher Konzerne abheben, scheinen gerade für die gesuchten Charakterköpfe und „High Potentials“ attraktiv zu sein. „In unserer Branche gibt es kaum bürokratische Strukturen und keinen Nine-to-five-Job. Es fehlt alles, was das Leben schön langweilig macht. Für Mitarbeiter die sich vor geregeltem Chaos nicht fürchten, hat das aber enorme Vorteile“, meint Nikotel-Chef Manek. „Es gibt nämlich auch keine Stechuhren und Regularien. Wenn ein Mitarbeiter seinen Job gut erledigt, kann er bei uns auch zwischendurch im Internet surfen, Kaffee trinken oder eine halbe Stunde meditieren. Es zählt allein, was jemand kann, dass er selbständig arbeitet und dem Unternehmen gegenüber loyal ist.“

Ein Studium ist kein Muss

Diesen Prinzipien bleibt Manek auch bei der Personalauswahl treu. Im Gegensatz zu den Einstiegsvoraussetzungen traditioneller Unternehmen müssen künftige Nikotel-Mitarbeiter keine bestimmten Ausbildungsgänge oder Examina vorweisen: „Ich hatte selbst kein Interesse daran zu studieren. Das wäre für mich Zeitverschwendung gewesen. Für Bewerber lege ich da keine anderen Maßstäbe an. Wichtig sind in erster Linie die fachlichen Fähigkeiten und die oft bemühten Soft Skills wie Selbständigkeit, Teamfähigkeit und Belastbarkeit.“ Alles nur graue Theorie? „Keineswegs. Bei uns gibt es eine sehr bunte Mischung – das reicht vom promovierten Mathematiker bis zum Computerfreak, der gerade Abitur gemacht hat“, sagt Manek.

Beim Recruiting verlässt er sich gerne auf persönliche Hinweise. „Wenn mir ein Mitarbeiter jemanden empfiehlt, ist das die beste Voraussetzung dafür, dass die Zusammenarbeit später auch funktioniert. Ansonsten spreche ich interessante Leute an – egal ob ich ihnen im Flugzeug begegne oder in einem Zeitungsartikel über sie stolpere.“

Hohes Einkommen reicht nicht

Von den unorthodoxen Personalstrategien junger Firmen hat mittlerweile auch die Old Economy gelernt. Um ihre besten Kräfte nicht an die Konkurrenz zu verlieren, haben sich deutsche Firmen einiges einfallen lassen. Bei denen, die es sich leisten können, ist die Palette der „Goodies“ groß: Unterstützung in der Kinderbetreuung, vermögenswirksame Leistungen, betriebliche Altersvorsorge, ein ordentlicher Dienstwagen und Direktversicherungen sind besonders in großen Konzernen fast Standard. Vor allem für die Spitzenkräfte trennt sich bei den Arbeitszeitmodellen die Spreu vom Weizen: Je höher das Einkommen, desto größer ist der Wunsch nach kürzeren Arbeitszeiten, so das Ergebnis einer Studie des Kölner ISO–Instituts.

Training, Gesundheit und Spaß

Angesichts der aktuellen Konjunkturdelle und Krise der New Economy erhält die Bindung guter Mitarbeiter für Unternehmen zudem eine weitere Bedeutung: Mit einer hohen Fluktuation gehen Produktivitätsverluste, steigende Recruiting- und Einarbeitungskosten einher, die sich die wenigsten Unternehmen leisten können. Eine wirksame Mitarbeiterbindung rechnet sich gerade in schwierigen Zeiten.

„Egal ob es sich um IT-ler, gute Controller oder US-GAP-sichere Buchhalter handelt – für die Besten besteht eine Vollbeschäftigungssituation. Um solche Mitarbeiter dauerhaft an das Unternehmen zu binden, sollten Firmen ihnen am besten das ideale Gesamtpaket bieten, das aus einem sehr guten Gehalt, interessanten Aufgaben und Incentives besteht, die eine Investition in die Zukunft des Mitarbeiters darstellen“, erklärt Jürgen Uhlemann, Vorstandsvorsitzender der Hamburger Jobs in time Holding AG und seit 15 Jahren im Personaldienstleistungsgeschäft.

Doch nicht jede Mark, die für die Mitarbeiter ausgegeben wird, bringt auch den gewünschten Erfolg. „Viele Firmen stecken Summen in Prämien, die keine nachhaltige Wirkung haben. Interessanter - und in jeder Preisklasse zu haben - ist dagegen alles, was das Wohlbefinden des Mitarbeiters und seine künftige Situation verbessert. Dazu zählen Sport- und Weiterbildungsangebote ebenso wie etwa die Bezahlung regelmäßiger Gesundheits-Checks in Fachkliniken.“

Dass auch ein weniger kostspieliges Engagement den gewünschten Erfolg bringen kann, zeigt das Beispiel der Münchner Conject AG. Auf der von ihr entwickelten unabhängigen Bauplattform bearbeiten derzeit über 2000 registrierte Nutzer ein Bauvolumen von 650 Millionen Euro. Für die Weiterentwicklung der Software sind die Münchner auf ihre Fachkräfte angewiesen - und auf eine strenge Kostenkontrolle. Deshalb kümmert sich bei der jungen AG ein „Mitarbeiter-Care-Team“ um das Wohl der 42-köpfigen Belegschaft.

„Für exotische Trips oder Schulungen in teuren Hotels können wir unsere Investorengelder nicht ausgeben. Solche Verwöhnprogramme sind für ein gutes Arbeitsklima auch gar nicht nötig. Ein Wochenende in einer Hütte im oberbayerischen Land, zu dem alle Kollegen ihre Partner mitbringen können, oder eine Radtour an der Isar sind für ein junges Unternehmen viel angemessener und fördern den Teamgeist und eine kommunikative Arbeitsatmosphäre“, erklärt Sprecherin Elke Tonscheidt. „Entscheidend ist, wie wohl sich die Mitarbeiter bei der täglichen Arbeit fühlen. Dass sich bei uns vom Praktikanten bis zum Chef jeder einbringen kann, kostet nichts und bindet das Personal langfristig ans Unternehmen.“