Annäherung im Konflikt um SW-Copyright

07.12.1990

MÜNCHEN (gs) - Nach zweijährigen heftigen Auseinandersetzungen nähert sich der Klärungsprozeß für ein europäisches Software-Copyright seinem Ende. Am 13. Dezember 1990 will der EG-Ministerrat die Direktive beschließen. Britische und irische Forderungen nach einer Verschärfung des Entwurfs haben kaum mehr eine Chance.

Die politische Schlacht um Europas Software-Industrie scheint geschlagen. Aller Voraussicht nach wird die EG-Richtlinie zum Copyright-Schutz von Software den heiß umkämpften Passus enthalten, der für bestimmte Zwecke das "Reverse Engineering" fremder Software gestattet. Der Konsens zeichnete sich bereits Anfang November beim letzten Treffen der für den europäischen Binnenmarkt zuständigen Minister ab.

Damit schloß sich der Ministerrat offensichtlich der Ansicht des Europäischen Parlaments an, das bei der ersten Lesung des Richtlinienvorschlags im Juli 1990 eine entsprechende Änderung forderte. Der neu aufgenommene Artikel 5bis räumt dem rechtmäßigen Besitzer eines Softwareprodukts das Recht ein, dieses in Teilen zu disassemblieren, tun die Schnittstellen-Informationen zu erhalten, die für die Entwicklung "interoperabler Produkte", also von Produkten, die mit jenem kommunizieren und kooperieren können, unerläßlich sind.

Der ursprüngliche Entwurf, mit dem die EG-Kommission den Copyright-Schutz für Software auch auf die Schnittstellen ausdehnen wollte, hatte zu einem Aufschrei geführt. Die Befürchtung: Ohne öffentlich zugängliche Schnittstellen droht nicht nur unabhängigen Softwerkern, sondern auch Wartungsunternehmen und Peripherie-Herstellern das "Aus". Dominierende Hardwarehersteller wie IBM, DEC oder Siemens könnten - über die exklusiven Rechte an den Schnittstellen ihrer Betriebssysteme und sonstigen Systemsoftware - den gesamten Software- und Peripheriemarkt in ihrer "Welt" monopolisieren.

Der Hersteller könnte bestimmen, was seine Kunden kaufen dürfen, welchen Service sie genießen Lind was sie dafür zu bezahlen haben. Mißliebige Konkurrenz ließe sich per Gericht verbieten - und das über einen Zeitraum von mindestens 50 Jahren.

Die Meinungsbildung der zuständigen EG-Gremien wurde von einem, wie es in Brüssel heißt, "beispiellosen" Lobbyeinsatz begleitet. Eigene Organisationen wurden gegründet: Das von Frankreichs Bull initiierte "European Committee for Interoperable Systems" (ECIS) kämpfte für offene Schnittstellen, die "Software Action Group for Europe" (SAGE) unter der Führung von IBM, DEC und Siemens setzte alle Hebel in Bewegung, sie zu verhindern.

Der Anwenderverband Deutscher Informationsverarbeiter (ADI) berichtet, "daß alleine ein Hersteller etwa 40 Juristen und Lobbyisten beschäftigt, um die EG-Direktive in seinem Sinn zu beeinflussen beziehungsweise zu unterlaufen".

Selbst die US-Administration (in der Person der Handelsbeauftragten und ehemaligen IBM-Direktorin Carla Hills) intervenierte bei der EG-Kommission, was A.G.W. Biddle, den Präsidenten der US-amerikanischen Branchenorganisation Computer & Communications Industry Association, zutiefst empörte (siehe CW Nr. 31 vom 3. August 1990, Seite 7): Er fürchtet, daß der Schnittstellen-Schutz, wenn er erst in Europa installiert ist, auch in den Vereinigten Staaten durchgedrückt werden soll.

Das aber, so Biddle, "führte schnell zu einer Branche mit nur noch zwei oder drei Unternehmen, womit eine der wesentlichen Ressourcen unseres Landes vernichtet würde".

Vor allem die SAGE war in ihren Methoden nicht immer sehr wählerisch. Mark Deering von der Brüsseler Anwaltskanzlei Adamson Wacker warf der Organisation unlautere Methoden bei der Anwerbung ihrer angeblich 200 Mitglieder vor: "Sie verschickte Briefe, in denen stand, Sind Sie gegen Software-Piraterie? Treten Sie SAGE bei. Aber Piraterie und Interoperabilität sind völlig verschiedene Dinge." Diesen Unterschied zu verwischen, gab sich vor allem IBMs Hausjurist Manfred Kindermann alle Mühe. Selbst der renommierte Göttinger Juraprofessor Ulrich Immenga ließ sich vor diesen Karren spannen und blamierte sich bis auf die Knochen (siehe den Beitrag von Michael Lehmann auf Seite 47 dieser Ausgabe).

Es half alles nichts - auch ein letzter Vorstoß des englischen Departments of Trade and Industry (DTI) scheiterte. Erregte britische DV-Hersteller wie Amstrad reagierten mit der Drohung auf ihn, ihre Produktion aus Europa abzuziehen. Ebenfalls erfolglos blieb der noch weitergehende Vorschlag der irischen Regierung, Interoperabilität nur über Koppelungsstellen zuzulassen, die der Hersteller dazu bestimmt.

Auch Big Blue akzeptiert Schnittstellenfreigabe

Mittlerweile scheint sich auch Big Blue damit abgefunden zu haben. Ein Firmensprecher erklärte, man glaube zwar nach wie vor, daß eine Verweigerung des Schnittstellen-Schutzes einen gravierenden Wettbewerbsnachteil für die europäischen Hersteller bedeute, aber man akzeptiere dies als unvermeidlich, nachdem die Gesetzgeber es offenbar für politisch notwendig erachteten. Allerdings müßten dem Reverse Engineering klare Grenzen gesetzt werden. Vor allem müßte die EG-Regelung sich ausdrücklich auf die Berner Konvention berufen, die seit hundert Jahren den Schutz literarischer Werke regele.

Der gegenwärtig vorliegende Kommissionsentwurf berücksichtigt diesen Wunsch. Obwohl das ECIS die ältere Version vorgezogen hätte, akzeptiert es, wie sein Vorsitzender Emmanuel de Robien erklärte, die aktuelle Fassung "als einen annehmbaren Kompromiß für ein schwieriges Problem". Eine ähnliche Haltung signalisierten bereits die mit der SAGE verbundene Business Software Association (BSA) sowie die Organisation der europäischen Software-Industrie ECSA.