Frustrierende Mischung aus Euphorie Unwissenheit und Geldmangel bremst Engagement für Bildschirmtext

Anmerkungen zu Btx: Viel Lärm um fast noch nichts

07.01.1983

Nur irgendeine Form von Datenfernverarbeitung, wie heute noch viele EDV-Profis Bildschirmtext sehen, wird der neue Postdienst nicht bleiben. Datenverarbeitungskönner und -klassiker haben noch zu Beginn des vergangenen Jahres in ihrer Mehrheit den Trubel um die hübschen bunten Bilder auf den Fernsehröhren nicht so recht ernst genommen. Jetzt, wo zum Beispiel Banken wissen lassen, daß sie wesentliche Anwendungen zweigleisig, also mit ihrer alten Hard- und Software, aber auch als neue Bildschirmtextanwendung auf einer Art Stand-by-Rechner mit neugestrickter spezieller Btx-Software fahren wird es manchem doch schon recht mulmig. Sollte es notwendig werden zum Beispiel die DFÜ-erprobten Online-Lagerprogramme etwa in einem Kfz-Service-Unternehmen auch auf Btx umzufunktionieren, oder wie all die Online-Dialogprogramme lauten, die in den vergangenen Jahren für teures Geld erst eingeführt wurden und nun endlich zur Zufriedenheit laufen? "Mal abwarten und Tee trinken", nach diesem Motto darf wohl nicht mehr verfahren werden, wollen sich die Unternehmen nicht Im Kommunikationsabseits wiederfinden.

Noch bevor das Medium überhaupt bundesweit eingerichtet ist geht von ihm ein Zwang zur Auseinandersetzung mit ihm aus. Keine Branche, vom ältesten Gewerbe der Welt über den DV-Marktführer und Systemlieferanten IBM bis zu den Kirchen, die nicht bereits ihre Botschaften im Feldversuch in den Btx-Standard der alten oder auch der neuen Art gepreßt hätte. Die Industrie- und Handelskammern machen den Mitbewerbern anschließend dann tüchtig warm - im Sinne von: "Was der kann, das kannst Du doch schon lange." Eine unbehagliche Mischung aus Euphorie, Unwissen und "eigentlich kein Geld haben" kennzeichnet die Situation zum Jahreswechsel .

Gut etabliert sind bereits solche Branchen, die von Anfang an dabei waren. Das sind die großen Versandhäuser, die Banken und Versicherungen, die Service-Rechenzentren und die Touristikunternehmen, aber auch Verlage oder öffentliche Einrichtungen. Die weniger finanzstarken dieser Avantgardisten haben jedoch erst kürzlich einen Dämpfer für ihr Engagement bekommen: Spekulationen über hohe Preise für die Seitenspeicherung in den Leitzentralen de Bundespost. Grund genug für die Rechenzentren mit Btx-Erfahrung zu frohlocken: Sie wollen die Post unterbieten, denn sie könnten als halb - offizielle Leitzentralen der Post einiges von dem abnehmen, was ihr zuviel werden dürfte. Hundert derartige Btx-RZ-Leitzentralen soll es geben dürfen, heißt es seit einiger Zeit. Und eine weitere Funktion werden sie haben: Btx-Software schreiben sowohl für die Post respektive IBM - wer kann das im gegenwärtigen Stadium des Projektes schon auseinanderhalten - wie für ihre Kunden. Hieß es früher noch ,Software umzustrickenÆ beispielsweise von Siemens auf IBM, so ist jetzt immer öfter zu hören: Die Anwendung sollte auch auf Btx laufen.

Ausdiskutiert scheint die Frage, ob das neue Medium denn überhaupt im privaten Bereich akzeptiert würde; das schien zunächst einmal das wesentliche Akzeptanz- und Auslastungsproblem zu sein. Oder warten die skeptischen Beobachter nur auf den Aufschrei, der durch die Lande gehen wird, wenn der dann zweifelsohne immer noch zu hohe Decoderpreis endlich genannt werden wird? Auch dies ein spekulationsträchtiges Feld. Ausgesprochen billig wird Btx, in der Anfangsphase jedenfalls, nicht werden. Wie hoch die Hürde für den Anwender wie den Info-Anbieter werden darf, darüber zerbrechen sich die Kalkulatoren im Bonner Ministerium und beim Fernmeldetechnischen Zentralamt (FTZ) offenbar derzeit die Köpfe. Lange schon sind genauere Zahlen angekündigt, vage nur auf Kongressen, deutlicher schon im Flüsterton hinter vorgehaltener Hand.

Drei Postminister in einem Jahr durften die technischen Beamten der Bundespost zwar nicht aus der Ruhe gebracht haben, wohl aber ihre Abteilungsleiter, besonders die engagierten, entscheidungsfreudigen, die mit ministerieller Nachhilfe dann teils nach oben fielen, teils nach unten oder gleich ganz. Aus der Sicht des Btx-Projektbeobachters nicht zu dessen Nutzen. Planungssicherheit ein bißchen bitte nur, wäre dringendst erwünscht, denn sonst kann auch der pfiffigste Btx-Freak unter den DV-Leuten - und das sind noch nicht sehr viele - den neuen Datenfernverarbeitungsstandard nicht an seinen Finanzminister verkaufen.

Noch vor gut einem Jahr kam von Herstellerpropagandisten ganz unverfroren der kühle Satz: "Eine genaue Abschätzung (von Bildschirmtext) ist sowohl bei den Kosten als auch beim Nuten nicht möglich." Ein Schönwetterspruch! Offenbar hatte der Betreffende es im Herbst 1981 noch etwas wärmer als jetzt zum frostigen Jahresende 1982.

Eine "Flucht-nach-vorne-Strategie", zu der ja auch der Einsatz von Bildschirmtext als Werbemedium Mitteilungsdienst, Imagemacher oder sogar als Kostensparer gehören könnte, wird ohne finanzielle Rückendeckung - sprich Planungssicherheit - nur wenige Freunde finden. Aber für diese Risikobereiten die Innovativen unter den kleinen und mittleren Unternehmen, war das neuen Medium doch gerade gedacht gewesen. Sie würden für die hohen Stückzahlen, zunächst nur bei den Softwarepaketen, dann aber auch schließlich indirekt bei den Endgeräten sorgen, so hofften die Medienmacher einst.

Da hatte es doch geheißen: "Datenverarbeitung für jedermann" oder "Btx, das demokratische Medium". Selbst eine so konservative Tageszeitung wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung reagierte am 13. Dezember '82 auf das Zögern in der Bekanntgabe der Gebühren unter der Überschrift "Das unverständliche Schweigen der Post" recht ärgerlich.

Beruhigendes Murmeln kommt von "postnahen" Unternehmen, Softwarehäusern und Service-Rechenzentren oder auch schon mal ein Gerücht aus der Kantine des Fernmeldetechnischen Zentralamtes: sogenanntes Insiderwissen von zweifelhaftem Informationswert. Tenor: Im Januar 83 gibt es ein Papier von der Post und/oder IBM. Wat'n nu?

Bisher stimmte es traurig, daß auch hinhaltendes Schweigen des Systembauers IBM zum Stand der Dinge die allgemeine Unsicherheit der Btx-Interessierten nicht zerstreuen wollte/konnte. Der wöchentliche Lesestoff von Managern enthielt des öfteren auf der einen Seite Boomberichte über die neue Branche der Btx-Agenturen, -Berater und

-Designer und auf der nächsten Seite, in attraktivem Gemisch, Facts und Andeutungen die Vermutungen nahelegten, Btx könnte schon vor seinem Starttermin "Funkausstellung 83" abgestürzt sein oder auf dem Weg anderer Großprojekte, wie zum Beispiel des Integrierten Transportsystems (IST) der Bundesbahn, das unter Hinterlassung gewaltiger Negativ-Posten beim Bundesrechnungshof auffiel. Also bitte: Die Karten auf den Tisch.

Vom Erfolg eines neuen elektronischen Mediums hängt viel ab: Soziologen haben sich die Köpfe zerbrochen über die gesellschaftlichen Auswirkungen von Btx, Werbeprofis diskutieren über die Zugkraft des als kopflastig empfundenen Werbeträgers; Hersteller aus Hi-Fi- und DV-Kreisen starren gebannt auf den prognostizierten Endgeräte-Markt: 1986 eine Million Btx-Leser. Da läßt sich allerlei Hardware produzieren, von Software, Marketing-Firlefanz und aktuellen Datenbanken ganz zu schweigen.

Ein unsichtbarer Kampf tobt über die Anmeldeformulare zur alles entscheidenden FTZ-Zulassung der Post als Btx-fähiges Endgerät. Werden die deutschen Hi-Fi-Hersteller, wie im Videogeschäft, wieder den Zug verpassen? "Die Japaner" können und werden diese Formulare auch ausfüllen, falls sie es nicht schon längst getan haben. Schließlich könnte sich - und das hoffen alle an Btx-Beteiligten - ein Massenmarkt auftun, der Telekommunikation via Btx als Selbstverständlichkeit inthronisiert, nicht nur in der Bundesrepublik. Etwas Besseres könnte den Japanern und solchen, die es werden wollen, gar nicht passieren.

Unvermeidlich endet die Beschäftigung mit Bildschirmtext immer mit einem leicht euphorischen Blick in die Telekommunikationszukunft. Erst einmal stehen wir aber an einer Stoppstelle. Ohne Planungssicherheit findet Btx-Zukunft, so schnell und so schön wie erdacht, jedenfalls nicht statt. Es ist ermüdend, permanent in den Startlöchern zu kauern, voll Anspannung; Begeisterung und Siegessicherheit gehen verloren. Hatte es doch so schön angefangen.