Urteilsspruch wegen Kapitalverbrechens verschoben

Anklageschrift gegen "Hacker" Robert T. Morris zweideutig

03.11.1989

FRAMINGHAM/MÜNCHEN (bi) - Bereits im August wurde der Richterspruch über Robert T. Morris erwartet, den mutmaßlichen Virus-Implanteur des "Internet-Wurms", der in November 1988 Tausende von Rechnern zum Absturz brachte. Jetzt muß zunächst einmal darüber entschieden werden, ob überhaupt Anklage wegen eines "Kapitalverbrechens" erhoben werden kann oder nicht.

Morris Anwalt sowie Vertreter der Regierung diskutieren derzeit noch über den Antrag der Verteidigung, die Anklage gegen den früheren Studenten der Cornell-Universität fallen zu lassen. Sie lautet auf Verletzung einer Klausel des "Computer Fraud and Abuse Act von 1986", welche den vorsätzlichen Zugriff Unbefugter auf Rechner von öffentlichem Interesse verbietet.

Zum einen, argumentieren die Anwälte von Morris, habe es innerhalb der Justizbehörde Indiskretionen gegeben, zum anderen sei in der Anklage nicht berücksichtigt, daß Morris beabsichtigt habe, dem unautorisierten Zugriff auf Rechner von öffentlichem Interesse entgegen zu wirken. Außerdem seien weder die Anklageschrift noch das Gesetz völlig eindeutig.

Die Regierungsvertreter widersprechen all diesen Punkten. Bis zur Stattgabe des Antrages werden, so US-Beobachter, noch einige Wochen vergehen.

Robert T. Morris ist der unrühmlich zu Ruhm gekommene Sohn eines Vates, der zu den Unix-Entwicklern der ersten Stunde gehört und darüber hinaus von der US-Regierung mit Fragen der Datensicherheit in Netzen betraut ist (oder war?). Sein Informatik studierender Junior wird beschuldigt, durch ein Störprogramm der Untergruppe "Wurm", das er im November vergangenen Jahres über das US weite Internet an zirka 6200 Rechnern "ausprobiert" haben soll, diese Rechner zum "Absturz" gebracht zu haben. Im wesentlichen wurde Speicherplatz belegt, Daten oder Programme wurden jedoch nicht zerstört. Sachverständige sprechen indes dennoch von einem Schaden in Höhe von 100 Millionen Dollar entstanden durch den Aufwand an Manpower für die Eliminierung des Wurmes.

Der junge Morris wird jetzt als der mutmaßliche Täter (weil auch mutmaßlicher Programmierer des Wurmes) zur Rechenschaft gezogen. Er ist eines "Kapitalverbrechens" angeklagt. Die Strafe kann auf Zahlung von bis zu 250 000 Dollar und bis zu sechs Monate Gefängnis lauten.