Angst verhindert Leistung

11.01.2006
Der Göttinger Hirnforscher Gerald Hüther erklärt im Gespräch mit CW-Redakteurin Alexandra Mesmer, wie Menschen dazulernen und welches Kilma Mitarbeiter brauchen, damit sie Höchstleistungen erzielen.

CW: Bei der Auswahl ihrer Mitarbeiter legen Unternehmen großen Wert auf Schlüsselqualifikationen. Die Mitarbeiter sollen vorausschauend denken und handeln, komplexe Probleme lösen können sowie motiviert und flexibel sein. Kann man sich diese Qualifikationen aneignen?

Hier lesen Sie …

• wie Menschen lernen, vorausschauend zu denken und Probleme zu lösen;

• wie Angst und Stress sich auf die Handlungskompetenz auswirken;

• was Manager tun müssen, damit ihre Mitarbeiter Höchstleistungen erbringen.

Zur Person

Gerald Hüther ist Professor für Neurobiologie an der Psychiatrischen Klinik der Universität Göttingen. Als Grundlagenforscher befasst er sich unter anderem mit dem Einfluss psychosozialer Faktoren und psychopharmakologischer Behandlungen auf die Hirnentwicklung, den Auswirkungen von Angst und Stress und der Bedeutung emotionaler Bindungen. Das Verharren im wissenschaftlichen Elfenbeinturm ist ihm fremd. In seinen Vorträgen erklärt er seinen Zuhörern - die Bandbreite reicht von Kreuzberger Hauptschülern bis zu ausgewählten IT-Managern - plastisch, wie das menschliche Gehirn funktioniert. In seinem neuesten Sachbuch zeigt er mit vielen Beispielen, wofür wir unser Gehirn alles benutzen könnten und wie wir mit ihm umgehen müssen, damit es sein Potenzial entfalten kann.

Gerald Hüther: Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2005, ISBN 3-525-01464-4, 15,90 Euro

Schlüsselqualifikationen testen

Der Wissensunabhängige Kompetenztest (Wuk-Test) prüft Metakompetenzen wie geistige Beweglichkeit, Motivation, Frustrationstoleranz (emotionale Reaktion auf eigene Fehler sowie der Umgang mit ihnen) und Impulskontrolle (Fähigkeit zur dauerhaft zielgerichteten Aufmerksamkeit).

Er konfrontiert jeden Teilnehmer 15 Minuten lang mit wechselnden Hindernisfeldern auf einem Monitor, durch die es per Mausklick einen optimalen Weg zu finden gilt. Arbeitstempo, Vor- und Nachbereitungszeit, Strategie und Richtigkeit der Lösungen sowie die Reaktionen auf eigene Fehler stehen dabei unter Beobachtung. Die Qualität der Bearbeitung wird geprüft und zu einem Gesamtergebnis psychoemotionaler und kognitiver Kompetenzen zusammengefasst. Mehr Informationen gibt es unter www.wuk-test.de.

HÜTHER: Die Fähigkeit, sich erfolgreich Herausforderungen zu stellen, ist keineswegs angeboren oder gar zufällig. Sie wird durch Lernprozesse gewonnen, die auf Erfahrung beruhen. Unabdingbar für die Ausbildung dieser Metakompetenzen ist der Stirnlappen, der das höchste Integrationszentrum des Großhirns darstellt. Von hier aus werden in anderen Hirnregionen gespeicherte Gedächtnisinhalte abgerufen und zu einem Gesamtbild zusammengefügt, um die Informationen für Entscheidungsprozesse und zur Modifikation bestimmter Verhaltensweisen zu nutzen. Je nach Erfahrung und individueller Ausprägung dieser Kontrollfunktionen können Menschen ihr Verhalten in einer Situation, die Initiative erfordert, unterschiedlich gut steuern. Da sich der Stirnlappen sehr langsam ausbildet, ist er in seiner Entwicklung auch sehr durch das soziale Umfeld beeinflussbar.

CW: Können auch Erwachsene noch dazulernen?

HÜTHER: Das menschliche Gehirn bleibt bis ins hohe Alter plastisch, so dass wir nie aufhören, auf diese Weise dazuzulernen: War unsere Vorgehensweise beim Lösen des Problems erfolgreich, können wir auf diese Erfahrung zurückgreifen, wenn uns ein ähnliches Problem begegnet. War sie es nicht, passen wir unser Verhalten neu an. Mit einem größer werdenden Repertoire an etablierten Handlungsoptionen wächst somit auch die Flexibilität gegenüber wechselnden Problemen.

CW: Wie beeinflussen Angst und Stress die Fähigkeit des Menschen, Probleme eigenständig zu lösen?

HÜTHER: Schwierig wird es, wenn man vor zu vielen Problemen steht, die nicht zu bewältigen sind, an denen man scheitert. Dann entstehen negative Erfahrungen, ein negatives Selbstbild. Dann traut man sich nichts mehr zu, man hat schon Angst, wenn wieder etwas Neues kommt. Man verliert so den Mut, neugierig zu sein, und beschränkt sich auf der Suche nach neuen Erfahrungen auf das, was einem schon vertraut ist, was man kennt. Das geht leider sehr vielen Menschen so.

CW: Wie kann man solchen negativen Erfahrungen entgegenwirken?

HÜTHER: Es ist sehr unproduktiv, Dinge ändern zu wollen, die man ohnehin nicht ändern kann. Das kann nur unglücklich machen. Wer also innerlich glücklich und zufrieden mit sich selbst werden will, sollte sich dort betätigen und engagieren, wo er auch etwas bewegen kann.

CW: Welches Klima sollte in einem Unternehmen herrschen, damit Mitarbeiter ihre Aufgaben optimal bewältigen können?

HÜTHER: Angst ist ein Gefühl und lässt sich nur durch ein anderes, entgegengesetztes Gefühl überwinden: Vertrauen. Wir Menschen verfügen über drei Ressourcen, mit deren Hilfe wir Angst und Verunsicherung überwinden können: erstens das Vertrauen in eigene Fähigkeiten, eigenes Wissen und eigene Erfahrungen. Zweitens das Vertrauen in die Fähigkeiten anderer zur Zusammenarbeit, gegenseitigen Hilfe, auch das Vertrauen in das Verständnis, das uns andere entgegenbringen, gehört hierher. Und drittens Vertrauen in etwas, was "die Welt im Innersten zusammenhält", das "Orientierung bietet" und unserem Leben und Leiden Sinn verleiht, also Glaube, Liebe, Hoffnung, wie es so schön pathetisch heißt. Immer dann, wenn man die Erfahrung machen kann, dass eine oder sogar alle drei dieser Angstbewältigungsstrategien hilfreich sind, stellt sich ein gutes Gefühl ein, und das Vertrauen in die Kraft dieser Ressourcen wächst.

CW: Um eine Kultur des Vertrauens scheinen sich aber die wenigsten Firmen zu bemühen.

HÜTHER: Bisher haben sich die Unternehmen nur darum gekümmert, dass die Arbeitskraft ihrer Mitarbeiter erhalten bleibt. Deshalb gibt es Betriebskantinen mit zum Teil sehr ausgewogener Nahrung für das Verdauungssystem. Inzwischen kommt es aber weniger auf die Muskelkraft der Mitarbeiter, sondern auf ihre Motivation, ihre Lust am Gestalten, ihre Begeisterung am Mitdenken an. All das sind psychische oder psychoemotionale Kräfte. Und die müssen eben künftig auch entsprechend "genährt" werden: Durch Wertschätzung, durch das Übertragen eigener Verantwortung, durch erkennbare Strukturen und klare Entscheidungen, durch die Einladung zum Mitwirken und Mitdenken - also durch vertrauensstärkende Maßnahmen.

CW: Welche Rolle fällt dabei den Führungskräften zu?

HÜTHER: "Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken", heißt ein norddeutsches Sprichwort. Deshalb müssen wohl in erster Linie andere Köpfe in die Führungsetagen: teamfähige, umsichtige, sozial kompetente oder ganz einfach - vorbildliche. Eine sehr praktische und sinnvolle Maßnahme wäre es, die bisherigen Personalverwaltungen und Personalleiter zu internen Coaches, zu Beratern, Konfliktlösern und Unterstützern der Belegschaft zu machen. Die alten hierarchischen Strukturen müssten in Partnerschaften umgewandelt werden. Dann könnte auch das Vertrauen wieder wachsen.

CW: Welche Möglichkeiten gibt es, um psychosoziale Kompetenzen bei Mitarbeitern zu messen? Wie aussagekräftig sind diese Instrumente?

HÜTHER: Wie gut ein Mitarbeiter in der Lage ist, mit anderen zusammenzuarbeiten, sie zu motivieren und zu begeistern, zeigt sich meist erst in der Praxis. Das ist nur schwer vorher messbar. Was sich allerdings recht gut bestimmen lässt, ist die Fähigkeit, Probleme zu erkennen, flexibel auf neue Anforderungen zu reagieren, Frustrationen auszuhalten und seine Impulse zu kontrollieren. Wir verwenden hierzu ein computergestützte Testverfahren, den so genannten Wuk-Test, der speziell für Schüler und Jugendliche entwickelt wurde. (Siehe Kasten "Schlüsselqualifikationen testen".)