Populäre TK-Anwendungen/Verdrängt Metro-Ethernet klassische Netztechniken?

Angriff auf die TK-Dinosaurier

08.11.2002
Das populäre LAN-Protokoll Ethernet erobert mit der Einführung von 10-Gigabit-Ethernet auch die öffentlichen Netze. Vor allem im Metro-Bereich locken wirtschaftliche Vorteile nicht nur Netzbetreiber: Die Anwender erwarten Synergieeffekte sowie Einsparungen etwa bei der Standortkopplung. Von Volker Bendzuweit*

Die Fachwelt ist sich weitgehend einig: Ethernet im MAN (E-MAN) wird kommen, denn die niedrigen Kosten, hohen Übertragungsraten, die einfache Implementierung, die vorteilhafte Skalierbarkeit und die durchgängige Ende-zu-Ende-Protokollkonsistenz sprechen für sich. Über den Zeitpunkt einer Einführung auf breiter Ebene wird allerdings zurzeit heftig diskutiert. Es gibt noch einige unbekannte Größen in der Berechnung der Marktchancen für E-MAN.

Anders als bei den zurzeit eingesetzten Technologien ATM und SDH können jedoch Dienstegüte (QoS), Diensteklassen (CoS), Zuverlässigkeit oder Management nicht garantiert werden. Ein echter Preisvergleich ist daher nur bedingt möglich. So kann zwar noch nicht präzise festgelegt werden, für wen sich die neuen E-MAN-Services wirklich rechnen, der harte Wettbewerb wird jedoch bewirken, dass die Carrier die strukturellen Kostenvorteile von Ethernet an die Kunden weitergeben müssen.

Veränderungen in der Netzlandschaft

Bleibt noch die Frage, welche Netzbetreiber diese Dienste in naher Zukunft überhaupt bereitstellen sollen. Die Ex-Monopolisten haben in der jetzigen, von geringer Investitionsbereitschaft geprägten Phase keine Eile, durchgängig auf dem Internet Protocol basierende (All-IP) Netze aufzubauen.

Die Kunden suchen jedoch bereits jetzt Lösungen für die Kostensenkung und beschleunigen die Bereitstellung neuer Netzinfrastrukturen und damit verbundener innovativer Dienste. Davon könnten besonders die alternativen Carrier profitieren. Den Newcomern fällt es wesentlich leichter, neue Technologien einzuführen. Sie sind flexibel genug, um dort zügig neue Strukturen aufzubauen, wo sie von einem oder mehreren Business-Kunden nachgefragt werden. Um die Kundenbasis zu erweitern, können sich die alternativen Netzbetreiber bei der Vermarktung der neuen Services dann auf die jeweilige Region konzentrieren.

So viel jedoch ist jetzt schon klar: Das All-Ethernet-Konzept, also Ethernet als StandardSchnittstelle für alle Telekommunikationsdienste, wird durch die Möglichkeit zur Kostensenkung sowohl auf der Carrier- als auch auf der Kundenseite die Netzlandschaft nachhaltig verändern. Mittelfristig kann es sich kaum ein Anbieter leisten, keine E-MANs anzubieten. Die wirtschaftlichen Vorteile für die Anbieter sind vielfältig: Sie können ihr Serviceangebot um zusätzliche Datendienste erweitern und mit LAN-Kopplungen, Telefonie, Breitband-VPN, Internet-Access, Hosting-Services, SAN und Mietleitungen über Fast-, Gigabit- oder 10-Gigabit-Ethernet neue Einnahmequellen erschließen.

Solch ein Serviceportfolio ließe sich zwar auch über herkömmliche Netzstrukturen bereitstellen, würde sich aber auf Dauer nicht rechnen. Ethernet könnte daher die klassischen Netzwerktechnologien aus dem Metro-Bereich verdrängen oder sie zumindest überlagern, denn nach dem 10-Gigabit-Ethernet-Standard können die E-MAN bereits implementierte SDH/Sonet-Strukturen über die gemeinsame Schnittstelle OC-192 nutzen.

Die Herausforderung für die alternativen Carrier besteht bei der Einführung von E-MANs darin, die Ethernet/IP-Netzinfrastruktur mit derselben hohen Verfügbarkeit und der Dienstegüte wie SDH und ATM bereitzustellen. Traditionelle Carrier müssen sich zwischen zwei Strategien entscheiden: Entweder betreiben sie zwei parallele Netze - das bestehende SDH/ATM-Netz für Sprach- und ein neues Ethernet/IP-Netz für Datendienste - oder sie heben ihre bestehende, auf SDH und ATM basierende Infrastruktur auf das so genannte Next Generation SDH. Damit wandelt sich SDH von einer für Sprachübertragung eingerichteten Technologie auf TDM-Basis zu einem paketorientierten Verfahren, das besser für IP-basierende Datendienste wie Ethernet geeignet ist. So werden E-MAN-Services über SDH möglich.

Wollen die etablierten Netzbetreiber keine Marktanteile an die neuen Marktteilnehmer verlieren, müssen sie schon möglichst früh E-MAN-Services anbieten. Hier sind durchdachte Migrationskonzepte gefragt, die Investitionen schützen und bestehende Strukturen sowie vorhandenes Equipment einbinden. Der erste Schritt ist der Einsatz von Ethernet in den Access-Netzen. Dieser evolutionäre Ansatz, Ethernet zunächst auf der letzten Meile einzuführen, erlaubt es etablierten Netzbetreibern, mit geringem Investitionsaufwand schrittweise attraktive Ethernet-Dienste zu offerieren. Weil Ethernet den Zugang zu verschiedenen Backbone-Netzen erlaubt, lassen sich damit die bestehenden SDH- und ATM-Ressourcen besser ausnutzen.

Bestehende Geräte weiterverwenden

Die Kunden profitieren dabei ebenfalls. Sie können bestehende Geräte auch dann weiterverwenden, wenn der Carrier in einigen Jahren den zweiten Schritt macht und zu einem All-IP-Metronetz, zum Beispiel mit 10-Gigabit-Ethernet als Übertragungstechnologie im Backbone, migriert. Die Einführung von IP-zentrischen Transportverfahren im Fernbereich (WAN) wäre nach dieser Strategie folgerichtig der nächste Schritt.

Wenn ein Kunde zu höheren Bandbreiten wechseln möchte, werden ihm heute oftmals neue, zum Teil auch unterschiedliche WAN-Technologien angeboten. Das erfordert jedoch zusätzliche Investitionen in neue Geräte und erhöht die Komplexität in Bezug auf Administration und Management. Aus Carrier-Sicht bedeutet die Implementierung neuer Dienste hohen Kosten- und Zeitaufwand. Erfahrungen aus der Vergangenheit bestätigen, dass dafür mindestens einige Wochen angesetzt werden müssen. Das verschafft dem schnelleren Wettbewerber vielleicht den entscheidenden Vorsprung.

Ethernet-Strukturen können hier Abhilfe schaffen. Das dynamische Protokoll bietet mit seiner hohen Skalierbarkeit genügend Flexibilität, um eine an den aktuellen Bedürfnissen der Kunden orientierte Full-Service-Lösung anzubieten. Das E-MAN-Konzept reduziert die Administrationskosten vom WAN- auf das LAN-Niveau. Die Kostenvorteile für den Kunden ergeben sich daraus, dass teure Multifunktions-WAN-Router, Multiplexer, FRADs (Frame Relay Access Devices) und ähnliche Geräte durch preiswerte Ethernet-Switches oder LAN-Router ersetzt werden. Weitere Vorteile entstehen durch die Möglichkeit, bei Bedarf neue Dienste oder höhere Bandbreiten entweder vom NOC (Network Operation Center) des Carriers oder direkt durch den Kunden über eine Management-Konsole zu aktivieren.

Implementierung von Dienstegüte

Um in den neuen E-MANs qualitätsorientierte Dienste wie Sprache und Video gemeinsam mit Datendiensten kombinieren zu können, sind neben dem Netzwerk-Management auch die Implementierung von QoS-Mechanismen wie 802.3p/q und MPLS sowie Verfahren zur Erhöhung der Verfügbarkeit zum Beispiel mit RPR (Resilient Packet Ring) erforderlich.

Sind solche innovativen E-MAN-Konzepte erst einmal eingeführt, tut sich ein weiteres Migrationsproblem auf - diesmal auf der Kundenseite: Wenn die neuen Transportnetze von Anfang an akzeptiert werden sollen, müssen die bestehenden, nicht IP-fähigen Technologien, Altsysteme, Anwendungen und Schnittstellen beim Kunden berücksichtigt werden.

Ein Migrationskonzept für den Anschluss traditioneller TDM-Anwendungen basiert auf der einfach zu installierenden TDM-overIP-Technologie. TDMoIP-Gateways können alle erdenklichen Anwendungen kostengünstig auf T1/E1-Verbindungen (oder T3/E3) über Ethernet/IP-Paketnetze vollkommen transparent transportieren. Als typische Anwendung sei hier die Kopplung von Telefonanlagen genannt, wobei nicht nur die Nutzkanäle transparent übertragen werden, sondern auch die Signalisierungsinformationen. So bleiben im Unterschied zu Voice over IP sämtliche von ISDN vertrauten Leistungsmerkmale erhalten.

Wie hoch ist das Einsparpotenzial?

Um die Definition standardisierter Metro-Ethernet-Services bemüht sich das Metro Ethernet Forum (MEF). In einer kürzlich veröffentlichten Studie "Metro Ethernet Services for the Enterprise" fasst das MEF die Vorteile von Ethernet-Technologien im Metrobereich zusammen und dokumentiert das enorme Einsparpotenzial mit Fallbeispielen. Als Vorteile der neuen Technologie wurden insbesondere herausgestellt:

- Flexible Skalierung von Diensten von 1 Mbit/s bis 1 Gbit/s in Schritten von 1 Mbit/s, wodurch teure Überbuchungen von traditionellen TDM-Bandbreiten vermieden werden.

- Ökonomische Bereitstellung von Diensten und deren Erweiterung durch Konzentration aller Kommunikationsformen auf eine Gigabit-Ethernet-Schnittstelle und Ersatz von teuren WAN-Routern und FRADs durch Layer-2/3-Switches.

- Senkung der Einrichtungs- und Betriebskosten durch die im Vergleich simple Ethernet Technologie.

- Schnelle Bereitstellung und Änderung von Diensten durch Point-and-Click-Verfahren für die Auswahl von Bandbreiten ohne die physikalischen Netzanschlüsse zu verändern.

In einem realistischen Fallbeispiel - ein Unternehmen kommuniziert aus der Firmenzentrale mit vier Niederlassungen - werden die Einsparungen für die gesamte Datenkommunikation über einen Zeitraum von drei Jahren mit einer Kostenreduzierung von bis zu 77 Prozent beziffert. Basis für diese Rechnung ist der Ersatz von bisherigen T1/T3-Standleitungen beziehungsweise Frame-Relay-Verbindungen durch eine Metro-Ethernet-Lösung mit abgestuften und an die jeweiligen Anforderungen angepassten Übertragungsraten zwischen drei und 36 Mbit/s. Den Gesamtkosten von 2 753 656 Dollar für traditionelle Standleitungen respektive 2 324 226 Dollar für Frame-Relay-Verbindungen stehen laut Studie nur 624 174 Dollar bei Anschluss über E-MAN gegenüber.

Unabhängig davon, wie der Wettstreit zwischen den alternativen und etablierten Netzbetreibern um die Marktanteile ausgeht - wenn sich Ethernet im MAN durchsetzt, zählen in jedem Fall die Kunden zu den Gewinnern, weil sie zu geringeren Kosten mehr Bandbreite erhalten. (ave)

*Volker Bendzuweit ist Geschäftsführer der RAD Data Communications GmbH in Ottobrunn bei München.

Glossar:

802.3p/q: Erweiterung der Layer-2-Pakete um Prioritätsinformationen;

ATM: Asynchroner Transfermodus;

IP: Internet Protocol;

LAN: Local Area Network, lokales Netz;

MAN: Metropolitan Area Network, Metronetz;

MPLS: Multi Protocol Label Switching;

RPR: Resilient Packet Ring;

SDH: Synchrone Digitale Hierarchie;

SLA: Service Level Agreement;

Sonet: Synchronous Optical Network, Basistechnologie für SDH;

STM-1: Synchrones Transportmodul 1, die erste Hierarchiestufe von SDH;

TDM: Time Division Multiplexing, Zeitschlitz-Multiplexverfahren;

WAN: Wide Area Network, Weitverkehrsnetz.

Metro Ethernet Forum beschleunigt Ethernet-Dienste

Als Ziel hat sich das MEF auf die Fahnen geschrieben, die Anerkennung von optischen Ethernet-Lösungen als die weltweit favorisierte Technologie in Metronetzwerken zu beschleunigen. Ziel der aus 70 Mitgliedern bestehenden Organisation (zu erreichen unter www.ethernetforum.org) ist die Erarbeitung von Spezifikationen für standardisierte Dienste über Ethernet sowie die Bestätigung der Interoperabilität von Produkten verschiedener Hersteller. Die Aufgaben konzentrieren sich im Wesentlichen auf fünf Bereiche:

- Vereinbarungen zur Implementierung bereits bestehender Standards wie zum Beispiel MPLS, RPR und SDH;

- Testprozeduren für Interoperabilitätstests;

- Positionierungsstatements zur Unterbreitung von Vorschlägen zu neuen Standards bei den existierenden Gremien;

- technische Spezifikationen für neue Standards des MEF;

- Marketing zur Schulung der Anwender und schnellen Verbreitung der Technologie.

Mit Ethernet Service Definitions Draft 2.0 wurden Mitte August dieses Jahres die ersten drei Metro-Ethernet-Dienste definiert, so dass Service-Provider ihren Kunden bereits standardisierte Dienste offerieren können:

- EVPLS (Ethernet virtual private line services) ermöglichen Punkt-zu-Punkt-Verbindungen, die bestehende Festverbindungen oder Frame Relay Links ersetzen - mit den Vorteilen der Kostensenkung und Skalierbarkeit von Ethernet;

- EPLnS (Ethernet private LAN services) erlauben die Verbindung von mehreren Standorten in einem virtuellen privaten Metronetz mit denselben Leistungsmerkmalen, die lokale Ethernet-LANs bieten;

- CES (circuit emulation services) machen den Transport von TDM-Verbindungen über Metro- Ethernet-Netzwerke möglich.

Das steigende Interesse und die rasche Marktdurchdringung von Metro-Ethernet wird durch die Tatsache unterstrichen, dass nun auch drei etablierte Carrier - France Télécom sowie die US-amerikanischen Telekommunikationsriesen Bellsouth und SBC Communications - in dem neunköpfigen MEF-Aufsichtsgremium vertreten sind.

Abb: All-Ethernet basierte Netzwerkarchitektur

Ethernet als Standardschnittstelle für alle Telekommunikationsdienste bringt vor allem Kostenvorteile. Darüber hinaus erschließt es neue Datendienste. Quelle: RAD Data Communication