Kunden sollten momentan keine weiteren Verträge abschließen

Analysten warnen vor Serviceproblemen bei Worldcom

05.07.2002
CLINTON (CW) - Analysten raten den Worldcom-Kunden weltweit zur Vorsicht. Angesichts des Bilanzskandals und der angekündigten Entlassung von 17 000 Mitarbeitern werde der US-amerikanische Konzern kaum in der Lage sein, die Qualität seiner Services zu gewährleisten. Deshalb sollten aktuelle Verhandlungen ausgesetzt sowie auslaufende Verträge nur kurzfristig verlängert werden.

"Es ist mit erheblichen Beeinträchtigungen des Datenverkehrs im Worldcom-Netz zu rechnen", prognostiziert Helmut Brunner, Director Consulting für die Bereiche Infrastruktur, Network Integration und Telekommunikation bei der Meta Group. Die Tatsache, dass Worldcom von der Insolvenz bedroht sei und dass 28 Prozent der Belegschaft entlassen werden, könne die Qualität der Dienstleistungen stark beeinträchtigen.

Worldcom-Kunden sollten sich deshalb um Ausweichpläne kümmern, rät Gartner-Analyst Eric Paulak. Neue Verträge dürften nicht unterzeichnet werden, bis die finanzielle Situation des US-amerikanischen Telekommunikationsriesen geklärt sei und weitere Garantien für Bankkredite vorlägen. Auslaufende Verträge sollten nur kurzfristig bis maximal sechs Monate verlängert werden. Unternehmen, die ihren Internet-Auftritt von Worldcom oder einem Tochterunternehmen betreuen lassen, täten gut daran, sich um eine Kopie der entsprechenden Daten zu kümmern und sich nach einem Alternativ-Hoster umzusehen. Generell sollten alle Worldcom-Kunden die Qualität der Services sowie der Netzinfrastruktur schriftlich dokumentieren, damit sie etwas in der Hand haben, sollte es zu Problemen und in der Folge zu gerichtlichen Auseinandersetzungen kommen.

Trotz aller Hiobsbotschaften ist auf Kundenseite momentan noch keine Panik zu spüren. Frank Hartmann, Sprecher der Deutschen Börse in Frankfurt am Main, macht sich vorerst keine Sorgen. Worldcom sei nicht der einzige Telecom-Provider der Börse. Der Handel mit den Banken funktioniere aus Sicherheitsgründen über zwei verschiedene Netzverbindungen unterschiedlicher Provider. Der andere Anbieter könne einen drohenden Ausfall des Worldcom-Netzes auffangen.

Auch Markus Berner, Unternehmenssprecher des Worldcom-Kunden SAP, sieht keine Probleme auf den deutschen Softwarehersteller zukommen. Der US-amerikanische Carrier sei kein globaler Dienstleister für die SAP. Man arbeite mit einer Reihe von Providern zusammen, die unterschiedliche Kommunikationsdienstleistungen für das Walldorfer Unternehmen erbrächten.

Problematisch sei jedoch, dass auch die anderen Anbieter in aller Regel nicht die gesamte, für ihr Geschäft notwendige Infrastruktur kontrollierten, warnt Brunner von der Meta Group. Oft würden gegen Entgelt Netzteile von anderen Carriern genutzt. Probleme gebe es zum Beispiel, wenn ein Telco-Unternehmen für seine Überseeverbindungen in die USA auf einen anderen Carrier baue.

Welcher Carrier ist der Nächste?

KPN Qwest, das in diesem Bereich über eine breit ausgebaute Infrastruktur verfügt, steht unmittelbar vor der Pleite. Ein Bankrott und das damit verbundene Abschalten des Netzes könnte den Betrieb anderer Gesellschaften empfindlich beeinträchtigen. Momentan sei es schwer zu beurteilen, welche Carrier vor einem ähnlichen Schicksal wie Worldcom ständen. Für gesicherte Prognosen sei man auf korrekte Daten der Wirtschaftsprüfer angewiesen.

Nach Einschätzung von Scott Cleland, CEO des Beratungsunternehmens The Precurser Group, könnte eine Worldcom-Pleite eine Reihe weiterer Firmen mit in den Abgrund reißen. Es drohe eine Kettenreaktion, die die gesamte TK-Branche straucheln lassen könnte. Potenzielle Insolvenzkandidaten seien beispielsweise Qwest oder Sprint.

Inzwischen steht auch der US-Carrier Qwest im Visier der US-amerikanischen Börsenaufsicht SEC (Securities and Exchange Commission). So prüft die Finanzbehörde nach einem Bericht des "Wall Street Journal", ob Umsätze in Höhe von 1,4 Milliarden Dollar aus den Jahren 2000 und 2001 korrekt verbucht wurden. Das Unternehmen werde verdächtigt, Einnahmen, die aus Tauschgeschäften von Netzkapazitäten mit anderen Carriern resultierten, auf einmal verbucht zu haben, statt der Laufzeit der Verträge entsprechend auf mehrere Jahre verteilt. Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, befürchten Insider, dass der mit einem Schuldenberg von 26,6 Milliarden Dollar belastete TK-Anbieter in eine ähnliche Krise schlittert wie Worldcom.

Doch auch Unternehmen außerhalb der Telko-Branche könnten in den Sog einer Worldcom-Pleite hineingerissen werden. Bedroht sind beispielsweise die Hersteller von Hardware für die Netzinfrastruktur. Zwar will keiner der Großen eine Abhängigkeit von Aufträgen seitens Worldcoms zugeben. Insider gehen jedoch davon aus, dass Firmen wie Lucent, Juniper oder Nortel, denen bereits seit einiger Zeit das Wasser bis zum Hals steht, noch tiefer in die Krise rutschen könnten.

Auch der Dienstleister Electronic Data Systems (EDS) könnte von dem Worldcom-Skandal betroffen sein. Der Telco-Anbieter steuert immerhin mit 600 Millionen Dollar rund 2,5 Prozent zum Gesamtjahresumsatz von EDS bei.

Worldcom droht der Ausverkauf

Im Rahmen eines 1999 abgeschlossenen Outsourcing-Vertrags mit einem Volumen von 6,4 Milliarden Dollar über eine Laufzeit von zehn Jahren kümmert sich der Dienstleister um den Rechenzentrumsbetrieb von Worldcom. Im Gegenzug versorgt der Carrier das Serviceunternehmen mit Kommunikationsdienstleistungen im Wert von etwa 600 Millionen Dollar jährlich. Ein EDS-Sprecher erklärte, er gehe davon aus, dass die Verträge erfüllt würden. Aus Firmenkreisen verlautete aber, dass die Konditionen eventuell neu verhandelt werden müssten. Welche finanziellen Konsequenzen dies haben könnte, ist noch nicht absehbar.

Unklar sind augenblicklich auch die Auswirkungen auf die globale Internet-Infrastruktur. Worldcom verfügt über ein weltweit verteiltes Netz von 150000 Kilometern Glasfaser. Nach eigenen Angaben sind in über 100 Stadtnetzen rund 45000 Gebäude in lokalen Netzen zusammengeschaltet. Sollte Worldcom Bankrott gehen, droht die Abschaltung oder der Ausverkauf der Netzinfrastruktur. Zuletzt konnte in Europa erst in letzter Sekunde der Betrieb des Netzes von KPN Qwest gesichert werden. Allerdings befürchten die Verantwortlichen, dass das 300 Millionen Euro teure Netz im Konkursverfahren verramscht wird. Insider rechnen mit einem Erlös von gerade einmal 15 Millionen Euro. Ein ähnliches Debakel könnte auch dem Worldcom-Netz drohen. (ba)

Der Bilanzskandal bei Worldcom

Laut einer internen Prüfung wurden in den vier Quartalsberichten des Geschäftsjahres 2001 sowie im ersten Quartal 2002 Ausgaben als Investitionen verbucht. Mit diesem Trick haben die Verantwortlichen den Gewinn vor Steuern und Abschreibungen (Ebitda) um 3,85 Milliarden Dollar zu hoch ausgewiesen. Als Folge wird Worldcom die von den Fehlbuchungen betroffenen Bilanzen neu vorlegen müssen. Die dort ausgewiesenen Gewinne von 1,4 Milliarden Dollar für 2001 sowie die 130 Millionen Dollar im ersten Vierteljahr 2002 werden sich mit den notwendig gewordenen Korrekturen in einen Verlust verwandeln. Wie hoch dieser genau sein wird, steht bislang noch nicht fest.

Den schwarzen Peter für die geschönten Bilanzen will sich keiner der Beteiligten zuschieben lassen. So behaupten die Verantwortlichen des durch die Enron-Pleite schwer angeschlagenen Buchprüfungsunternehmens Andersen, die die Worldcom-Bücher geprüft und zertifiziert haben, dass ihnen dessen Management wichtige Informationen vorenthalten habe. Die Führungskräfte geben sich jedoch ahnungslos. Firmenchef John Sidgmore, der das Ruder erst Ende April dieses Jahres von Unternehmensgründer Bernard Ebbers übernommen hat, erklärt: "Unsere Führungsspitze ist schockiert von diesen Entdeckungen."

Neben dem finanziellen Debakel drohen Worldcom mittlerweile auch rechtliche Schritte. So hat die US-amerikanische Börsenaufsicht SEC (Securities and Exchange Commission) bei einem New Yorker Bundesgericht Anklage wegen Betrugs eingereicht. Ferner will SEC-Chef Harvey Pitt dem Unternehmen mittels richterlicher Verfügung verbieten, Firmenwerte zu veräußern, Dokumente zu vernichten sowie Gehälter der Führungs-Manager auszubezahlen. Das US-Justizministerium prüft zurzeit, Worldcom wegen Anlage-, Bank- und Postbetrugs anzuklagen. US-Präsident George Bush bezeichnete die Manipulation der Bücher als "unerhört" und forderte, den Bilanzskandal lückenlos aufzuklären. Am 8. Juli sollen Sidgmore und Ebbers sowie der gefeuerte Finanzchef Scott Sullivan vor dem Bankenausschuss des US-amerikanischen Repräsentantenhauses aussagen.

Das Schicksal des bereits mit rund 30 Milliarden Dollar in der Kreide stehenden Unternehmens liegt nun in den Händen der Banken. Experten befürchten, dass die Geldinstitute die noch verfügbaren Kreditlinien in Höhe von 5,6 Milliarden Dollar sperren werden. Sollten dann noch die laufenden Verhandlungen über einen weiteren Kredit in Höhe von fünf Milliarden Dollar scheitern sowie die Rückzahlung eines Ende Mai gewährten Darlehens von 2,6 Milliarden Dollar gefordert werden, scheint ein Konkurs sehr wahrscheinlich, prophezeit John Hodulik, Telekommunikationsexperte bei UBS Warburg.

Mittlerweile droht dem Telco-Anbieter der Ausverkauf. So prüfen die Geldinstitute bereits den Wert verschiedener Worldcom-Töchter. Der US-amerikanische Festnetzbetreiber IDT Corp. hat zwischen drei und vier Milliarden Dollar für die Sparte MFS Communications offeriert, die Ortsgespräche für Geschäftskunden anbietet. Vor sechs Jahren hat Worldcom noch 16 Milliarden Dollar für MFS gezahlt.