Altsysteme werden noch bis zum Jahr 2005 gewartet

Amdahl verabschiedet sich von ECL-Mainframes

20.02.1998

"Amdahls Millenium-700-Server sind die leistungsstärksten und schnellsten am Markt verfügbaren CMOS-Systeme", verkündeten die Marketiers des Herstellers zur Vorstellung der jüngsten Mainframe-Baureihe. Mit der Verfügbarkeit dieser Rechner, so das Kalkül der Kalifornier, bestehe für Kunden keine Notwendigkeit mehr, die einst leistungsmäßig überlegenen, gleichwohl wesentlich teureren ECL-Maschinen weiter zu betreiben (ECL = Emitter-coupled Logic). Allerdings sind allein in Deutschland noch mehrere hundert derartige Großrechner installiert, wie Friedrich Hauger, Produkt-Marketing-Manager bei der deutschen Amdahl-Dependance, einräumt.

Amdahl habe lediglich die Neuproduktion der ECL-Systeme eingestellt, betont Hauger. Die Altsysteme würden mindestens bis zum Jahr 2005 weiter gewartet. Etliche dieser Rechner seien noch nicht abgeschrieben. Es gebe etwa Kunden, die erst vor zwei Jahren einen ECL-Mainframe angeschafft hätten. Damals existierte in puncto Rechenleistung noch keine Alternative im CMOS-Bereich. Diese Anwender beabsichtigten, die Rechner weit über den Jahrtausendwechsel hinaus einzusetzen. Hauger: "Wir erwarten deshalb keinen übermäßig schnellen Wechsel auf CMOS-Großrechner."

Mark Lillycrop vom britischen Marktforschungsunternehmen Xephon beurteilt die jüngsten Bemühungen Amdahls zurückhaltend. Ob sich die Abkehr von der ECL-Technik für den Hersteller auszahle, könne gegenwärtig noch nicht festgestellt werden, so der Analyst. Tatsache sei jedoch, daß der Schritt für die Kalifornier unumgänglich war. Amdahl sei gezwungen gewesen, den gleichen CMOS-Kurs zu gehen, den auch IBM eingeschlagen habe. Beide Unternehmen hätten sehr viel Geld in diese Entwicklungen gesteckt. Amdahl verwette nun seine Zukunft vollständig auf die CMOS-Technik. Die anhaltende Popularität von Hitachis ECL-basierten "Skyline"-Rechnern sei jedoch ein Indiz dafür, daß etliche Anwender noch nicht zu einem Umstieg auf CMOS bereit seien.

Ohnehin sei die Kundenbasis Amdahls in letzter Zeit beträchtlich zusammengeschrumpft, so Lillycrop. Für den Anbieter gehe es nunmehr um die Frage, ob bestehende Kunden bei der Stange gehalten werden können. Die Tatsache, daß man jetzt etwas schnellere Prozessoren besitze, sei alleine kein Argument für die Anschaffung einer Amdahl-Maschine. Lillycrop: "Amdahls Mainframe-Business ist längst nicht mehr so gesichert, wie es einmal war."

Bei den ECL-Maschinen Amdahls handelt es sich um die Modellreihe "5995 M" mit einer Rechenleistung von 100 bis 530 MIPS im Single-Image-Modus. Diese Leistungsgrenze soll mit den CMOS-Rechnern der 700er Serie auf 686 MIPS angehoben werden. Die Einzelprozessor-Leistung liegt den Angaben zufolge bei 80 MIPS (siehe Seite 16).

IBMs Parallel-Sysplex-Preisgestaltung habe dazu beigetragen, daß die alten ECL-Systeme trotz ihres hohen Platzbedarfs weiterhin eingesetzt würden, meint Hauger. Die großen Maschinen eigneten sich etwa gut dazu, dezentrale Server-Systeme zu konsolidieren. Kunden, die mit ihren ECL-Rechnern an Kapazitätsgrenzen stoßen, bietet Amdahl zwei Wege an, die Leistung zu erhöhen. Zum einen bestehe die Möglichkeit, eine CMOS-Maschine über einen Parallel-Sysplex-Verbund zusätzlich zu installieren. Die zweite Variante ist der komplette Austausch des ECL-Modells durch ein CMOS-System - der Hersteller spricht euphemistisch von einem "wirtschaftlichen Upgrade". Ein physikalisches Upgrade von ECL- auf CMOS-Technik ist wegen der unterschiedlichen Designkonzepte bei keinem Mainframe-Anbieter möglich. So nimmt beispielsweise ein Amdahl-ECL-Rechner vom Typ 5995 M - vor allem wegen der integrierten Wasserkühlung - etwa 40 Quadratmeter Stellfläche ein. Die neuen 700er CMOS-Rechner beanspruchen gerade einmal zwei Quadratmeter. Für die CMOS-Technik sprechen auch der wesentlich geringere Stromverbrauch (Amdahl gibt Einsparungen um den Faktor 30 an) und die niedrigeren Herstellungskosten.

Eine Ablösung der ECL-Rechner werde in der Praxis hauptsächlich aus wirtschaftlichen Gründen vorgenommen, also wenn die Maschine abgeschrieben ist, glaubt Hauger. In vielen Fällen sei dies noch nicht geschehen. Da die Anwender aber meistens mehrere Mainframes installiert hätten, könne etwa ein kleineres ECL-System durch eine 700er CMOS-Maschine ausgetauscht werden. Besitzer von Rechnern der zuerst vermarkteten CMOS-Baureihe "500" könnten auf die 700er-Technik aufrüsten.

Bei der Mannesmann Datenverarbeitung GmbH in Ratingen sieht man die Entscheidung Amdahls, ausschließlich CMOS-Rechner zu produzieren, eher positiv. "Dem Anwender ist es völlig egal, auf welcher technischen Infrastruktur seine Software läuft. Hauptsache, sie läuft und wird zu wirtschaftlich sinnvollen Konditionen angeboten", so Geschäftsführer Jürgen Kratz. Die Einstellung von Amdahls ECL-Produktlinie habe für das Unternehmen keine nachteiligen Auswirkungen. Entscheidend seien die gesamten Betriebskosten, die eine Anwendung verursache, nicht der Abschreibungszeitraum oder die zugrundeliegende Technologie. Einen Wartungszeitraum bis zum Jahr 2005 hält Kratz für mehr als ausreichend. Die ECL-Maschinen würden in der Regel nicht über den Abschreibungszeitraum hinaus betrieben.

Der IT-Dienstleister hat sowohl CMOS-basierte Mainframes als auch mehrere voll ausgebaute ECL-Systeme im Einsatz. Mit der zunehmenden Leistungsfähigkeit der CMOS-Prozessoren könne der Bedarf der Kunden ausreichend abgedeckt werden, so Kratz. Die Einbindung von zusätzlichen CMOS-Rechnern in einen gemischten Parallel-Sysplex-Verbund stellt für ihn kein Problem dar. Ein Wechsel zu Hitachi, dem einzigen Hersteller in dieser Leistungsklasse, der noch immer ECL-Systeme anbietet, komme nicht in Frage.

Die Deutsche Krankenversicherungs AG in Köln hat den Wechsel auf die CMOS-Technik bereits vollzogen - allerdings ohne Amdahl. Die einstmals installierten ECL-Großrechner, darunter auch ein Amdahl-System, sind im Dezember 1997 durch zwei CMOS-Systeme von IBM ersetzt worden. Die Kapazität der bipolaren (ECL-)Mainframes sei ausgereizt gewesen, so ein IT-Verantwortlicher des Ver- sicherers.

Zum Zeitpunkt der Umstellung habe Amdahl aber kein den ECL-Rechnern ebenbürtiges CMOS-System liefern können. Deshalb entschied man sich für zwei IBM-CMOS-Mainframes der vierten Generation (Typ "R 65"), die ein ähnliches Leistungsniveau wie die alten bipolaren Systeme aufwiesen. Allerdings stießen auch diese Systeme schon wieder an Leistungsgrenzen, weshalb eine Aufrüstung auf leistungsstärkere "R-95"-Maschinen erwogen wird. Die Anschaffung eines CMOS-basierten Amdahl-Systems sei damit aber nicht ausgeschlossen.