Wozu noch Verlage?

Amazon.com nimmt Autoren selbst unter Vertrag

18.10.2011
Von 
Thomas Cloer war Redakteur der Computerwoche.
In den USA übernimmt der weltgrößte Online-Händler Amazon.com immer öfter selbst die Rolle des Verlegers und krempelt damit den etablierten Literaturbetrieb um.

Es steht zu erwarten, dass dies mit der üblichen zeitlichen Verzögerung auch hierzulande passieren wird - Autoren, Verlage und Literaturagenten sollten sich darauf schon jetzt gefasst machen. Allein in diesem Herbst wird Amazon in den USA 122 eigene Titel veröffentlichen, sowohl in physischer Form wie auch als E-Book, berichtet die "New York Times". Und nimmt dabei durchaus eine Menge Geld in die Hand - für die Memoiren der Schauspielerin und Regisseurin Penny Marshall soll Amazon nach Angaben eines Insiders 800.000 Dollar hingeblättert haben.

Verleger beklagen sich darüber, dass Amazon einige ihrer Top-Autoren direkt angeht und dabei Verlage, Kritiker und Agenten außen vor lässt. "Die Verlage haben Angst und wissen nicht, was sie tun sollen", sagt zum Beispiel Dennis Loy Johnson von Melville House. "Jeder fürchtet sich vor Amazon", gesteht auch der langjährige Agent und E-Book-Verleger Richard Curtis. "Als Buchhändler konkurrieren Sie schon länger mit Amazon. Als Verleger wachen Sie eines Morgens auf und Amazon konkurriert auch mit Ihnen. Und als Agent klaut Amazon Ihnen möglicherweise das Mittagessen, weil es Autoren direkt veröffentlichen lässt und Sie übergeht." Das sei die alte Strategie vom Teile und Herrsche, so Curtis weiter.

Das räumt auch der Amazon-Manager Russell Grandinetti freimütig ein. "Im Prozess des Publizierens sind nur zwei Personen unverzichtbar - der Autor und der Leser", sagt er. "Und jeder, der zwischen beiden steht, hat sowohl Risiken wie auch Chancen." Dazu passt, dass Amazon-Gründer Jeff Bezos bei der Vorstellung der jüngsten Kindle-Generation die Lesegeräte wiederholt als "End-to-end-Service" bezeichnet hatte.

Und Amazon ist durchaus in der Lage, seine eigenen Bestseller zu kreieren. Der Konzern erwarb beispielsweise vom Münchner damaligen Jungautoren Oliver Pötzsch die Rechte an dessen historischem Roman "Die Henkerstochter", übersetzte ihn Deutschen ins Englische und hat mittlerweile mehr eine Viertelmillion E-Books von "The Hangman's Daughter" verkauft.

"Das Tolle an Amazons Verlagsprogramm ist, dass es da diese Graswurzel-Phänomene geben kann", sagt Bruce Nichols vom Houghton Mifflin Harcourt, wo das Pötzsch-Buch diesen Sommer neu aufgelegt wurde. Man darf gespannt sein, wie und wann Amazon in ähnlicher Weise den deutschen Markt angeht.