Wahre Führungskompetenz zeigt sich in der Krise

Am Aufschwung arbeiten

08.10.2002
Um aus Resignation und Stagnation herauszukommen, ist der "mentale" Aufschwung gefragt. Dieser lässt sich, so die Experten, nur mit Kreativität, Ehrlichkeit und viel Teamarbeit erreichen. Von Ina Hönicke

Seit Monaten schwanken Experten und Medien zwischen der Zuversicht über einen nahenden Aufschwung und der Frage, ob die wirtschaftliche Lage nun auch formal eine Rezession genannt werden darf. Fest steht: Die IT-Branche leidet unter dem enttäuschenden E-Business-Geschäft, die Medienbranche an der Werbeflaute, und auch die Dienstleister ächzen und wackeln.

Da keiner weiß, ob und wann es besser wird, beschäftigen sich Experten mit folgender Frage: Wie sollten Führungskräfte und Mitarbeiter mit der Situation am besten umgehen? Einer von ihnen ist der Münchner Sozial- und Wirtschaftspsychologe Dieter Frey - für Kritik am Top-Management durchaus bekannt. Bereits im Jahre 1995 sorgte er mit seiner These "Führungsmängel bringen Unternehmen um den Re-Engineering-Erfolg" für Aufruhr.

Harsch fällt seine Kritik auch heute aus: "Gute Topmanager müssten auf eine Krise wie diese vorbereitet sein. Leider gibt es zu wenige von ihnen. Deshalb reagieren viele mit dem einzigen Mittel, das sie offenbar kennen - mit Personalabbau." Frey fordert die Manager auf, ihre Mitarbeiter über den Status quo ehrlich zu informieren, sich mit ihnen an einen Tisch zu setzen und auch Tabuthemen wie Ängste anzusprechen. "Wer damit Probleme hat, darf sich nicht scheuen, Coaches, Supervisoren oder Psychologen zu Hilfe zu holen."

Innere Kündigung vermeiden

Würden solche Gespräche nicht geführt, blieben nicht nur wichtige Faktoren wie Kreativität, Motivation und Spontanität auf der Strecke. Es würden sich auch immer mehr Mitarbeiter in die innere Kündigung zurückziehen. Der Münchner Wirtschaftsexperte: "Nur wenn die Unternehmen ihren Mitarbeitern eine Vision geben und die Menschen wieder gestalten können, gibt es einen Hoffnungsschimmer, aus dieser gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stagnation herauszukommen."

Seine Thesen, wie die Firmen in einer Krise mit den Mitarbeitern umgehen sollten, stoßen indes nicht überall auf Zustimmung. Thomas Siegner, Mitglied der Geschäftsleitung des Münchner Softwarehauses Softlab, reagiert mit Skepsis. Seiner Meinung nach geht es weniger um die Befindlichkeiten von Individuen, sondern um den Zustand von Organisationen. Davon abgesehen dürften solche Aspekte nicht erst in schlechteren Zeiten angegangen werden: "Natürlich glaube auch ich, dass das Bedürfnis der Menschen nach psychologischer Unterstützung in schlechten Zeiten groß ist." Aber genau hier beginne das Dilemma: Solange die Unternehmen sich Supervisoren und Coaches leisten können, ist der Leidensdruck nicht groß - und wenn er dann groß ist, fehlen die finanziellen Mittel, um mehr Berater ins Haus zu holen.

Siegner nimmt Softlab als Beispiel: "Früher hatten wir mehr Ressourcen - aus diesem Grund vielleicht sogar mehr Spaß. Da es aber nicht gerade sinnvoll ist, jeden Tag zerknirscht ins Büro zu gehen und an die guten alten Zeiten zu denken, haben wir eine Art Sinndiskussion in Gang gesetzt." Um einen Wertekonsens zu formulieren, versuchte man herauszufinden, was die Firma von anderen unterscheidet. Siegner: "Wir haben die Kernwerte des Unternehmens für uns definiert. Unter anderem wollen wir nicht getrieben werden - wir wollen selbst etwas treiben." Ein Unternehmen müsse eine Semantik entwickeln, die jenseits von Forecasts oder Quartalsergebnissen liege. Wer sich erst in der Konjunkturflaute mit sozialen und psychologischen Aspekten beschäftigt, ist laut Siegner spät dran.

Auf der gleichen Welle schwimmt Günter Köster, Chief Information Officer (CIO) bei Dynamit Nobel in Troisdorf. Seiner Meinung nach muss der Umgang mit Mitarbeitern konstant gefördert und konstruktiv gestaltet werden: "Die gute Leistung und die Effektivität der Mitarbeiter zählen letztlich in jeder wirtschaftlichen Situation. Klare Ziele, Zielvorgaben und die Einhaltung von Commitments sind wichtige Instrumentarien - und zwar nicht nur in Flauten." Köster räumt indes ein, dass es für die Führungskräfte in rezessiven Zeiten um einiges leichter ist, die Kontinuität von Leistung und Innovation vorzuleben.

Freiräume schaffen

Um Krisen zu überwinden, seien Kreativität und Phantasie unabdingbar. Allerdings habe Kreativität nur in solchen Unternehmen genügend Nährboden, in denen ausreichende Freiräume, Gestaltungsspielräume und Mut zur Lücke angesagt seien. Köster bedauert, dass in der westlichen Wirtschaft unternehmensübergreifende Kreativrunden beispielsweise bis dato nur ein unvollendeter Ansatz sind. Der IT-Manager: "Zu viele Bereichs-Egoismen stehen dem Erfolg im Weg." Köster ist überzeugt, dass die Bedeutung des so genannten Creative Value, respektive Human Value, hier zu Lande erst dann erkannt wird, wenn er einen Bilanzierungsposten darstellt: "Unternehmer und Arbeitnehmer müssen Konsens darüber erzielen, dass der Shareholder Value ohne den Human Value nicht erreicht werden kann."

Warum sonst seien wertorientierte Unternehmen mit einer ausgewogenen und fairen Kultur in ihren Leistungen meist effektiver als andere? Wenn Köster in die Zukunft schaut, sieht er in puncto Wettbewerbsvorteile und neue Märkte vor allem transparentes Wissen, Offenheit und Vertrauen: "Dem Wirtschaftsfaktor Information und Wissen eine wesentliche Bedeutung beizumessen ist meines Erachtens die Botschaft der Zukunft."

Antonio Schnieder, Vorsitzender der Geschäftsleitung des Beratungsunternehmens Cap Gemini Ernst & Young, kann den Thesen des Wirtschaftspsychologen Frey durchaus Positives abgewinnen. Als Berater stehe er jedoch vor einem ganz anderen Problem: "Die Bereitschaft der Unternehmen, Gespräche über Qualifikation, Wertvorstellungen oder gar Visionen zu führen, ist momentan nicht sehr groß. Auch Strategieberatung im Sinne einer Erschließung neuer Märkte steht auf der Prioritätenliste sehr weit unten." Derzeit drehe sich alles nur um das Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen.

Produktnachfrage stimulieren

Dabei könne kein Unternehmen langfristig ausschließlich mit einem Fokus auf Kostensenkung geführt werden, im Gegenteil: Die Firmen müssten versuchen, sich am Markt neu zu positionieren und die Nachfrage nach Produkten zu stimulieren. Fragt Schnieder: "Wenn das Management nicht sagen kann, wie der Weg in die Zukunft aussieht, wenn es keine Vision liefern kann - wie sollen die Mitarbeiter dann motiviert arbeiten?"

Je stärker die eigene Mannschaft in eine Vision mit eingebunden wird, desto größer sind in den Augen des Beraters die Motivation und Kreativität. Gerade momentan sei es entscheidend, den Blick nach vorne zu richten: "Wenn durch Kreativität und Elan erreicht wird, dass die Produkte besser entwickelt, platziert und verkauft werden - dann werden wir bald wieder einen Aufschwung spüren."

Luis Praxmarer, Vorstand und General Manager Zentral-Europa der Meta Group AG, geht die Diskussion um mehr Kreativität nicht weit genug. Er vermisst Begriffe wie Phantasie, Spontanität und Flexibilität: "Wenn ein Mensch nicht flexibel ist, kann er typischerweise auch nicht kreativ sein." Der Meta-Group-Manager plädiert in wirtschaftlich schlechteren Zeiten für eine Art Freidenker-Mentalität - weiß aber, dass die deutsche Mentalität dafür nicht gerade ein Freifahrtschein ist: "Im Unternehmen eine Kultur zu schaffen, bei der Ideenaustausch, Kreativität und Phantasie gefördert werden, hat wenig mit Wissens-Management, aber viel mit mentaler Einstellung zu tun."

Natürlich könnten Workshops mit gut begleiteten Moderationen Blockaden lösen. Aber letztlich gebe es nur eine Lösung. Dass sich Manager und Mitarbeiter an einen Tisch setzen und überlegen, wie sie mit der Krise umgehen, ohne gleich zu entlassen. Praxmarer: "Junge Mitarbeiter, die in einer Konjunkturflaute eine Sabbatical nehmen, sind beispielsweise kreativ."