ATM Year 98 Conference

Am Asynchronous Transfer Mode scheiden sich noch die Geister

19.06.1998

Entgegen der sonst üblichen Selbstbeweihräucherung auf Fachtagungen ging es auf der ATM Year 98 Conference richtig zur Sache. Im Rahmen einer Debatte unter dem Motto "Hat das ATM-Forum ATM ruiniert?" wurde heftige Kritik geübt, wobei die Kontrahenten mitunter recht kräftig vom Leder zogen.

Als Anwalt des Teufels und Forums-Ankläger trat Tom Lyon auf, Gründer von Ipsilon Networks Inc. und jetzt bei Nokia Corp. in Lohn und Brot. Das Gremium, so sein Vorwurf, habe es bis heute nicht geschafft, den Anwendern zu erklären, welche konkreten Probleme ATM lösen soll. Auch sei unklar, ob es sich bei ATM um eine Switching-Technologie, ein Layer-2-Protokoll oder um einen Mechanismus zur Realisierung von Dienstequalitäten handele. Dieses "fundamentale Versagen" habe dazu geführt, daß das Forum sich zu vielen Herausforderungen zu stellen versuche und ATM aus die- sem Grund zu komplex geworden sei.

Die Kritik von Lyon gipfelte in dem Bild, ATM sei ein weiblicher Teenager, der nicht "nein" sagen könne und somit vor allem solche Typen anziehe, die nirgendwo sonst landen können. Neun Monate später habe man dann ein Produkt, das keiner wolle. Mit diesem Seitenhieb zielte er unter anderem auf Marketing- und andere nichttechnische Manager, die seiner Meinung nach das Forum überfluten und mit ihren speziellen Forderungen die Lösung ATM letztendlich nur "durch unnötige Add-ons" verwässern. "Die Ingenieure gingen und die Probleme kamen", pointierte Lyon die Entwicklung des Forums.

Diese Meinung teilte Robert Sansom, Mitgründer von Fore Systems Inc. und Vice-President Architecture beim ATM-Forum, verständlichweise nicht. Er räumte zwar ein, das Gremium hätte Hersteller früher in einige Diskussionen integrieren müssen. Bei der Entwicklung zentraler Spezifikationen wie Local Area Network Emulation (LANE) oder Multiprotocol over ATM (MPOA) habe das Forum aber einen "ziemlich guten Job" gemacht. ATM-Forum-Präsident George Dobrowski kam seinem Kollegen zu Hilfe und betonte, ATM sei keineswegs ruiniert. Seinen Schätzungen zufolge hat der ATM-Markt ein Gesamtvolumen von fünf Milliarden Dollar pro Jahr. ATM, laut Dobrowski ein Übertragungs- und Switching-Protokoll, stelle das "perfekte Vehikel für IP-Datenverkehr" dar und habe sich in der Praxis bewährt.

Die Alltagstauglichkeit des Asynchronous Transfer Mode haben die Netzverantwortlichen der Animationsstudios von Walt Disney bereits demonstriert. Bei der Produktion von Trickspielfilmen wie "Die kleine Meerfungfrau" oder "Die Schöne und das Biest" setzt die Unterhaltungs-Company auf ein privates ATM-Netz zwischen den Standorten Burbank, Orlando und Paris. Nach Angaben der Disney-Netzwerker tauschen Designer, Illustratoren und andere kreative Mitarbeiter in den drei Trickstudios täglich mehr als ein Terabyte an Daten - im Computer erzeugte Zeichnungen, Animationen und Spezialeffekte - über diese Infrastruktur aus. "Der Glöckner von Notre Dame" war der erste Disney-Streifen, der komplett auf diese Weise entstand.

"Nur ATM liefert uns derzeit die Kapazität, die Flexibilität und die Dienstequalität, die wir für unsere Produktionen benötigen", faßte einer der Netzverantwortlichen von Disney zusammen. Dennoch haben die Animationsexperten Verbesserungsvorschläge rund um das Verfahren. So wünschen sie sich bessere Netz-Management-Tools für ATM, außerdem sei die Unterstützung von High-speed-Technologien in einigen Betriebssystemen derzeit noch nicht ganz ausgereift. Hard- und Software-Tests sollten in wirklichkeitsnahen Produktionsumgebungen stattfinden, damit sich Anwender auch hundertpro- zentig auf das Zusammenspiel der Komponenten verlassen könnten. Neben leistungsfähigeren Backbone-Switches verlangt das Studio zudem nach einer schnel- leren Unterstützung von Standards wie LANE oder MPOA durch die Hersteller von ATM-Equipment.