Thema der Woche

Althergebrachte Rollenspiele der Handwerker im Cyberspace

25.07.1997

Gerhard Adler, Geschäftsführer der Diebold Deutschland GmbH, muß es quasi von Amts wegen wissen: "Wir haben es mit einer Renaissance des Themas IT als Wettbewerbsfaktor zu tun." Der Chef der Debis-Tochter, zu dessen täglichem Job die Konzeption und Realisierung von IT-Strate- gien gehört, hat sich in den zurückliegenden Jahren vermutlich einige Argumentationsketten einfallen lassen müssen, um bei seinen Kunden jederzeit en vogue zu sein. Mitte der 80er Jahre gab es, so der Berater, innerhalb der IT-Branche schon einmal ähnlich goldene Zeiten wie heute - von Aufbruchsstimmung war da die Rede und noch mehr von der IT als strategischer Waffe, auf die kein Unternehmen verzichten könne.

Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre reduzierte sich die Diskussion über den Einsatz von IT auf einen pragmatischeren Ansatz. Innerhalb der bestehenden IT-Landschaft galt es, den Anwender so gut wie möglich zu unterstützen. Und an die jüngsten Entwicklungen dürften sich nicht nur Berater wie Adler erinnern: Spätestens 1993/94 befanden sich die IT-Manager mitsamt ihren Abteilungen im Zeichen schleppender Konjunktur erneut in der berühmten Kostenfalle, aus der sie erst durch den Internet-Boom erlöst wurden.

IT und was sie kostet - ein ewig brisantes Thema also, wie auch die Rolle derer, die mit DV in den Unternehmen (zunächst) umgehen müssen. Erschwerend kommt nun aber hinzu, daß sich angesichts neuer virtueller Märkte die Tragweite vieler Entscheidungen nicht mehr auf die Frage reduzieren läßt, ob man mehr oder weniger für IT ausgibt.

Charles Wang, der für gelegentlich die eigene Branche kritisch reflektierende Äußerungen bekannte Chairman und CEO von Computer Associates (CA), brachte erst kürzlich bei einem Meeting mit US-Führungskräften die Vermischung alter und neuer Probleme auf den Punkt: Unternehmenslenker und IT-Chefs sprächen, so der CA-Chef, nach wie vor "völlig unterschiedliche Sprachen". Dies sei um so gefährlicher, als man sich im Internet-Zeitalter endgültig von der Vorstellung verabschieden müsse, daß die IT lediglich die Geschäftsprozesse zu unterstützen habe. Der Auftritt im World Wide Web entscheide vielmehr über das "künftige Verhältnis zu den Kunden sowie die Möglichkeit, neue Märkte zu erschließen".

Vorstände, die jetzt über entsprechende Investitionen zu entscheiden haben, wüßten indes gar nicht, was sie im Sinne einer zeitgemäßen Business-to-Business-Kommunikation bewilligen sollen.

Mit fatalen Folgen, so Wang. Mehr als ein Drittel der rund drei Billionen Dollar, die in den letzten zehn Jahren allein in den Vereinigten Staaten für neues IT-Equipment bezahlt wurden, sind seiner Auffassung nach zum Fenster hinausgeworfenes Geld. Mit dem Scheitern so vieler IT-Projekte sei der Konflikt zwischen DV-Abteilung und Unternehmensleitung programmiert.

Auch Robert Neumann, Leiter der linguistischen DV beim Institut für deutsche Sprache in Mannheim, berichtet von einem zumindest "ambivalenten Verhältnis" zur Geschäftsführung. In seinem Fall rührt das auch daher, daß sein Know-how und das seiner Mitstreiter bei strategischen Entscheidungen "nicht genügend einbezogen wird". Was er damit meint, macht er an einem Beispiel klar: Eine Aufgabe des Instituts ist es, weltweit Lizenzen an Wörterbuch-Verlage zu vergeben, die in ihren Sprachlexika Deutsch verwenden. Außerdem werden solche Verlage auf Wunsch auch mit Software für das sogenannte Language Engineering unterstützt. Da sich die Mannheimer Einrichtung teilweise über diese Einnahmen finanziert, muß sie der Kommunikation mit ihren weltweit rund 600 Lizenznehmern strategische Bedeutung einräumen. Dennoch hat die DV-Abteilung allein darüber entschieden, wie Kommunikation und Softwaredistribution realisiert werden: per Internet. "Wir haben dies einfach in die Tat umgesetzt, und es hat intern wie extern Anklang gefunden", schildert der DV-Chef den Alleingang seiner Abteilung.

Gleichzeitig bewirkt die unzureichende Verankerung der DV im Geschäftsablauf des Instituts noch etwas anderes: Es entstehen immer wieder Insellösungen, die, wie Neumann es ausdrückt, "nicht von der DV getrieben sind". Anders formuliert: Es geht um eine gewisse Eigendynamik in den Fachabteilungen. Als Endanwender wollen die dortigen Mitarbeiter selbst über den Einsatz populärer und vermeintlich zeitgemäßer Techniken bestimmen. Die Devise, mit der DV-Chefs wie Neumann dieser Aushöhlung ihrer Kompetenz von unten begegnen, ist weit verbreitet: Wo man die von der Geschäftsleitung, dem Einkauf oder dem jeweiligen Abteilungsleiter bereits abgesegnete Beschaffung für fachlich nicht vertretbar hält, versucht man, "das Schlimmste zu verhüten".

Beispiele für die mangelnde Verzahnung von IT und Geschäftsstrategie gibt es zuhauf. Diese fehlende Abstimmung bringt den IT-Manager letztlich dorthin, wo er am wenigsten angesiedelt sein möchte: ins Spannungsfeld zwischen unzufriedenen Endanwendern und einer Geschäftsleitung, die die Bedeutung der DV immer erst dann wahrnimmt, wenn ein fehlgeschlagenes Projekt massiv negative Auswirkungen auf das eigene Kerngeschäft hatte.

Aber wohl noch nie war andererseits die Chance so groß, die Forderung nach einer Abstimmung der IT- mit der Gesamtstrategie des Unternehmens zu verwirklichen.

Wenn schon die Zukunft der Unternehmen im Cyberspace, also in virtuellen und vernetzten Märkten liegt, dann, so das Credo vieler Experten, müsse ein zeitgemäßes IT-Management entsprechend marktorientiert und unternehmerisch handeln.

Ohne Einbindung in die Unternehmenspolitik, ja ohne eine vielleicht wesentliche Rolle dabei läuft künftig auch das beste IT-Konzept ins Leere und beschert den IT-Verantwortlichen den sattsam bekannten Ruf, für die Kosten, nicht aber für den etwaigen Nutzen zuständig zu sein. Geht es um den erfolgreichen Wandel zu einem Global Player moderner Prägung, wird seit geraumer Zeit immer wieder der deutsche Chemiegigant Hoechst genannt.

Dort kam es zu einer kompletten Neugestaltung der konzernweiten Organisations- und Produktionsabläufe mit entsprechender Abbildung in der IT. So wurden beispielsweise kurzerhand mehr als 100 Mainframe-Spezialisten auf R/3 umgeschult - Konsequenz einer kompletten Restrukturierung des ursprünglich zentral organisierten Unternehmens, das weltweit seinen Länderniederlassungen die volle operative Verantwortung übertrug.

Ulrich Bos, vormals IT-Chef bei Hoechst und nun Geschäftsführer der Ende 1996 ausgegliederten Hoechst International Services GmbH (Hiserv), hat angesichts der bewältigten Herkulesaufgabe einiges über die Rolle der Informationstechnologie zu sagen. "Ohne punktgenaue Abstimmung mit dem Vorstand wäre der Konzern mit Sicherheit bei seiner Restrukturierung auf halbem Wege steckengeblieben." Der IT-Chef als Stratege im Boot mit der Unternehmensleitung - ein Privileg, das man sich Bos zufolge als IT-Manager erst erarbeiten muß: zum Beispiel mit klaren Entscheidungsvorgaben für den Vorstand. Bei der konzernweiten Entscheidung für die Umstellung auf Windows 95 im Front-end-Bereich hat das Hoechst-Management eben nicht die Vor- und Nachteile des Microsoft-Produkts, wohl aber die Aussage der eigenen DV-Spezialisten interessiert, daß man mit einer solchen Lösung am effektivsten den Prozeß der Dezentralisierung unterstützen könne.

Wie weit soll sich der DV-Leiter nun aber als Co-Lenker des Unternehmens aus dem Fenster lehnen? Für Diebold-Consultant Adler ist das eine ständige Gratwanderung. Konzentriert sich das IT-Management zu sehr auf seine Aufgabe als interner Dienstleister, droht sehr schnell das Thema Outsourcing - um, wie man seiner Erfahrung nach in vielen Chefetagen glaubt, alles "noch effektiver machen zu können". Sonnen sich die DV-Spezialisten hingegen zu lange in der vermeintlichen Gunst regelmäßiger Konsultationen des Vorstands, ist es nicht mehr weit bis zum Status eines "bloßen Papiertigers" - besagte Fachabteilungen, die die Beschaffung und Implementierung neuer IT-Techniken selbst in die Hand nehmen, lassen grüßen.

"Die DV folgt den Geschäftsprozessen und nicht umgekehrt", stellt Paul Wullers, Leiter Endanwendersysteme bei der Neckermann AG, für seinen Verantwortungsbereich fest und widerspricht damit indirekt der Vision von CA-Chef Wang und anderen prominenten Vertretern aus dem Herstellerlager, die ein neues Internet-basiertes Geschäftsmodell aufkommen sehen. Neckermann macht es jedenfalls möglich oder besser gesagt vor, daß die Einbindung der IT weitgehend ohne interne Reibereien und im Rahmen klarer Vorgaben geschehen kann.

Der IT-Spezialist des Versandunternehmens hat mit dieser Rolle keine Probleme. "Wir haben die Funktionsaufgabe, interessante Technologien zu beobachten und diese gegebenenfalls - je nach Entscheidung der Geschäftsführung - samt daraus folgenden Prozeßketten zu implementieren", wischt er das für viele seiner Kollegen leidige Thema des Kompetenzgerangels bei der Beschaffung von IT-Equipment beiseite. Und daß sich da und dort auch andere Unternehmensbereiche als Trendsetter profilieren, ist für ihn ebenfalls selbstverständlich - siehe das von der Konzernmutter Karstadt vorangetriebene Thema Online-Shopping. Seine trockene Auskunft hierzu: "www.neckermann. de ist ein Kind unserer Marke- ting-Abteilung. Wir von der DV waren lediglich der Technologielieferant."

Was könnte sonst noch im Pflichtenheft der IT-Abteilung stehen, damit sie im Verbund mit der Geschäftsführung neuen Herausforderungen wie zum Beispiel Electronic Commerce gewachsen ist? Man müsse die IT-Abteilung benchmarken, lautet unter anderem eine nicht ganz neue Forderung im jüngsten "Diebold Ma- nagement Report". Gemeint ist eine im Unternehmen konsequent angesetzte Kunden-Lieferanten-Beziehung zwischen der DV- und den einzelnen Fachabteilungen auf der Basis definierter Geschäftsprozesse und Leistungen zu marktüblichen Konditionen.

Transparenz für beide Seiten also, was im Rahmen einer zeitgemäßen IT-Strategie allerdings noch etwas anderes voraussetzt: ein Leitbild, an dem sich die Führungskräfte, alle Mitarbeiter und letztlich auch die Kunden des Unternehmens orientieren können. Heruntergebrochen auf das meist fehlende konkrete Anforderungsprofil für die IT-Abteilung bedeutet dies ein sogenanntes Mission Statement - die Frage, was verlangt die Unternehmensleitung von der IT?

Was das in der täglichen Praxis bedeuten könnte, macht Joachim Fischer, Direktor Konzern-Informations-Management bei der Deutschen Lufthansa AG, deutlich. Die IT-Spezialisten müßten sich zu "Informations-Managern" wandeln, schreibt er seiner Zunft ins Stammbuch. Dabei gelte es, den bisherigen Schwerpunkt "Technologie" (das "T" in der Bezeichung IT) künftig durch das Handling von Informationen (das "I") zu ersetzen - mit allen Facetten der nutzenorientierten Wertschöpfung im Hintergrund.

Bleibt zum Schluß die Frage, ob dabei die IT als Vorstandsressort etabliert werden soll. Antwort wie eh und je: Jein. Lufthansa-IT-Chef Fischer sieht hier die berühmte normative Kraft des Faktischen am Werke und erwartet, daß aufgrund der nach wie vor notwendigen konzernweiten Steuerung besagter Informations-Management-Prozesse der Chief Information Officer im Vorstand über kurz oder lang selbstverständlich sein dürfte.

Miteinander reden, sich informieren

Diebold-Chef Adler betrachtet dies etwas gelassener. Nicht in jeder Branche mache dies "a priori Sinn". Das gelte etwa für den Maschinenbau, wo das Mission Statement für die IT einfach nur heißen kann: produziere kostengünstig! Unabdingbar für das DV-Management sei indes ein funktionierender "Link" zur Geschäftsführung, innerhalb derer sich zumindest ein Vorstandsmitglied "auch um die IT-Belange des Unternehmens kümmern sollte". Was empfiehlt der Consultant sonst noch: miteinander reden und sich informieren. Erfährt die IT-Abteilung aus der Zeitung von der Fusion mit dem bis dato größten Wettbewerber, hat man "strategisch etwas falsch gemacht".

Jeder ist ein Informations-Manager

Tom Davenport, IT-Chef an der Universität von Texas, gibt seinen Kollegen folgende Ratschläge in Sachen Informations-Management:

1. Der bloße Einsatz von IT ist nicht alles. Sie können so viele Netscape- oder Notes-Lizenzen einkaufen, wie Sie wollen, und über die beste aller Web-Seiten verfügen - dies alles sagt noch nichts über den etwaigen Nutzen aus, den Ihr Unternehmen aus der Verwendung moderner Kommunikationstechniken ziehen kann.

2. Den Speiseplan der Kantine oder die Abfahrtszeiten des Werkbusses via Electronic Mail zu verbreiten ist nicht unbedingt mit Informations-Management gleichzusetzen. Fragen Sie sich täglich und vor allem ernsthaft, ob Dinge wie Lotus Notes oder das World Wide Web dafür geschaffen wurden.

3. Jeder Mitarbeiter im Unternehmen ist ein Informations-Manager. Lassen Sie diese Vision im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten Realität werden. Das Instrumentarium, das dazu notwendig ist, kennen Sie längst. Es sind so profane Techniken wie Data-Warehouse, Workflow und Client-Server.

4. Die Grenzen jedes einzelnen Informations-Managers im Unternehmen sind allerdings durch den jeweiligen Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich vorgegeben. Räumen Sie auf mit der trügerischen Vision flacher Hierarchien! Man kann Informations-Management unter Anlehnung an Sokrates oder Electronic Mail definieren - was nichts daran ändert, daß es seit Tausenden von Jahren immer Menschen gegeben hat, die etwas mehr als andere gewußt haben. Diejeinigen, die das Wissen haben, verfügen über die Macht. Und die, die im Besitz der Macht sind, haben im Zweifel das notwendige Wissen dazu.

5. Wähnen Sie sich nicht auf der sicheren Seite, wenn ihr Vorstand kein Interesse an ihrer Arbeit hat und alles kommentarlos absegnet, was Sie ihm zur Unterschrift vorlegen. Kommt es zu einem Führungswechsel und/oder nur einem einzigen schlechten Quartal, wird unter Umständen schneller, als es ihnen lieb ist, die Frage gestellt: Was bringt uns das Informations-Management, und was bringen uns vor allem die Informations-Manager?