Kongress für IT-Selbständige diskutiert Berufsanforderungen

Als Fachidioten haben Freiberufler keine Chance

07.07.2000
Freiberufler kommen mit Fachwissen allein nicht aus. Das wurde auf dem 4. Jahreskongress für DV-Selbständige des Computerwoche Verlags in Garching bei München mehr als deutlich. In der Internet-Welt sind nicht technikorientierte Freelancer, sondern flexible, teamfähige Manager-Typen gefragt.Von Ina Hönicke*

Zum 4. Jahreskongress für IT-Freiberufler waren in diesem Jahr vor allem diejenigen gekommen, die einen Blick in die Zukunft wagen wollten. Dass sie sich um ihre Auftragsbücher in nächster Zeit keine allzu großen Sorgen machen müssen, steht für die meisten DV-Selbständigen außer Frage. Jedoch fragten sich viele der rund 400 Kongressteilnehmer, in welche Richtung die neuen Technologien gehen werden und für welche Themen sie sich fit machen müssen.

Schirmherr Erwin Huber, Staatsminister des Freistaates Bayern und Leiter der Staatskanzlei, war voll des Lobes für alle, die den Schritt in die Selbständigkeit wagen. Gleichzeitig sagte er den Freelancern, die sich in Bayern niederlassen, staatliche Unterstützung zu. Damit meinte der CSU-Mann allerdings weniger finanzielle als vielmehr Beratungshilfe.

Auch Luis Praxmarer, Vorstandsvorsitzender der Meta Group AG, fand ermunternde Worte: "Ohne Hilfe von Externen können die meisten Projekte auch künftig nicht angeschoben werden." Die Industrie mache sich etwas vor, wenn sie glaube, dass der Personalengpass bald vorbei sei. Selbst die spektakuläre Green-Card-Aktion könne keine Abhilfe schaffen. Allerdings müsse den Freiberuflern klar sein, dass die Internet-Welt neue Anforderungen sowohl an das IT-Personal als auch an die Beraterzunft stelle. Diese zu erfüllen sei alles andere als einfach. Um den Teilnehmern die Veränderungen bewusst zu machen, verglich der Meta-Group-Chef Denkweisen der Vergangenheit mit denen der Cyberwelt.

Während bislang in den Unternehmen nach der Devise "Command and Control" die Informationen von oben nach unten weitergegeben worden seien, habe man es in Zukunft mit "Contract and Collaborate" zu tun. Praxmarer: "Sowohl in der Arbeits- als auch in der Geschäftswelt entwickeln sich zunehmend virtuelle Partnerschaften. Dementsprechend fließen die Informationen nicht mehr top-down, sondern kreuz und quer."

Die Unternehmen benötigten Mitarbeiter, die teamorientiert arbeiten, über Sozialkompetenz verfügen und mit den virtuellen Kollegen an einem Strang ziehen. Hierfür ist, so Praxmarer, eine Mentalitätsänderung erforderlich. Diese neue "Denke" werde aber nicht nur vom internen IT-Personal, sondern vor allem von den Beratern verlangt. Auch in der Arbeitswelt seien virtuelle Partnerschaften und die Zusammenarbeit mit E-Lancern auf dem Vormarsch: "Die mobile Freiheit ist ein Megatrend der Zukunft. Freelancer müssen flexibel und mobil auf alle neuen Entwicklungen reagieren können."

Für den Münchner Marktanalysten steht fest, dass die Unternehmen bei der Bewältigung der Internet-Probleme externe Unterstützung dringend benötigen. Besonders gute Chancen für DV-Freiberufler sieht er im Customer-Relationship-Management (CRM) und bei den Desktop-Services. Auf beiden Gebieten sei mit kontinuierlichem Wachstum zu rechnen. Interessante Projekte sind nach Ansicht von Praxmarer auch zum Thema Sicherheit zu finden. Er ist überzeugt, dass Freiberuflern, die dieses Thema beherrschen, alle Türen offen stehen. Bei aller Cyberwelt-Euphorie glaubt Praxmarer nicht, dass die technikorientierten Freelancer in Bälde auf der Strecke bleiben werden. Zwar seien die fetten Jahre für sie vorbei, doch das Thema Wartung und Pflege sei in den meisten Betrieben nach wie vor aktuell.

Der IT-Branche fehlt fachkundiges Personal, und zwar nicht nur in Deutschland. Von Nicole Kidd, freie Journalistin und Unternehmensberaterin in San Franzisko, erfuhren die Kongressbesucher, wie der IT-Arbeitsmarkt in den USA aussieht. Zunächst einmal die gute Nachricht: Die Zahl der Internet-Stellen hat sich in den USA seit 1999 auf jetzt 2,5 Millionen Jobs verdoppelt. Die schlechte Nachricht für die Wirtschaft lautet: Einer von zwölf Arbeitsplätzen kann nicht besetzt werden - da helfen auch alle Visa-Erleichterungen der US-Regierung nichts. Kein Wunder, dass sich die Rekrutierungskosten in den USA auf jährlich 18 Milliarden Dollar belaufen. Die US-Beraterin: "Da den amerikanischen IT-Profis Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber fremd ist, ist Jobhopping gang und gäbe." So würden viele Newcomer in jungen Jahren beim fünften Startup-Unternehmen arbeiten und nicht selten erste Burnout-Anzeichen vorweisen.

Um bei der Personalsuche Erfolge verbuchen zu können, wird in den USA der Online-Vermittlung eine immer wichtigere Rolle eingeräumt. Kidd: "Noch steckt diese Art der Vermittlung in den Kinderschuhen. Sobald es aber intelligentere Netzwerke gibt, werden sich Bewerbung, Betreuung und Vermittlung via Internet verstärkt durchsetzen." Als Wachstumsbranchen, in denen auch Freelancer gute Chancen haben, nannte die Unternehmensberaterin Desktop-Services, TV/Entertainment, Mobile Commerce sowie E-Commerce. Ihr Tipp für die deutschen IT-Profis: "Lernen Sie Englisch und denken Sie global."

Mit der hiesigen Situation der IT-Selbständigen beschäftigte sich Manfred Lang, Leiter des Diebold Management Institut in Eschborn: "Der technikorientierte IT-Manager ist passé - heute sind Strategie- und Geschäftskompetenz gefragt. Das Rennen werden also die Freelancer machen, die in Management-Fragen fit sind, Prozesserfahrung vorweisen können und über Internet-Know-how verfügen." Gefragt seien ferner Sozialkompetenz, Kooperationsfähigkeit, Kundenorientierung sowie die Bereitschaft zur Wissensweitergabe. Lang fürchtet indes, dass bislang weder genügend IT-Manager noch Externe diese Verhaltensänderung verinnerlicht haben: "IT-Profis müssen umdenken. Besitzermentalität spielt in der Cyberwelt keine Rolle mehr - hier geht es um den Business-Nutzen sowie die Akzeptanz von Anwendungen.

Genau wie Meta-Group-Chef Praxmarer sieht Lang in den Bereichen E-Commerce und Mobile-Commerce die größten Chancen für Freelancer. Deshalb riet er den Kongressteilnehmern, sich hier entsprechendes Know-how zu verschaffen und dann als "Early Mover" ganz vorn dabei zu sein. Gleichzeitig aber empfahl der Diebold-Mann, sich die in Frage kommenden Unternehmen genau anzuschauen: "Für eine erfolgreiche Zusammenarbeit ist es wichtig, auszuloten, für wen ich arbeite, welche Strategie das Unternehmen verfolgt und wie die Firmenkultur aussieht."

Bei den Startups hat Lang die Erfahrung gemacht, dass sie ihre Projekte - bislang jedenfalls - lieber ohne fremde Hilfe auf die Füße stellen. Der Grund: Das Web-Know-how soll im Hause bleiben. Traditionsunternehmen dagegen suchten dringend Freiberufler, da die eigenen Leute große Defizite bei neuen Technologien aufweisen. Lang ist allerdings nicht sicher, ob ein Startup-Unternehmen für jeden Freelancer die richtige Adresse ist: "Erfahrene Berater sollten sich die Frage stellen, ob sie wirklich willens sind, ihre Begeisterungsfähigkeit rund um die Uhr zur Schau zu stellen." Entscheidend für den beruflichen Erfolg ist seiner Meinung nach eine persönliche Qualifizierungs-Strategie. Externe dürften weder den Fehler begehen, sich für Qualifizierungsmaßnahmen zu kompetent zu fühlen, noch dürften sie ausgerechnet bei den Weiterbildungskosten jede Mark umdrehen. Die Mitgliedschaft in einem Freiberuflerverband biete große Vorteile. Erfahrungsaustausch und Mund-zu-Mund-Propaganda seien für Selbständige wichtige Überlebensgaranten.

Zum Schluss stand dem Publikum noch ein besonderer Höhepunkt bevor. IT-Freiberufler Otto Huschka schilderte seinen Leidensweg, nachdem er in die Fänge der Steuerfahndung geraten war. Sein Vergehen: Projektarbeit im Auftrag einer Schweizer Unternehmensberatung mit Auftragsort in Deutschland. Die Steuerfahnder durchsuchten auf Verdacht sein Haus, beschlagnahmten seine Unterlagen, stellten einen Haftbefehl wegen Fluchtgefahr aus, so dass Huschka vorübergehend hinter Gittern landete. Der Olchinger Freiberufler berichtete, wie die Bürokratie seine Existenz unter einer Lawine von Unkenntnis über das externe Projektgeschäft und unterlassener Rechtsbelehrung begrub, er beschrieb ferner das Chaos bei der Ermittlung und das zweifelhafte Verhalten der Richter. Absolute Stille herrschte im Publikum, als Huschka seine Odyssee schilderte, denn eines war den Kollegen klar: Die Steuerfahndung kann bei jedem Freiberufler vor der Tür stehen.

*Ina Hönicke ist freie Journalistin in München.