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Jahresrückblick 2003 April bis Juni

Als die IT-Branche erwachsen wurde (II)

30.12.2003

Den Tränen nahe sind die Mitarbeiterinnen des Bremer Amtsgerichts. So sagt es jedenfalls die Viezpräsidentin der Justizbehörde, Karen Buse. Geheult wird an der Waterkant aber nicht wegen erschütternder Gerichtsurteile, sondern weil nichts mehr geht seit der Einführung von SAP-Software als zentralem IT-System. Fehlende oder nicht funktionierende Schnittstellen im "Chipmobil-Projekt" sind unüberwindliche Hindernisse beim Bemühen, Buchungen im Kassensystem vorzunehmen. Am 6. Januar 2003 hatte die Stadt noch hoffnungsschwanger verlautbaren lassen, man sei das erste Bundesland, das alle Geschäftsprozesse flächendeckend in SAP R/3 abbilden werde.

Zu Beginn des Jahrhundertsommers kocht in Deutschlands IT-Szene das Thema Offshore-Konkurrenz hoch. Untersuchungen gehen davon aus, dass in den kommenden 15 Jahren in der US-amerikanischen Servicebranche rund 3,3 Millionen Arbeitsplätze, davon 500.000 IT-Jobs, verloren gehen, weil diese Tätigkeiten auch in Russland, China, Indien oder etwa den Philippinen erledigt werden können. Auch hierzulande bedienen sich Großkonzerne wie Siemens oder Daimler-Chrysler der billigen Arbeitskräfte im asiatischen Raum. Schon sehen viele die deutsche IT-Wirtschaft am Abgrund stehen. Das Argument wird Monate später den Weg zurückfinden mit umgekehrten Vorzeichen.

Ende Mai macht ein bis dahin vor allem Lesern des Wirtschaftstitels "Harvard Business Review" bekannter Autor, Nicholas Carr, von sich reden. Er behauptet in seinem Artikel "IT doesn't matter anymore", je verfügbarer IT-Technik sei und je billiger, desto mehr verkomme sie zum Allerweltsgut. Fazit Carr: IT schaffe keinen Wettbewerbsvorteil mehr, ergo sollten Unternehmenslenker bei Investitionen in IT auch sehr vorsichtig und zurückhaltend sein. Paul Strassmann, Kosten-Nutzen-Papst der IT-Szene und ehedem CIO der Weltraumbehörde Nasa, kontert Carr elegant aus und bringt das Gegenargument auf den Punkt: "Carr hat wahrscheinlich das gleiche Textverarbeitungsprogramm benutzt wie ich. Trotzdem kommen wir zu unterschiedlichen Ergebnissen." Mit anderen Worten: Wer IT intelligenter nutzt als seine Konkurrenten, schlägt auch Vorteile hieraus.