Jahresrückblick/Jahresrückblick 2003 April bis Juni

Als die IT-Branche erwachsen wurde (II)

19.12.2003
2003 war ein Jahr, in dem sich die Firmen die Wunden leckten. Konsolidierung war ein Schlagwort wie auch Kostenreduzierung um jeden Preis. Das Thema Outsourcing kam bei deutschen Firmen, insbesondere aus der Finanzwelt, ganz groß in Mode. Genauso groß waren aber auch die Flops, die die Auslagerung von IT mit sich brachte. Überhaupt war es das Jahr von Pleiten, Pech und Pannen.

APRIL

Aufregung um eine Untersuchung Anfang April: Die Marktforschungsgesellschaft Nucleus Research hatte 93 Referenzkunden von SAP befragt, wie zufrieden sie mit den wirtschaftlichen Vorteilen seien, die durch den Einsatz der betriebswirtschaftlichen Standardsoftware in ihren Unternehmen zu verzeichnen sind. 21 Anwender der 93 gaben für SAP wenig schmeichelhafte Auskünfte. Immerhin zwölf der 21 Antwortenden sagten, nach einer durchschnittlichen Projektlaufzeit von 2,8 Jahren habe sich für ihr Unternehmen kein Return on Investment (RoI) herauskristallisiert. SAP zieht die Aussagekraft der Untersuchung wegen der wenigen Antwortenden allerdings in Zweifel.

Wenig lustig auch klingen Meldungen von Microsoft, wonach aufgrund eines Fehlers im Remote-Procedure-Call-(RPC-)Protokoll die Betriebssystem-Versionen Windows 2000, XP und NT 4.0 anfällig für Denial-of-Service-Attacken seien. Wegen "architektonischer Beschränkungen", schiebt der Hersteller lässig hinterher, könne zudem für NT 4.0 kein Patch geliefert werden.

Als fast schon prophetisch stellt sich später eine Erkenntnis der Unternehmensberatung Gartner heraus: Über 50 Prozent aller Outsourcing-Projekte seien vom Scheitern bedroht. Grund: Viele Dienstleister könnten nicht wie versprochen Kosten senken und die Effizienz steigern. Das Thema wird uns in diesem Jahr noch verfolgen.

i2, Spezialist für Supply-Chain-Management (SCM), hat derweil ganz andere Sorgen: Nachdem bereits die Bilanzen für die Jahre 2000 und 2001 neu geschrieben werden mussten, scheint nun auch der Geschäftsbericht für das Jahr 1999 überarbeitungsbedürftig. "Investoren sollten sich nicht auf die Informationen in den Finanzberichten für die Jahre 1999, 2000 und 2001 sowie für das vierte Quartal 2002 verlassen", lässt das i2-Management um Gründer, Chairman und CEO Sanjiv Sidhu mitteilen. Die US-Börsenaufsicht hat das Unternehmen wegen möglicher Bilanzfäschung schon seit längerem auf dem Kieker.

Kahlschlag bei Oracle

In Deutschland kündigt Oracle derweil einen Kahlschlag in seiner Consulting-Sparte an: 200 der 608 Mitarbeiter sollen gehen.

Bundesinnenminister Otto Schily will eine Initiative befördern, wonach von Überwachungskameras gefertigte Aufnahmen von Straftaten ins Internet gestellt werden. Damit erreiche man eine neue Zielgruppe, sagt der Ex-Grüne. Und stellt sich wohl vor, dass ein Millionenheer von Zivilfahndern sich zu Hobby-Hilfssheriffs aufwirft.

Noch mal Reizthema Outsourcing: Eine Studie der PA Consulting Group mit 116 Führungskräften in Europa brachte Niederschmetterndes ans Tageslicht: Befragt nach ihren Erfahrungen mit IT-Auslagerungen, antworteten 66 Prozent, die anfangs gesteckten Ziele seien nicht oder zumindest nur zum Teil erreicht worden. Dennoch stehen 83 Prozent dem Thema prinzipiell positiv gegenüber. Verstehe einer die IT-Verantwortlichen.

Siemens muss im Frühjahr versuchen, einen Imageverlust zu verarbeiten. Die ICN-Sparte des Großkonzerns schwächelt erheblich. Aber trotz rechtlicher Bedenken versucht das Management, Behinderten und älteren sowie langjährigen Mitarbeiter betriebsbedingt zu kündigen. In der Hofmannstraße kommt es zu erheblichen Tumulten. Viele Arbeitnehmer klagen sich wieder in das Unternehmen hinein. Siemens steht in der Öffentlichkeit am Pranger.

Sensation in München

Im Münchner Rathaus bahnt sich im April eine kleine Sensation an: Der Stadtrat überlegt sehr öffentlichkeitswirksam, seine 14 000 PC-Arbeitsplätze mit Linux auszustatten. Da unterbricht sogar Microsoft-Chef Steve Ballmer seinen Skiurlaub, um Münchens Oberbürgermeister Christian Ude von den Segnungen der Microsoft-Softwarewelt zu überzeugen. Doch noch pokern die Bayern um den Preis.

Ebenfalls in München begab sich ein CW-Redakteur mit dem Beratungsunternehmen Integralis auf den Kriegspfad: Wardrive-Testfahrt nennt sich das neudeutsch. Ausgestattet mit einem handelsüblichen Notebook, Funkkarte und dem Programm "Netstumbler" versuchten die Probanden, die Sicherheit von WLAN-Funknetzen zu erforschen. Ergebnis: Ohne Probleme schlichen sich die Tester in verschiedenste Funknetze ein. Deren Betreiber hatten nicht einmal die Mindestanforderungen an Sicherheit berücksichtigt. Entsprechend drastisch fragte denn auch die Ernst & Young IT-Security GmbH in einer Studie: "Wireless LAN - ein Paradies für Hacker?"

Der englische IT-Mischkonzern Invensys Plc. plant im April, das Schicksal des holländischen Standardsoftwareanbieters Baan Holding NV zu besiegeln und sich von der Toch- ter wieder zu trennen. Jetzt rätselt jeder, ob wieder Firmengründer Jan Baan als Käufer auf den Plan treten könnte, oder ob People- soft oder SSA Global Technologies Kaufgelüste hegen.

Ende April können wir positive Schlagzeilen formulieren: Sun schreibt schwarze Zahlen, IBM verzeichnet seit knapp zwei Jahren wieder ein Profitplus, Apple kehrt in die Gewinnzone zurück. Naja, und Microsoft macht - wie immer - Gewinn und steigert den auch noch gegenüber dem Vorjahr.

Shock and awe

Apropos Microsoft: Die bleiben ihrer Strategie treu und bringen ein seit langem angekündigtes strategisches Produkt - wie immer - weit verspätet auf den Markt. Ende April kommt der Nachfolger von Windows 2000, das Server-Betriebssystem Windows Server 2003. Mittlerweile verändern sich aber die Marktgegebenheiten: Linux ist als Server-Software auf dem Vormarsch, Java-Server erfreuen sich zunehmender Beliebtheit.

Sun schwenkt derweil voll auf die Terminologie von US-Präsident George W. Bush ein: Man werde die Branche mit einer "Shock-and-awe"-Strategie überrollen, sagt Sun-Häuptling Scott McNealy. Plattmachen nennt man das etwas burschikoser. Doch was dann als angsteinflößende Kampagne die Konkurrenz überrollen soll, sind ein paar Midrange- und Einstiegs-Server. Niemand stürzt sich in der Folge verzweifelt von der Brücke.

Das FBI meldet im Frühjahr, dass sich die Betrugsdelikte im Internet verdreifacht hätten. Insbesondere bei Online-Auktionen liege die Rate sehr hoch.

Jetzt muss auch der B-to-B-Anbieter Ariba gegenüber der US-amerikanischen Börsenaufsicht zugeben, dass er einen Großteil seiner Quartals- und Jahresabschlüsse falsch berechnet hat. Zwar sind die finanziellen Auswirkungen der Korrekturen gering - trotzdem fragt man sich langsam, wie einige börsennotierte Unternehmen eigentlich ihr Alltagsgeschäft bewältigen, ohne das Einmalseins des Geschäftslebens zu beherrschen.

MAI

Alles neu macht ... und so weiter. Beim Bundesfinanzministerium gilt das jedenfalls. In Hans Eichels Heim fährt man die Kernanwendungen auf einem Linux-gesteuerten Rechner-Cluster. Microsoft is not amused - könnte man denken. Doch diesmal ist Sun Microsystems mit seinem Solaris-Server der Abgehalfterte.

Madonna zeigte sich - wie viele ihrer Sangesbrüder und - schwestern - im Mai wenig erheitert darüber, dass ihre Songs im WWW kostenfrei zirkulieren. Also warf sie der weltweiten Internet-Gemeinde lässig den Fehdehandschuh hin und ließ die Titel ihrer neuen CD "American Life" im WWW veröffentlichen - nur scheinbar. Wer die Liedchen anklickte, dem wartete die Diva mit der Botschaft auf: "What the fuck do you think you are doing?" Die Hacker-Szene antwortete noch lässiger: Sie visitierte umgehend die Homepage der musikalischen Göttin, platzierte ein paar Links auf Seiten, von denen sich alle Songs tatsächlich unentgeltlich herunterladen ließen, und übereignete der Überiridischen auf deren Homepage pflichtschuldigst noch eine Antwort: "That is what the fuck I think I''m doing."

AMD, ewiger Zweiter im Prozessormarkt hinter Intel, bringt sein bestes Pferd an den Start: Der 64-Bit-Chip Opteron verarbeitet auch 32-Bit-Anwendungenund ist somit abwärtskompatibel. Ob es dem Unternehmen gelingt, seinen bescheidenen Fünf-Prozent-Anteil im Server-Markt anzuheben, bleibt allerdings fraglich.

Und immer wieder Outsourcing: Im Mai wird bekannt, dass der finanziell angeschlagene Industriekonzern ABB wesentliche Teile seiner IT-Infrastruktur auslagern will. Mal wieder scheint IBMs Global-Services-Division bereit zur Vertragsunterschrift. Für ABB-Chef Jürgen Dormann gehört IT offenbar nicht zum Kerngeschäft.

Apple stellt Rechner her für Designfreaks - denkt man. Seit Mai 2003 hat der Apfel-Chef Steve Jobs eine neue Einnahmequelle: "In nicht einmal einer Woche sind wir zum weltgrößten Online-Musikunternehmen geworden", tönt der Apple-Gründer. In der Tat brummt es im "iTunes Music Store", in dem 200000 Songs der großen Musik-Labels wie BMG, EMI, Sony Music, Time Warner und Universal für 99 Cents auf den heimischen PC geladen werden können. Und natürlich auf "iPods", die digitalen Speicher- und Abspielgeräte von Apple. Wenn''s mit den angestammten Produkten nicht so läuft, macht man halt in Musik.

Der alerte Infineon-Chef Ulrich Schumacher macht sich immer viele Gedanken, damit sein Unternehmen löpt, wie der Rheinländer zu sagen pflegt: Zunächst einmal will er, so einfallsreich wie viele andere Manager, 900 Mitarbeiter entlassen. Dann aber möchte er die Konzernzentrale in die Schweiz verlegen. Das träfe zwar nur vergleichsweise wenige Beschäftigte, den Fiskus dafür umso härter. Infineon würde dann nämlich in Deutschland gar keine Steuern mehr zahlen. Schweiz ist geil, formuliert denn auch treffend der CW-Cartoon.

Und auch im Mai warnt Gartner vor den Unwägbarkeiten des Outsourcing: Satte sechs Milliarden Euro hätten Unternehmen allein in Westeuropa mit fehlgeschlagenen IT-Auslagerungen in den Sand gesetzt. Ungenügende Kenntnisse der Kundenbedürfnisse und mangelhaft ausgearbeitete Verträge seien die Hauptgründe, warum viele Outsourcing-Projekte scheiterten.

Kennen Sie Rheinberg? Dachten wir uns. Da schob im Mai die schönste, jedenfalls bekannteste Tochter des kleinen Städtchens nahe Duisburg und Düsseldorf, Claudia Schiffer, einen Einkaufswagen durch einen Metro-Laden. Okay, vielleicht keine prickelnde Nachricht. Aber immerhin hatte der Lebensmittelgrossist seinen "Extra"-Laden mit Deutschlands werbewirksamster Frau auf einen "Future Store" umgemodelt. Da werden nun Waren via Radio Frequency Identification (RFID) abgescannt, erfasst, bezahlt - und so nebenbei die Kaufgewohnheiten der Kunden archiviert.

Mal was vom internationalen Party-Geschehen: Da haben sich doch, kommt Mitte Mai der Öffentlichkeit zu Ohren, am Labour Day ein paar Siebel-Topmanager auf einer Dinnerparty vergnügt. So en passant ließen sie im Beisein einiger ausgewählter Analysten und Investoren Firmeninterna fallen. Prompt stieg danach der Kurs der Aktien um acht Prozent. Für den krisengeschüttelten Konzern nicht schlecht. Die US-Börsenaufsicht findet, dass dieses Verhalten gegen den Komment verstößt, und leitet Untersuchungen gegen das Softwarehaus ein. Immerhin war es schon das zweite Mal innerhalb der letzten Monate, dass ein kommunikationsfreudiges Siebel-Management den Kurs durch Offenherzigkeit zu beeinflussen trachtete. Tom Siebel selbst hatte anlässlich einer Konferenz firmeninterne Finanzinformationen gestreut. Damals stieg der Kurs gleich um 20 Prozent. Kann denn reden Sünde sein?

Avantgarde der Gewürzgurken

Ein pakistanischer Sicherheitsexperte bringt derweil Microsoft zum Schwitzen. Er entdeckt nämlich einen schwerwiegenden Fehler im Passport-System des gerade erst vorgestellten Windows-Server-2003-Betriebssystems. Microsoft-Chef Ballmer hatte bei der Präsentations noch zu Protokoll gegeben, das System sei sicher, insbesondere wegen der mit viel PR-Rummel begleiteten "Trustworthy Computing Initiative".

Wer meint, Gewürzgurken seien so was von uncool, kennt nicht den in Karlsruhe und Lübben ansässigen Lebensmittelhersteller Spreewald-Feldmann GmbH & Co. KG.

Der Produzent saurer Feinkost will sein Unternehmen zur Microsoft-freien Zone erklären und komplett auf das Linux-Betriebssystem und Open-Source-Anwendungen umsteigen. Es gibt sie also noch, die Mutigen und die Avantgarde in diesem Land.

Ende Mai brüskiert SCO die Linux-Gemeinde endgültig: Die Klage gegen die IBM vor Monaten hat man ja noch als versteckte Liebesbotschaft an den Computergiganten und Bitte um eine Übernahme verstanden. Jetzt soll es aber nach dem Wunsch von SCO-Group-CEO Darl McBride Anwendern an den Kragen gehen. Die bekamen unverhüllte Drohbriefe, Linux nicht mehr einzusetzen. Sei doch darin Original-Unix-Code verquirlt, an dem SCO die Rechte halte. Die Open-Source-Gemeinde schäumt.

Ein mittlerweile unter dem unverfänglichen Namen MCI operierendes Unternehmen hatte als Worldcom im Jahr 2002 den größten Bilanzfälschungsskandal der Wirtschaftsgeschichte verursacht und seine Ergebnisse um elf Milliarden Dollar geschönt. Die Strafe, die die US-amerikanische Börsenaufsicht SEC dafür jetzt verhängt, ist ebenfalls rekordverdächtig: 500 Millionen Dollar Bußgeld sind ein ordentlicher Klotz am Bein eines Unternehmens, das gerade wieder durchzustarten versucht.

Microsoft lässt bei der Stadt München nicht locker und will die Weißwurstmetropole nun mit einem Rabatt von 45 Prozent doch noch auf seine Seite ziehen. Prompt ändert die in den Entscheidungsprozess eingebundene Unilog Integrata Unternehmensberatung GmbH ihre Empfehlung für Linux in ein Ja zu Microsoft. Doch noch hat sich der Stadtrat nicht entschieden.

Das tut er eine Woche später Ende Mai. Und erstmals darf Microsoft erfahren, wie es sich anfühlt, wenn auf des Kontrahenten Seite ein veritabler Großkopferter steht: IBM kann, was Microsoft auch probte, nämlich beim Angebot nachbessern. Und Big Blue legte bei seiner Offerte auf Basis von Linux und Open-Source-Software offensichtlich so gewaltig nach, dass Stadträtin Christine Strobl von "qualitativ-strategischen" Vorzügen gegenüber dem Microsoft-Angebot spricht. Die Entscheidung, so die Münchner Kommunalpolitikerin, werde "Signalwirkung" haben. Die hatte sie dann auch postwendend. Nie zuvor wohl brachte es eine Entscheidung für Linux und Open Source zu einer Hauptnachricht im Abendfernsehen.

Steuerbetrug und Geldwäsche

Mal wieder gilt es zu berichten über Verdächtigungen wegen Steuerbetrugs und Geldwäsche. Niemand anderes als das renommierte Unternehmen Ericsson hat sich in der Zielfahndung der Stockholmer Behörden verheddert. Der schwedische Mobilfunkspezialist, so der Vorwurf der Ermittler, habe die Schweiz als Durchgangsstation zur Reinwaschung von Schwarzgeldern in Höhe mehrerer hundert Millionen Euro benutzt. Auch soll Ericsson gegen Buchführungsbestimmungen und Steuerrecht verstoßen haben. Die Rede ist auch von Schmiergeldzahlungen in osteuropäische Staaten, wo der Konzern bedeutende Aufträge für den Aufbau von Mobilfunknetzen erhielt. Ericsson will von den Vorwürfen nichts wissen.

Den Tränen nahe sind die Mitarbeiterinnen des Bremer Amtsgerichts. So sagt es jedenfalls die Viezpräsidentin der Justizbehörde, Karen Buse. Geheult wird an der Waterkant aber nicht wegen erschütternder Gerichtsurteile, sondern weil nichts mehr geht seit der Einführung von SAP-Software als zentralem IT-System. Fehlende oder nicht funktionierende Schnittstellen im "Chipmobil-Projekt" sind unüberwindliche Hindernisse beim Bemühen, Buchungen im Kassensystem vorzunehmen. Am 6. Januar 2003 hatte die Stadt noch hoffnungsschwanger verlautbaren lassen, man sei das erste Bundesland, das alle Geschäftsprozesse flächendeckend in SAP R/3 abbilden werde.

Zu Beginn des Jahrhundertsommers kocht in Deutschlands IT-Szene das Thema Offshore-Konkurrenz hoch. Untersuchungen gehen davon aus, dass in den kommenden 15 Jahren in der US-amerikanischen Servicebranche rund 3,3 Millionen Arbeitsplätze, davon 500000 IT-Jobs, verloren gehen, weil diese Tätigkeiten auch in Russland, China, Indien oder etwa den Philippinen erledigt werden können. Auch hierzulande bedienen sich Großkonzerne wie Siemens oder Daimler-Chrysler der billigen Arbeitskräfte im asiatischen Raum. Schon sehen viele die deutsche IT-Wirtschaft am Abgrund stehen. Das Argument wird Monate später den Weg zurückfinden mit umgekehrten Vorzeichen.

Ende Mai macht ein bis dahin vor allem Lesern des Wirtschaftstitels "Harvard Business Review" bekannter Autor, Nicholas Carr, von sich reden. Er behauptet in seinem Artikel "IT doesn''t matter anymore", je verfügbarer IT-Technik sei und je billiger, desto mehr verkomme sie zum Allerweltsgut. Fazit Carr: IT schaffe keinen Wettbewerbsvorteil mehr, ergo sollten Unternehmenslenker bei Investitionen in IT auch sehr vorsichtig und zurückhaltend sein. Paul Strassmann, Kosten-Nutzen-Papst der IT-Szene und ehedem CIO der Weltraumbehörde Nasa, kontert Carr elegant aus und bringt das Gegenargument auf den Punkt: "Carr hat wahrscheinlich das gleiche Textverarbeitungsprogramm benutzt wie ich. Trotzdem kommen wir zu unterschiedlichen Ergebnissen." Mit anderen Worten: Wer IT intelligenter nutzt als seine Konkurrenten, schlägt auch Vorteile hieraus.

JUNI

Selten hat Peoplesoft so nachhaltig für Schlagzeilen gesorgt wie jetzt, da es ankündigt, den US-amerikanischen Konkurrenten J.D. Edwards für 1,68 Milliarden Dollar zu übernehmen. Durch die Fusion entsteht der nach SAP zweitgrößte Anbieter betriebswirtschaftlicher Standardsoftware.

Lautlos zu Grabe getragen wurde ein Rechtsstreit, der als Kampf der Giganten begonnen hatte: Für 750 Millionen Dollar hat Microsoft sich mit AOL Time Warner über die Vermarktung der Browser "Internet Explorer" und "Netscape Navigator" (später "Communicator") außergerichtlich geeinigt. Immerhin war die Time-Warner-Tochter Netscape vor Jahren die treibende Kraft und Hauptzeuge der Klage des US-Justizministeriums und von 20 US-Bundesstaaten gegen die Gates-Company. Microsofts wettbewerbsrechtlich zu beanstandendes Geschäftsgebaren bei der Einführung seines Internet-Browsers war seinerzeit ein wesentliches Argument der Gates-Gegner, das vor Gericht fast zu einer Spaltung des größten Softwarehauses der Welt geführt hätte. Nun hat Gates mal kurz die Portokasse aufgemacht und ein kleines Ärgernis vom Tisch gewischt.

Alarmierendes vom Arbeitsmarkt

Und wieder kommt Peoplesoft in die Schlagzeilen. Doch diesmal soll die Craig-Conway-Company selbst übernommen werden, und das alles andere als freundlich. Oracle-Chef Larry Ellison unterbreitet ein Angebot über 5,1 Milliarden Dollar, und die gesamte Softwarebranche ist ratlos: Will der Egomane Ellison lediglich die Fusion von Peoplesoft und J.D. Edwards verhindern? Oder will er mit der feindlichen Übernahme von Peoplesoft der SAP stärker Konkurrenz machen? In den kommenden Monaten bis zum Jahresende herrscht Krieg zwischen den beiden Unternehmen. Conway, vor Jahren Untergebener von Ellison bei Oracle, dreht Giftpillen (poison pills), die Ellison am Kauf hindern sollen: Mit allerlei Tricks soll Peoplesoft unbezahlbar teuer werden.

Alarmierendes muss vom deutschen IT-Arbeitsmarkt gemeldet werden: In den ersten fünf Monaten des laufenden Jahres sank die Zahl der offenen IT-Stellen um rund 50 Prozent gegenüber dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Nur noch 6795 ausgeschriebene Arbeitsplätze zählten die Marktanalytiker von Adecco in 40 untersuchten Tageszeitungen. Die Zahl der Jobs für Netz- und Internet-Experten ging mit 70 Prozent am drastischsten zurück.

Der Thyssen-Krupp-Konzern will seine IT-Tochter Triaton verkaufen. Könnte das ein Menetekel sein? Bei anhaltender wirtschaftlicher Flaute und der gleichzeitigen Notwendigkeit für Konzerne, zu investieren, haben die IT-Auslagerungen künftig vielleicht schlechte Karten. Kommt es unter den Ausgründungen zu einer Konsolidierungswelle?

Ende Juni rauscht es wieder einmal im Blätterwald: Mit der Auslagerung der IT-Entwicklung an die IBM plant diesmal die Commerzbank einen spektakulären Outsourcing-Deal und will den Rechenzentrumsbetrieb für das Investment Banking an Big Blue abgeben. Gut fünf Monate später meldet diese Zeitung: Wieder mal ist ein Outsourcing-Projekt gescheitert.

Früher gemeldet, jetzt Realität: Ende Juni gibt SSA Global Technologies bekannt, es werde seine eigene Produktlinie "PRMS" für die diskrete Fertigung mit der ERP-Software von Baan zusammenführen. Beide Unternehmen gehören den Kapitalgesellschaften Cerberus Capital Management und General Atlantic Partners.

Jan-Bernd Meyer, jbmeyer@computerwoche.de