Websolute: von Karlsruhe über Hongkong nach München

Alles begann im Wohnzimmer

16.06.2000
Der Erfolg überraschte die beiden Studenten. 1996 begannen sie im Wohnzimmer mit Web-Design, im Januar 2000 zogen sie in ihr neues Büro um. Dort ist Platz für 40 Mitarbeiter. Im April kam eine Niederlassung in Hongkong dazu. Von Ingrid Weidner*

"Das Wirtschaftsingenieurstudium ist ziemlich hart. Nur trockene Theorie und keine Praxis. Ich wollte etwas vom echten Leben in der Wirtschaft mitkriegen", erzählt Urs Keller über seine Motive. Dem damaligen Informatikstudenten Dirk Schwartz erging es ähnlich. Also gründeten beide eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Gemeinsam mit einem Programmierer erstellten sie Websites für Firmen, richteten einen Buchungsservice für Reisen ein und freuten sich, dass die kleine Firma so gut anlief. Hilfreich waren viele persönliche Kontakte und die Unterstützung durch das Cyberforum.

"Anfangs waren wir über jeden neuen Auftrag glücklich. Wenn eine Firma mit einem Etat von 3000 Mark kam, dann war das eine große Sache für uns", so Keller. Das provisorische Büro im Wohnzimmer zeigte mit zunehmendem Erfolg seine Nachteile. "Wir arbeiteten in einem kleinen Raum und konnten keine Kunden empfangen. Jedes Mal, wenn ein Kunde vorbeikommen wollte, haben wir ihn in wilder Panik davon überzeugt, dass er es lieber bleiben lassen solle", erinnert sich Keller schmunzelnd an die Anfangsphase. Anfang 1998 wagten sie den Schritt, ein repräsentatives 230-Quadratmeter-Büro anzumieten. "Danach ging es richtig voran. Die Kunden sahen, dass es eine richtige Firma gibt und nicht nur zwei Studenten." Die Kundenliste erweiterte sich monatlich, und Anfang dieses Jahres ist Websolute wieder umgezogen. Das neu renovierte ehemalige Fabrikgebäude bietet den 40 Mitarbeitern auf vier Etagen viel Platz für die Umsetzung ihrer kreative Ideen. Da die Internet-Agentur

weiter wächst, muss sie bald neue Räume dazu mieten.

In der Karlsruher Internet-Szene ist "Websolute New Media Solutions" inzwischen ein fester Begriff. "Die Kunden kommen zur Zeit von selbst, wir müssen uns nur aussuchen, wen wir nehmen wollen." Bei den Stellenbewerbern sieht es ähnlich aus. Vor allem aus der jüngeren Szene und aus Unikreisen fragen viele Studenten und Absolventen bei Websolute nach, wenn sie ins Internet-Geschäft einsteigen wollen. "Die Leute wissen, dass es lustig ist, hier zu arbeiten. Deshalb haben wir gerade ziemlich viele Anfragen", erzählt Sarina Kreutel, Projektleiterin Marketing, die selbst vom Hörensagen von der Agentur erfuhr. Allerdings gibt es Positionen, für die auch Websolute länger suchen muss. "Ein Java-Programmierer steht nicht jeden Tag vor unserer Tür", fügt Keller hinzu.

Allerdings sind die sympathischen Jungunternehmer nicht umsonst so beliebt. Nicht nur die Arbeitsatmosphäre ist angenehm, sondern man engagiert sich auch in der Ausbildung. Der 27-jährige Markus Langer begann im August vergangenen Jahres die Ausbildung zum Mediengestalter mit der Fachrichtung Medienoperating. Er gehört zum ersten Jahrgang, der für den neuen Ausbildungsgang zugelassen wurde. Der gelernte KfZ-Mechaniker konnte nach einem Unfall seinen früheren Beruf nicht mehr ausüben. "Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht", sagt Langer über den Berufswechsel vom Auto zum Computer. Die Ausbildung ist auf drei Jahre angelegt und beinhaltet die Umsetzung multimedialer Projekte von der Konzeption über die Gestaltung bis zur Kalkulation. Allerdings kann Langer aufgrund seiner ersten Berufsausbildung die Lehrdauer auf zwei Jahre verkürzen. Netzadministration und Datenbankanbindung gehören ebenso zum Ausbildungsprogramm wie der Aufbau von Hardwarekenntnissen. "Mir

gefällt es sehr gut hier. Bei einem jungen Team ist die Denkstruktur ganz anders", so Langer. "Niemand kommt auf die Idee, mich zu kontrollieren. Wenn ich zur Entspannung in der Mittagspause surfe oder mal am Computer spiele, dann ist das kein Problem." Nach seiner Ausbildung möchte der angehende Mediengestalter in Kundenberatung und Projektarbeit einsteigen.

Websolute bildet derzeit auch einen IT-Kaufmann gemeinsam mit der Volksbank aus, im Herbst sollen insgesamt vier weitere Auszubildungsplätze für IT-Kaufleute und Mediengestalter dazu kommen. Zugleich beschäftigt die Multimedia-Agentur einen Studenten der Berufsakademie Mannheim, der abwechselnd arbeitet und studiert. Mit dem Engagement beweist das junge Unternehmen, dass es sehr wohl möglich ist, in Wachstumsbranchen und bei Startup-Unternehmen Ausbildungsplätze zu schaffen. Zahlreiche Praktikanten und Diplomanden schnuppern bei Websolute Praxisluft.

Anfang März 1999 wurde aus der GbR eine Aktiengesellschaft mit einem Stammkapital von 100 000 Euro. Börsennotiert ist das junge Unternehmen noch nicht. Seit der Gründung mauserte sich die Praxisübung der beiden Studenten zu einer Fullservice-Online- und Multimedia-Agentur. Neben Internet-Präsentationen bietet die Karlsruher Firma auch E-Commerce-Lösungen und Online-Shopping-Systeme an. Für einen Möbelabholmarkt erstellten sie in einem ersten Schritt den Online-Auftritt. Später kam ein Online-Vertriebssystem dazu. Inzwischen vertreibt das Möbelhaus Designer-Einzelstücke aus den mehr als 30 Filialen über diese Shop-Lösung.

Für das Sozialministerium Baden-Württemberg erarbeitete Websolute ein Redaktionssystem, mit dem die Mitarbeiter die Inhalte der Homepage selbständig aktualisieren können. Neben dem Redaktionssystem für News, Presse und Termine ergänzt eine Pressedatenbank den Service. Als Besonderheit entwickelten die Karlsruher ein Modul für die monatliche Meinungsumfrage zu aktuellen und gesellschaftspolitischen Themen.

Hoffen auf Venture Capital

Bisher finanzierte sich das Unternehmen über die zahlreichen Aufträge von Privatpersonen. Strategische Partner waren für den Erfolg genauso wichtig wie die finanzielle Unterstützung. Die neuen Wachstumspläne möchte Websolute über Venture Capital finanzieren. Im Laufe der vergangenen Jahre hat die Agentur viel Wissen in ihrem Geschäftsbereich angesammelt. Technische Lösungen, beispielsweise für E-Commerce und Shop-Lösungen, sind bereits in die Praxis umgesetzt. "Inzwischen gehen wir auch in den Wettbewerb um Aufträge mit den großen Agenturen", verrät der Geschäftsführer von Websolute.

Am 1. April hat Websolute sein erstes Auslandsbüro in Hong- kong eröffnet. Eine exotische Außenstelle für eine Karlsruher Firma. Wieso gerade Hongkong? Ein Mitglied des Aufsichtsrats brachte die jungen Geschäftsführer auf die Idee. Nach ausführlichen Recherchen war klar, dass der aufstrebende Markt in China und die geringe europäische Konkurrenz gute Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Für das Büro in der ehemaligen Kronkolonie konnte Websolute Torsten Amann gewinnen. Als Leiter der Repräsentanz Hongkong der Landesbank Baden-Württemberg war er schon mehrere Jahre in Fernost tätig. Websolute startet in Asien mit einem Kenner des dortigen Marktes und einem dreiköpfigen Team aus Karlsruhe. Die anderen neuen Mitarbeiter sind Absolventen der dortigen Universität. Gerade die Anforderungen an das Web-Design hängen sehr stark vom kulturellen Kontext ab. Grafik und Gestaltung müssen dort andere Bedingungen erfüllen als in

Europa.

In Deutschland plant Websolute eine Niederlassung in München, um Kunden wie Siemens und Sport 1 besser betreuen zu können. Von Karlsruhe aus möchte das Unternehmen seine Marktposition in Deutschland weiter ausbauen. Allerdings wissen die Strategen auch sehr genau, dass sie nur mit einem vernünftigen Wachstum zu den Ersten der Branche aufsteigen können.

Statt Praktikum Firmengründung

Praxiserfahrung haben die beiden Studenten inzwischen ausreichend sammeln können. "Eigentlich bin ich nach Karlsruhe gekommen, um Wirtschaftsingenieurwesen zu studieren und anschließend zu einer Unternehmensberatung zu gehen. Mittel- fristig wollte ich mich schon selbständig machen." Allerdings hat der 29-jährige Keller die Reihenfolge etwas abgeändert: Vor dem ersten Praktikum bei der Unternehmensberatung gründete er seine eigene Firma.

*Ingrid Weidner ist freie Journalistin in München