Alles andere als ein exklusives Thema der DV-Experten Newcomer bringen frischen Wind in den Groupware-Markt

10.03.1995

Von Winfried Gertz*

Unternehmenserfolge haengen unter anderem von der Einstellung und dem Bewusstsein der Mitarbeiter ab. Technologiestrategien sind ohne Kopplung an entsprechende Fuehrungs- und Kommunikationsmassnahmen mittelfristig ungesichert und zumeist ineffektiv. Dies trifft ins-

besondere auf den Einsatz von Groupware zu.

"Groupware wird die Arbeit im Buero nachhaltig veraendern", toent es von den Schaubuehnen der Marketiers. Die Zukunft, predigen die Propheten, gehoere der computergestuetzten Gruppenarbeit - Workgroup-Computing, wie es nun heisst. Die Botschaft ist klar: Die Produktivitaetsreserven in den Koepfen der Mitarbeiter sollen durch eine neue Organisation, die Schnittstellen vermeidet und Mitarbeitern genuegend Freiraeume gestattet, um Verantwortung und Kontrollaufgaben selbst zu uebernehmen, mobilisiert werden.

So weit, so gut. Von unnoetigen Zwaengen befreit und Umwegen entschlackt soll sie sein, die Organisation der Zukunft. Mitarbeiter werden noch schnell in Teamarbeit geschult, und schon erhebt sich das neue Gebilde wie ein Phoenix aus der Asche des Taylorismus und steigt zu ungeahnten Hoehen der Produktivitaet empor.

Neues Denken und alte Strukturen, ein leidiges Thema. Vor allem fuer jene, die noch nicht mit den Scheuklappen herumlaufen, die die Industrie feilbietet. Die propagiert unverdrossen die Maer von der Glueckseligkeit durch den Heilsbringer IT. Beim Thema Groupware faellt den Promotoren etwas Besonderes ein: perfekte Software, die die Kommunikation verbessert und die Produktivitaet erhoeht. Halleluja!

Sicherlich liegt Groupware im Trend, und angetrieben vom aggressiven und ueberaus erfolgreichen Marketing des Pioniers Lotus Development ueberschlagen sich die Entwicklungsabteilungen in der Industrie nahezu mit immer neuen Gesellenstuecken gegen die Informationsprobleme der weltweiten Wirtschaft. Groupware liegt im Trend von Re-Engineering, Client-Server und Downsizing. Groupware profitiert vom Vertrauen, das bei selbstverordneten Schlankheitskuren in die Informationstechnik gesetzt wird.

Wer will schon Kommunikation total?

Auch wenn Kenner der Szene, wie der Muenchner Unternehmensberater Paul Maisberger, hartnaeckig vor Augenwischerei warnen und Groupware fuer einen alten Hut halten, setzen die Technokraten voller Enthusiasmus auf den neuen Hoffnungstraeger. Jederzeit und ueberall, Kommunikation total - doch wer will das schon?

Unter der Voraussetzung von leistungsfaehigen und dichtgeknuepften Computernetzwerken kommt das Einsatzpotential von Groupware zum Tragen. Im Zuge einer weltweit praktizierten Dezentralisierung und Arbeitsteilung, der zunehmenden Kooperation in virtuellen Teams kann der Nutzen des Groupware-Einsatzes die Kosten rechtfertigen, die aufwendige Systemstrukturen erfordern.

Die Aufwendungen fuer Groupware fuehren jedoch noch nicht zum Return on Investment, zumal die organisatorischen Kosten nicht beruecksichtigt werden, die zum Beispiel fuer Hardware und Netzsysteme kaum zu Buche schlagen. Groupware macht nur Sinn, wenn organisatorische Ablaeufe und Strukturen bis ins Detail geplant sind.

Am sinnvollsten ist der Einsatz dann, wenn Geschaeftsprozesse analysiert und zum Halali des Re-Engineering geblasen wird. Und nicht zuletzt, wenn man sich ueber die Sonderheiten sozialer Kommunikation in Gruppen verstaendigt hat. Sonst folgt ein boeses Erwachen auf dem Fusse.

Die Gartner Group rechnet damit, dass allein der projektverantwortliche IT-Manager 50 Prozent seiner Zeit fuer den organisatorischen Wandel durch die Groupware-Einfuehrung aufbringen muss. Allerdings ist er mit seinem Latein dann am Ende, wenn er sich mit den Auswirkungen der, wie die Amerikaner sagen, "Four bad C's of Communication" herumschlagen muss: "Competition, Compromise, Conflict and Control". Denn die Schattenseite der Kommunikation sparen die Anbieter bewusst aus. Sie verlegen sich vielmehr auf die "Three good C's: Cooperation, Collaboration, Coordination".

Groupware-Technik allein bringt nichts

Unter diesen Vorzeichen wird deutlich, dass Groupware keine technische Herausforderung darstellt. Gefragt sind vielmehr solche Experten, die den Mitarbeitern eine klare Vision vom Nutzen der neuen Wirkungszusammenhaenge eroeffnen und sie zum Umdenken, zu "Organizational learning" motivieren koennen.

Generell bestimmen organisatorische und unternehmenskulturelle Faktoren die Akzeptanz von Workgroup-Computing. Fehlen unternehmensweite Ziele, die unmittelbar mit der neuen Form der Zusammenarbeit verknuepft sind und ueber deren Prioritaet sich einzelne Mitarbeiter, Teams und Entscheider verstaendigen konnten, endet die Reise mit dem Groupware-Zug am "Point of no return".

Ueberhaupt sind es vorwiegend die zwischenmenschlichen Realitaeten, die sich der von Technokraten geforderten Anpassung widersetzen. Wenn zum Beispiel Ergebnisse von Planungsgruppen quer zu etablierten Strukturen liegen, werden das viele als Angriff auf das oft muehsam ausbalancierte interne Machtgefuege ansehen und mit allen Waffen der "No-change"-Guerilla torpedieren.

Ohne Klaerung von organisatorischen Altlasten reichen gutgemeinte Ansaetze nicht ueber den frommen Wunsch hinaus. Schlafende Hunde werden nun einmal wach, wenn man ueber ihre Knochen stolpert. Selbstverstaendlichkeiten, mit denen man bislang gelebt hat, sind ploetzlich in Frage gestellt.

Keine schmerzfreie Therapie anderer Wunden

Die Moderation solcher Gruppenprozesse ist unabdingbare Voraussetzung, will man sich nicht im Bermudadreieck aus Integration, Konfrontation und Resignation verlieren. Die Foerderung des selbstaendigen und kreativen Arbeitens unter Mitarbeitern sowie ihrer kommunikativen Kompetenz ist Fuehrungsaufgabe. Schliesslich geht es um das Bewusstsein des vernetzten Denkens und Handelns, insbesondere in Zeiten internationaler Wirtschaftsbeziehungen.

Dies kennzeichnet das hohe Anforderungsprofil von geplanten Groupware-Projekten, bei denen externe Unternehmensberater ebenso ueberfordert sind wie der IT-Verantwortliche im Unternehmen. Groupware sinnvoll einzusetzen setzt eine gehoerige Kraftanstrengung voraus und ist ueberdies sicherlich keine schmerzfreie Therapie. Sind die "Hausaufgaben" schliesslich erledigt, sollte die Einfuehrung von Groupware in einzelnen Projekten erfolgen.

Inzwischen hat sich ein quicklebendiger Markt in dem von Lotus Notes dominierten Softwaresegment entfalten koennen und hoechst leistungsfaehige Anwendungen in speziellen Groupware-Bereichen hervorgebracht.

Dazu zaehlt das Conferencing, das die ueberwiegende Mehrheit von Groupware-Anwendern praeferiert, so jedenfalls ermittelte es die Gartner Group. Zu nennen sind hier die Produkte "Collabra Share" von Collabra Software oder "Conference+" von der Mesa Group. Beide verfuegen ueber Software-Agenten, die Anwendern von "Profs", "Office Vision" oder "All-in-1" ebenfalls Zugang zum Informationsaustausch und der Zusammenarbeit in Projekten ermoeglichen.

Die Zeiten, als es noch hiess "The Notes way or go away", sind passe. Kampferprobte Investoren engagieren sich in Neugruendungen und setzen Lotus unter Druck. Lotus-Chef Jim Manzi sah sich durch die vorlaute Konkurrenz im eigenen Revier juengst gezwungen, mit "Notes Express", einer abgespeckten Client-Version, den Aufstaendischen zu zeigen, wer Herr im Hause ist.

Ein anderer Bereich ist die elektronische Vorgangsbearbeitung, Workflow genannt. Key player sind unveraendert Action Technology mit "Analyzer/Builder", Filenet mit "Visual Workflow", Recognition-Plexus mit "Floware" und Bulls "Flowpath".

Langsam, aber gewaltig draengt sich IBM mit "Flowmark" in den Vordergrund, wie auf den Events Groupware '94 und Workflow '94 in den USA zu sehen war. In eindrucksvoller Manier nutzte Big Blue die Gelegenheit, das Thema Workflow zum strategischen Scharnier des Management-Themas Business Re-Engineering und der klassischen IT-Sicht zu erheben.

Ueberhaupt hat sich die Vorgangsbearbeitung zu einem heissdiskutierten Business-Feld aufgeschwungen, wie die Gruendung der Workflow Management Coalition im Jahre 1994 zeigte. Die ueber 70 ruehrigen Mitglieder haben bereits ein Workflow-Referenzmodell mit Basiskonzepten vorgelegt, das insgesamt fuenf Software- Interfaces beschreibt. Die Handschrift der Workflow-Gruppe ist deutlich von den Firmen Action Technologies, AT&T, Fujitsu und IBM gepraegt.

Workflow-Systeme stellen eine Art elektronische Umlaufmappe zur Verfuegung, in der Informationen aus Textverarbeitung, Kalkulationen oder Datenbanken zusammengefasst und entlang einer definierten Prozesskette transportiert werden. In Verbindung mit Dokumenten-Management-Systemen (DMS) - ueberzeugende Groupware- Loesungen integrieren Workflow und DMS selbstverstaendlich - kommt der Generationswechsel vom Personal zum Interpersonal Computing in die Gaenge.

Flankiert von objektorientierten Oberflaechen und Multimedia- Funktionen werden interne und externe Kommunikationsbeziehungen und Entscheidungsprozesse auf ein gewuenschtes Niveau "verschlankt" und die organisatorische Leistungsfaehigkeit gesteigert. Laut einer Analyse des Marktforschungsunternehmens Diebold liessen sich Papierberge abbauen, die Informationsflut bewaeltigen sowie Marktleistung und Kundenservice erheblich beeinflussen.

Das Segment fuer Workflow-Anwendungen verspricht ein interessanter Markt zu werden. Wie die Gartner Group in einer Markterhebung ermittelte, wuerden nach neun Prozent 1993 in zwei Jahren bereits 40 Prozent der Unternehmen Workflow in ihre Datenverarbeitung integriert haben. Fuer das Jahr 2000 rechnet man mit einem Anstieg auf 70 Prozent.

In Finanzwesen und Behoerden schon verbreitet

Etwa 65 Prozent aller Installationen sind in Banken, Versicherungen und Behoerden zu finden. Kreditbearbeitungen und die Verfolgung von Reklamationen dominieren unter den Anwendungen. Fuer die naechsten zwei Jahre sind ueberdurchschnittliche Investitionen in Industrie und Handel zu erwarten.

Trotz der gegenwaertigen Aufsplittung des Groupware-Markts in boomende Segmente rechnen Branchenbeobachter mittelfristig mit einer deutlichen Bereinigung und dem fruehzeitigen Ausscheiden hoffnungsvoller Newcomer. Waehrend nur wenige Spezialisten ueberleben koennen, insbesondere wenn das Produktportfolio fruehzeitig ausgeweitet wurde, laeuft alles auf ein Spitzentrio der Unternehmen Lotus, Microsoft und Novell hinaus. Eher bescheidene Aussichten werden ICL, DEC, OCP und - trotz neuerlichen Vorpreschens - IBM eingeraeumt.

Vor allem Novell kann Microsoft Paroli bieten

Novell hingegen hatte sich 1994 durch die Uebernahme von Wordperfect eine solide Basis geschaffen, den Groupware- Platzhirschen das Feld streitig zu machen. Die Netzwerkspezialisten aus Utah wetzen ihre Messer vor allem fuer die Schlacht ums Enterprise-Computing, wo die Konkurrenz von der smarten Lotus-Truppe nur mit Kleinkalibern schiessen kann.

Voraussetzung allerdings ist die zuegige Integration von "Wordperfect" und des Brautgeschenks "WP Office" in die Novell- Loesungen. Sollte dies gelingen, duerfte sich Novell bei 20 Prozent Marktanteil etablieren. Falls Novell seine Hausaufgaben nicht loesen kann, wird Microsoft sich auch diesen Markt einverleiben.

Groupware wird bald zur Standardausruestung von Netzwerk- und Betriebssystemen sowie von Oberflaechen gehoeren. In den Vordergrund werden Aspekte der Organisation und der Zusammenarbeit von Menschen am Computer ruecken. Auf den Datenautobahnen der Zukunft wird Groupware sicherlich digitale Mobilitaet garantieren - aber auch so manchen Stau.