Daimler-Chrysler schafft Transparenz mit wenig Aufwand

Alle Zulieferer haben den Durchblick

08.03.2002
Von 
Karin Quack arbeitet als freie Autorin und Editorial Consultant vor allem zu IT-strategischen und Innovations-Themen. Zuvor war sie viele Jahre lang in leitender redaktioneller Position bei der COMPUTERWOCHE tätig.
SINDELFINGEN (COMPUTERWOCHE) - Dank eines Internet-basierenden Werkzeugs verschafft sich das Daimler-Chrysler-Werk Sindelfingen Übersicht über seine Lieferkette - bis hinunter auf die sechste Stufe. Die Lösung basiert auf einer zentralen Datenbank und wird über eine simple Schnittstelle mit dem jeweiligen ERP-System verbunden.

"Supply-Chain-Management ist in der Diskussion erheblich weiter als in der Praxis", konstatiert Hartmut Graf, als Centerleiter verantwortlich für die Logistik im Werk Sindelfingen der Daimler-Chrysler AG, Stuttgart. Seiner Erfahrung nach haben die meisten Unternehmen allenfalls die Zulieferer auf der ersten Ebene (1st Tier Supplier) angebunden, "aber nach hinten wird es immer weniger".

Foto: Daimler-Chrysler/CW-Grafik
Foto: Daimler-Chrysler/CW-Grafik

Wie wichtig es sein kann, Informationen schnell und präzise über die gesamte Lieferkette zu verbreiten, erfuhr der Automobilhersteller auf recht anschauliche Weise. 1997 brachte er eine überarbeitete Version der C-Klasse auf den Markt, die aufgrund umfassender Modellpflege-Maßnahmen eine hohe, in diesem Maße unerwartete Nachfrage auslöste.

Daimler-Chrysler wäre eigenen Aussagen zufolge für den Kundenansturm gerüstet gewesen - hätte sich nicht ein Flaschenhals auf der fünften oder sechsten Stufe des Zulieferprozesses für die Türinnenverkleidungen ergeben, dort also, wo das Automobilwerk aufgrund seiner "schlanken" Produktion keine direkte Kontrolle mehr ausübt. Ein gebrochenes Spritzwerkzeug hinderte dieses Zulieferunternehmen daran, termingerecht die Kunststoffteile zu fertigen, auf die der Stoff für die Verkleidungen aufgezogen wird.

Um Produktionsausfälle in den Werken Sindelfingen und Bremen zu vermeiden, schichtete Daimler-Chrysler die Abläufe um, was sich wiederum auf andere Modellreihen auswirkte. "Wir haben ein Loch von einer Woche mitgeschleppt", erinnert sich Graf. Zwei Erkenntnisse zog der Logistik-Manager aus diesem Vorfall: "Unsere Fertigung hängt von Lieferanten auf der sechsten Ebene ab, die wir nicht einmal kennen." Und daraus folgend: "Wir dürfen uns nicht mehr überraschen lassen."

Kann ein Automobilbauer erst reagieren, wenn der 1st Tier Supplier den Notstand ausruft, so gerät er früher oder später wohl in eine Engpasssituation. Deshalb will Graf möglichst sofort informiert werden, wenn auf irgendeiner Stufe der Zulieferkette die sprichwörtliche rote Lampe aufleuchtet: "Hätten wir eher Bescheid gewusst, hätten wir entsprechend reagieren können."

Ergänzung der Lieferabrufe

Auf der anderen Seite sollten auch die Zulieferer so früh wie möglich Bescheid wissen, wenn sich der Bedarf bei Daimler-Chrysler ändert. Das Motto heißt also: Transparenz über die gesamte Lieferkette schaffen - von jedem ihrer Glieder aus und bezüglich der Grob- wie der Feinplanung. Zum Leidwesen der Logistiker kann ein Mercedes-Kunde noch wenige Tage vor der Produktion seines Autos einige Ausstattungsmerkmale, beispielsweise die Farbe der Lederausstattung, ändern.

Gesucht wurde also ein Tool, das die Lieferbeziehungen eindeutig abbildet und es ermöglicht, Änderungen des auf neun Monate angelegten Forcecast sowie Probleme bezüglich der Lieferfähigkeit in Echtzeit sichtbar macht. In Grafs Diktion: "ein Frühwarninstrument zur Ergänzung der Lieferabrufe". Der eigentliche Warenfluss lässt sich damit selbstverständlich nicht beschleunigen - so dauert es beispielsweise zwei Monate, bis das Fell einer südafrikanischen Kuh als lederne Türverkleidung in Sindelfingen eintrifft -, sehr wohl aber der Informationsfluss: Wird die Nachricht über eine Bedarfsänderung oder einen Lieferengpass sequenziell weitergegeben, kann es Wochen dauern, bis sie vom schwäbischen Automobilwerk bis zu den lederverarbeitenden Werkstätten am Kap der Guten Hoffnung durchgedrungen ist.

Hartmut Graf, Daimler Chrysler: "Die Lösung spielt die Investitionskosten in weniger als einem Jahr wieder ein."
Hartmut Graf, Daimler Chrysler: "Die Lösung spielt die Investitionskosten in weniger als einem Jahr wieder ein."

Mit Unterstützung eines Internet-basierenden Werkzeugs ist das quasi ohne Zeitverzögerung möglich. Bei 15 der 50 bis 100 "kritischen" Lieferketten könnte ein derartiges System, so Graf, "sofort einen Nutzen bringen". Umgesetzt sind in Sindelfingen bislang fünf Pilotinstallationen. Die sechsstufige Supply-Chain für die Türinnenverkleidungen wurde mittlerweile schon zweimal modelliert - für die alte sowie für die aktuelle E-Klasse. Ebenfalls für die mittlere Baureihe mit dem Kühler-Stern und wiederum in der älteren wie in der jüngsten Ausführung sind die Lieferprozesse für Ledersitze abgebildet.Und kürzlich kam die Supply Chain für die Heckdeckel des C-Klasse-Sportcoupés hinzu.

Als die Sindelfinger Anfang 1998 daran gingen, den ersten Prozess umzusetzen, sahen sie sich intensiv auf dem Softwaremarkt um. Graf spricht von zehn Anbietern, die er und Projektleiter Stefan Putzlocher unter die Lupe genommen hätten. Doch keiner habe Referenzen in der Automobilindustrie vorzuweisen gehabt. Deshalb entschlossen sich die beiden Supply-Chain-Management-Experten, ihre Vorstellungen in Gestalt von Individualsoftware verwirklichen zu lassen.

Gemeinsam mit dem IT-Berater Icon Industrie Consulting GmbH, Karlsruhe, fanden sie eine Lösung, die das bietet, was die Logistikverantwortlichen benötigen, und dabei denkbar geringen Aufwand erfordert. Sie basiert auf dem Icon-eigenen Planungssystem für Lieferketten, das Daimler-Chrysler allerdings nur zu einem kleinen Teil ausnutzt.