US-amerikanisches Softwarehaus plant weitere Expansion in Deutschland

Agilisys will nach Brain auch Infor übernehmen

21.11.2003
MÜNCHEN (ba) - Agilisys kauft weiter auf dem deutschen ERP-Markt ein. Nach der Übernahme der insolventen Brain AG vor rund einem Jahr will das US-amerikanische Softwarehaus nun auch die Infor Business Solutions AG schlucken. Während sich die Wettbewerber darüber freuen, dass künftig ein Konkurrent weniger am Markt agiert, äußern sich Anwender, vor allem was die weitere Produktstrategie anbelangt, skeptisch.

Mit der Akquisition würde einer der weltweit größten ERP-Anbieter für die herstellende Industrie entstehen, werben die Verantwortlichen der in Atlanta beheimateten Agilisys für die Übernahme von Infor. Laut den bislang bekannt gegebenen Informationen will Agilisys den Infor-Aktionären 4,25 Euro je Anteilschein bieten. Dies entspräche einem Kaufpreis von rund 42,5 Millionen Euro. Nachdem Vorstände und Aufsichtsräte beider Unternehmen dem Geschäft bereits zugestimmt haben, benötigen die Verantwortlichen noch das Einverständnis der Aktionäre. Nach der offiziellen Bekanntgabe der Offerte, die für Mitte Dezember erwartet wird, soll die Übernahme bis Mitte Januar 2004 abgeschlossen sein.

"Diese Akquisition macht uns zum führenden Anbieter mittelständischen ERP-Anbieter in Europa", prognostiziert Jim Schaper, CEO von Agilisys. Außerdem sei der Deal ein wichtiger Schritt, "weltweit wichtigster Anbieter von ERP- und Supply-Chain-Management-(SCM-)Lösungen für die herstellende Industrie in definierten Branchen zu werden".

Für Joachim Hertel, CEO von Infor, war offenbar der finanzielle Hintergrund des Käufers ausschlaggebend. Eigentümer von Agilisys sind neben Teilen des Managements Kapitalgeber wie Golden Gate Capitol, Parallax Capitol und Summit Partners. "Der Zusammenschluss mit Agilisys gibt uns die nötigen finanziellen Ressourcen, um unser Wachstum voranzutreiben, argumentiert Hertel. Für die Kunden bedeute dies "langfristige Investitionssicherheit sowie den Zugriff auf die globale Infrastruktur und Finanzmittel von Agilisys, die für eine langfristige Wettbewerbsfähigkeit erforderlich sind".

Die war offenbar aus eigener Kraft nicht mehr zu sichern. So räumten die Infor-Verantwortlichen mit Blick auf die Zahlen für die ersten neun Monate des laufenden Jahres ein, hinter den selbst gesteckten Zielen zurückzuliegen. Angesichts eines elfprozentigen Umsatzrückgangs auf 47,6 Millionen Euro sowie eines negativen Ergebnisses vor Steuern von 3,3 Millionen Euro für die Monate Januar bis September sei davon auszugehen, dass der geplante Umsatz in Höhe des Vorjahres sowie ein positives Jahresergebnis vor Steuern nicht zu erreichen seien.

Anwender reagierten in ersten Stellungnahmen überrascht und skeptisch. Die Übernahme sei doch ein wenig plötzlich gekommen, kommentiert Rolf Schaub, IT-Leiter der Hugo Beck Maschinenbau GmbH & Co. KG in Dettingen. Er habe eher damit gerechnet, dass Infor zukaufe. Den Deal mit Agilisys verfolgt man auch bei der Astor-Werk Otto Berning GmbH & Co. in Schwelm mit Skepsis. Es sei zu befürchten, dass im Zuge der zu erwartenden Einsparungen der Support vor allem der älteren Release-Stände leide.

Ein Anwender aus der Elektronikindustrie, der namentlich nicht genannt werden möchte, interpretiert die Übernahme dagegen als Verbesserung. Das Management bei Infor sei unfähig gewesen. Deshalb gehe er auch davon aus, dass einige Köpfe ausgetauscht würden. Seinen Informationen zufolge seien die Agilisys-Verantwortlichen dabei, eine neue Company zu bauen, die unter dem Namen Infor firmieren werde. Basis der künftigen Strategie werde das Infor-Produkt sein. Die ehemaligen Brain-Anwendungen hätten dagegen keine Zukunft.

Dem widerspricht Wolfgang Kobek, Geschäftsführer der Agilisys-Gruppe Brain Industries. Es werde keine Änderungen der Produkt-Roadmaps oder Abstriche bei Support und Wartung geben, versichert er. Die endgültige Strategie könne man jedoch erst nach Abschluss des Geschäfts festlegen. Laut seinem Kollegen Bernd Hau, Chef von Agilisys Automotive, gibt es keine Pläne, Produkte kurzfristig zusammenzuführen. Langfristig sei es dagegen sinnvoll, einen größtmöglichen gemeinsamen Nenner zu finden. Das werde jedoch noch Jahre dauern.

Dagegen scheinen sich die Namensüberlegungen zu bestätigen. In einem Informationsblatt an die Kunden heißt es, dass momentan geprüft werde, ob der Name Infor für das gesamte Unternehmen verwendet werden könne. Auch eine erste Personalentscheidung wird hier bekannt gegeben: Infor-Chef Hertel soll künftig weltweit die Produkt- und Entwicklungsstrategie verantworten.