Afterdenken - oder Blue is beautiful

01.11.1985

Was der CW-Kolumnist einmal drastisch "Trittbrettfahrerei" nannte, heißt in der DV-Branche weltweit "Anlehnung an den Industrie-Standard": das Bestreben der Nicht-IBM-Anbieter, im Kielwasser des Giganten auf Erfolgskurs zu segeln.

Nachdem Big Blue die Mainframe-Konkurrenz mit zwei Ankündigungswellen (1970 mit dem System /370 und 1979/80 mit den 4300-Rechnern sowie der Serie 308X) überrollt hatte, zogen die BUNCH-Mitglieder (Burroughs, Univac, NCR, Control und Honeywell) die Konsequenz: Krampfhaftes Festhalten am Status quo - sprich: Schutz des eigenen Kundenparks - und Ausweichen auf vermeintliche Zukunftsmärkte (Expertensysteme, Unix etc.). Im PC-Sektor wiederholt sich jetzt das grausame Spiel. Die Zahl der AT-Kompatiblen, um nur ein Beispiel zu nennen, wird immer größer: Afterdenken - übertriebenes Nachäffen, das sich nicht auszahlt. Denn die IBM selbst hält sich, was AT-Announcements betrifft, vornehm zurück, tut nur das Nötigste, um Nachahmer und Kunden bei Laune zu halten.

Den Durchmarsch der IBM konnten weder Burroughs & Co. noch die Apples, Compaqs und Victors verhindern. 90 Prozent aller Mainframe-Installationen, so schätzen Marktforschungsunternehmen wie IDC, laufen heute unter IBM- oder IBM-kompatiblen Betriebssystemen. Der Anwender hat die Wahl zwischen Hellblau, Dunkelblau und reinem IBM-Blau: Blue is beautiful.

Das hat Auswirkungen auf alle Bereiche:

- IBM "macht" die DV-Personalpolitik in den Anwenderfirmen - Exoten-Wissen läßt sich nicht vermarkten. Schlimmer ist, daß sich auch die DV-Ausbildung - ob extern oder intern - am /370-Level orientiert. So wird die Effizienz daran gemessen, wie viele Informatiker mit IBM-Produkt-Know-how abgefüllt werden können. Der Ehrgeiz der DV-Verantwortlichen ist darauf gerichtet, möglichst viele Mitarbeiter mit IBM-Kenntnissen zu haben.

- IBM setzt Hardware- und Software-Standards (/370, 3270, PC, SNA, LAN etc.).

- Leasing-, Kommunikations- und PC-Anbieter üben sich in Unterwürfigkeit gegenüber der supermächtigen IBM. Willfährig sind auch die "unabhängigen" Softwarehäuser: Weichwear wird nur für IBM-Hardware gestrickt.

- Der Grundsatz, alles zu unterlassen, was Big Blue als unfreundlich ansehen könnte, bestimmt - last but not least - das Verhalten der IBM-User-Groups: Bei der SEAS/Share-Vereinigung etwa ist es verpönt, Resolutionen zur Veröffentlichung an die COMPUTERWOCHE zu geben.

Wachsende "lBMisierung" beschneidet die Chancen der "alten" DV-Hersteller, sperrt aber auch den Markt für junge, "hungrige" Start-up-Unternehmen. Damit endet letztlich der Wettbewerb.

Es wird indes nicht soweit kommen. Denn die IBM ist sich selbst im Wege. Um satt zu werden, muß sie alles fressen. Der Verdauungsapparat wächst und wächst - bis er das Gehirn erdrückt. Die Folgen für den Koloß kann man sich leicht ausmalen.