Publizitätspflicht und ihre Schattenseiten

Ad-hoc-Ticker wird oft für das Marketing missbraucht

03.03.2000
FRANKFURT/M. - Ursprünglich als eine Art Sicherheitsgarantie für die Anleger konzipiert, wird die Ad-hoc-Publizitätspflicht für börsennotierte Firmen zunehmend als Plattform für Werbezwecke und damit zur Kursmanipulation missbraucht. Vor allem im Vorfeld der diesjährigen CeBIT versuchten einige der am Neuen Markt gelisteten Companies, mit einfachen Produktmeldungen ihrem Papier auf die Sprünge zu helfen.Von Andrea Goder*

"Wir haben 1999 wohl alle Rekorde geschlagen", tönte Ingo Endemann in einer Ad-hoc-Mitteilung Anfang des Jahres über die Geschäftsentwicklung der zurückliegenden Monate. Mit voraussichtlich 8,1 Millionen Mark Umsatz und drei Millionen Mark Gewinn vor Steuern (1999) sieht sich der Vorstandschef des gleichnamigen Suchmaschinen-Winzlings "in äußerst erfolgreichem Wettbewerb zu finanzstarken US-amerikanischen Anbietern wie Yahoo oder Lycos", wie es stereotyp in mehreren Mitteilungen heißt.

Rekordbrecher war die Endemann Internet AG jedenfalls bei der Zahl der seit dem Börsengang im März 1999 geschalteten Ad-hoc-Mitteilungen. Auf 20 kurstreibende Meldungen, wie böse Zungen behaupten, brachte es das Startup-Unternehmen bis zum Ende vergangenen Jahres. Ad hoc wurde beispielsweise die Gewinnprognose für das Jahr 2000 von sechs auf 7,2 Millionen Mark "deutlich nach oben korrigiert" oder voreilig eine US-Übernahme bekannt gegeben, um sie dann zwei Monate später wieder zur Makulatur zu erklären. Ad-hoc-Potenzial hatte für die Neusser auch ein auf den ersten Blick geschickt aufgemachter Auszug aus der Liste der Werbekunden. Nicht zu vergessen: "Deutschlands ertragsstärkstem Suchmaschinenbetreiber" wurde im Juli 1999 zu allem Überfluß auch noch mit einer in diversen Broker-Chat-Foren lancierten gefälschten Ad-hoc-Meldung übel mitgespielt. Das Unternehmen musste die dort verbreitete Gewinnwarnung dementieren, ad hoc, versteht sich.

Doch Endemann.de ist kein Einzelfall. Die Welle an Meldungen, die in den letzten Monaten die in Frankfurt am Main ansässige Deutsche Gesellschaft für Ad-hoc-Publizität (DGAP) überrollte, sprengt alle bisher gekannten Dimensionen. Laut Paragraph 15 Wertpapierhandelsgesetz (WPG) müssen Unternehmen neue Tatsachen und Ereignisse "unverzüglich" veröffentlichen, wenn sie den Aktienkurs "erheblich beeinflussen" können. 98 Prozent der Ad-hoc-Meldungen laufen über die DGAP, ein Joint Venture der Nachrichtenagenturen Reuters und vwd sowie der Deutsche Börse AG.

Was von den Initiatoren der DGAP im Januar 1995 zunächst als Instrument zum Schutz der Anleger auf den Weg gebracht wurde - vor allem um Unternehmen zu zwingen, kursrelevante Tatsachen bekannt zu geben - wurde zuletzt von immer mehr Neuen-Markt-Unternehmen als hervorragendes Marketing-Tool entdeckt. Ratterten 1998 noch 1900 Ad-hoc-Meldungen über die Ticker der Agenturen, schnellte die Zahl im vergangenen Jahr auf über 3000 hoch. Ein Großteil davon geht auf das Konto sogenannter Small- und Mid-Cap-Unternehmen an Frankfurts Hightech-Börse. Zum Vergleich: SAP brachte es im letzten Jahr auf sieben Ad-hoc-Mitteilungen.

Besonders dreist gebärdeten sich einige Börsen-Newcomer im Vorfeld der CeBIT. Firmen wie Maxdata, Höft & Wessel, Telegate, Infor und CPU verstopften den Frankfurter Nachrichtenkanal ungeniert mit Produktmeldungen. "Rechtzeitig zur CeBIT 2000 präsentiert die Hoeft & Wessel AG ihre Kiosk.Toolbox, mit der unterschiedliche Kiosk-Anwendungen (...) schnell und kostengünstig umgesetzt werden können", meldete beispielsweise der Spezialist für mobile Ticketing-Systeme in bester PR-Manier.

Nicht unbedingt überzeugend ist auch die jüngste Ad-hoc-Meldung der Infor Bussiness Solutions AG. Der Anbieter von ERP-Software teilte der Finanzöffentlichkeit mit, dass bereits am ersten CeBIT-Tag zwei Aufträge mit einem Gesamtvolumen von 1,2 Millionen Mark akquiriert werden konnten. Auch andere frisch gekürte AGs überfluteten die Investoren in den letzten Monaten mit nicht gerade kursrelevanten Nachrichten. So gab die Plaut AG den "Staffelwechsel in der Führung Plaut USA" über die DGAP-Plattform bekannt. Ein willkommener Anlass, sich ad hoc ins Spiel zu bringen, sind für Unternehmen auch akquirierte "Großaufträge". Noch kurz vor dem Jahreswechsel brüstete sich die Hamburger Emprise AG mit einem SAP-Recustomizing-Projekt im Gesamtvolumen von über einer Million Mark. Kräftige Kursbewegungen versprechen sich Vorstände besagter Firmen offenbar selbst von noch so kleinen Übernahmen oder Mini-Beteiligungen. Beispiel Gigabell: Im Dezember 1999 verleibte sich der Netzbetreiber und Internet-Service-Provider (ISP) den österreichischen Wettbeweber Abascus ein. Erwarteter Umsatz der Austria-Filiale für 1999: 700000 Euro.

Eine Entwicklung, über die die Gründer der DGAP alles andere als glücklich sind - hinter vorgehaltener Hand jedenfalls. Offiziell gibt man sich eher bedeckt. "Einige Newcomer müssen sich erst die Hörner abstoßen", meint DGAP-Geschäftsführer Peer Schumann. "Wir sind in erster Linie Logistik-Dienstleister und verstehen uns nicht als Zensor", liefert er als Erklärung nach und zieht sich dabei auch auf formale Kriterien zurück. "Für den Inhalt der Meldung ist alleine der Emittent verantwortlich", heiße es schließlich am Beginn jeder Ad-hoc-Mitteilung.

Nach Auffassung von immer mehr Kritikern schaut die DPAG dem illustren Treiben jedoch allzu geduldig zu. Je mehr unwesentliche Meldungen über den Ticker liefen, um so mehr untergrabe man die Signalwirkung einer Paragraph-15-Mitteilung. Allzu mitteilungsfreudige Firmen würden sich somit auf Dauer alles andere als einen Gefallen tun. Zwar behält sich die DPAG Sanktionsmaßnahmen vor. Von der Möglichkeit, den Servicevertrag zu kündigen, wenn Unternehmen wiederholt über kaum kursbeeinflussende Sachverhalte berichten, wurde allerdings noch nicht Gebrauch gemacht. Schließlich kassiert die DGAP von Firmen 1000 Euro Grundgebühr pro Jahr, 260 Euro kostet jede weitere Meldung. Um, so Schumann, keinen "allzu günstigen Anreiz" zu schaffen, soll die Meldegebühr zur Jahresmitte aber erhöht werden.

Relativ bescheiden sind auch die Sanktionsmöglichkeiten des Bundesaufsichtsamtes für den Wertpapierhandel (BAWe). Auf den Plan tritt die Frankfurter Institution immer dann, wenn Unternehmen Sachverhalte falsch oder gar nicht publizieren. 1999 wurden zwei rechtskräftige Bußgelder (die Firmen werden nicht genannt) verhängt. Bei redundanten oder nicht erheblich kursbeeinflussenden Informationen ist der Handlungsspielraum jedoch begrenzt.

* Andrea Goder ist feie Journalistin in München

Ad-Hoc-Mitteilungen

Eine kleine Auswahl"Bei Intersearch kam es durch den Tod eines Gesellschafters zu vakanten Unternehmensanteilen, bei deren Übernahme sich die Endemann Internet AG gegen andere große Wettbewerber durchsetzen konnte." (Meldung vom 8. Juli 1999)

"TTL auf dem Sprung über den grossen Teich. Für die TTL Information Technology AG ist bereits die zweite Akquisition im neuen Jahr in greifbare Nähe gerückt." (Meldung vom 23. Februar 2000)

"Die CPU Softwarehouse AG gibt bekannt: Die Telesoft GmbH, eine 100-prozentige Tochter der CPU AG, stellt am 15.02.00 um 11.00 Uhr im Konferenzraum Gasteig (...) das neue persönliche Info-Portal Telecity.com der Öffentlichkeit vor." (Meldung vom 17. Februar 2000)

"Die Maxdata AG, mit Belinea der führende Hersteller von Monitoren in Europa, platziert noch vor Beginn der CeBIT eine neue Monitorserie im Einstiegssegment." (Meldung vom 16. Februar 2000)

"Die Telegate AG startet mit Beginn der CeBIT, wie angekündigt, ihren Internet-Service 11880.com." (Meldung vom 25. Februar 2000)