Acht Thesen zur Weiterbildung in Organisationen Multimedia ist nur ein Element neuer Lernkultur in Betrieben Von Bertram Wohak*

05.11.1993

Interaktives und multimedial unterstuetztes Selbstlernen wird als Wundermittel gegen ausufernde Weiterbildungsetats gehandelt. Entsprechende Lerntechnologien koennen jedoch nur im Rahmen einer neuen betrieblichen Lernkultur die in sie gesetzten Erwartungen erfuellen. Dazu acht Thesen.

These 1: Der Rummel um Multimedia verstellt leicht den Blick dafuer, dass es in der betrieblichen Weiterbildung primaer nicht um multimediales High-Tech, sondern um Qualitaet und Effizienz von Lernprozessen geht.

Wichtigstes Weiterbildungsziel ist laut einer aktuellen Marktuntersuchung die Sicherung der fuer den Unternehmenserfolg1 notwendigen Mitarbeiterqualifikationen. Damit wird es fuer die Unternehmen immer wichtiger, Effizienz, Qualitaet und Wirtschaftlichkeit von Lernprozessen zu erhoehen. Diesem Primat haben sich die Lehr- und Lernverfahren unterzuordnen.

These 2: Diejenigen Unternehmen werden fuer die Herausforderungen der Zukunft am besten geruestet sein, die sich zu lernenden Organisationen gewandelt und eine lebendige Lernkultur entwickelt haben.

Ihre Merkmale sind:

- Lernen findet vorrangig bei der konkreten Arbeitstaetigkeit der einzelnen Mitarbeiter und in der Zusammenarbeit mit anderen statt (als "implizites Lernen").

- Im Vordergrund steht dabei das eigenaktive Selbstlernen und die Entwicklung der individuellen Lernfaehigkeit und -bereitschaft der Mitarbeiter.

- Organisiertes Lernen in Weiterbildungsveranstaltungen ("explizites Lernen") wird vorrangig in solchen Formen durchgefuehrt, die die Selbstlernkompetenz der Teilnehmer verstaerken. Nicht die Perfektionierung des Lehrens, sondern das Lernen soll im Mittelpunkt stehen.

- Gelernt wird in Weiterbildungsveranstaltungen weniger in traditionellen Formen von Wissensvermittlung und Wissensaufnahme als in handlungsorientierten Lernumgebungen. Interaktive Lerntechnologien koennen hier ein nuetzliches Hilfsmittel sein.

These 3: Eine neue Lernkultur erfordert ein Umkrempeln untauglicher tradierter Vorstellungen zugunsten eines erwachsenengerechten Lernens.

"Erwachsene assoziieren mit Lernen oft Schule und Langeweile, Leistungsdruck und Versagensaengste. Das entspricht ja wohl den Lernerfahrungen ganzer Schueler- und Studentengenerationen. Die moderne Didaktik weist diese Erbschaft allerdings zurueck und widmet sich mehr dem Motivations- und Anregungscharakter von Lernen. Lernen soll heute auch Spass machen, was vor allem dann der Fall ist, wenn Lernen effektiv geschieht und man das Gelernte auch anwenden kann2."

These 4: Interaktive Lernmedien werden sich auf Dauer fuer die Betriebe nur auszahlen, wenn sie in umfassende Schulungskonzepte integriert sind. Sie koennten zumindest die folgenden Bestandteile enthalten:

- Fuer ihre Taetigkeit erforderliches Grundlagenwissen koennen sich die Mitarbeiter zeitlich und raeumlich selbstbestimmend am Arbeitsplatz oder besser in einem arbeitsplatznahen Lernstudio erarbeiten.

- Zur praxisbezogenen Schulung werden organisierte Weiterbildungsveranstaltungen wie Kurse, Seminare etc. nach wie vor entscheidend sein. Durch ihre Vorbereitung mit Hilfe geeigneter Lernprogramme lassen sich jedoch nicht nur die kognitiven Eingangsvoraussetzungen der Kursteilnehmer homogenisieren, sondern auch Kursdauer und damit Kosten reduzieren.

- Zwecks Sicherung des Erlernten, zur Auffrischung, Wiederholung und zum Training koennen die Mitarbeiter wieder ein guenstig gelegenes Lernstudio nutzen. Wo dies organisatorisch moeglich und inhaltlich sinnvoll ist, koennen sich auch arbeitsplatznahe Transfergruppen bilden.

These 5: Interaktiven Lernmedien kann in erlebnis- und handlungsorientierten Weiterbildungsveranstaltungen eine wichtige Rolle zukommen.

Durch die Betonung des Selbstlernens muss in Weiterbildungskursen nicht mehr die Wissensuebertragung per Frontalunterricht dominieren. Damit wird Raum geschaffen fuer mehr teilnehmerorientierte und aktivierende Lernformen wie Gruppen- und Projektarbeit, Simulationen, Lernprogramme und Spiele kombiniert mit Elementen des Mentaltrainings wie autogenes Training und Entspannungsuebungen3, 4. Diese erlebnisintensiven Kurse setzen jedoch voraus, dass die Trainer neue Rollen uebernehmen, auf die in These 8 eingegangen wird.

These 6: Multimedia ist derzeit mehr in Fachzeitschriften und auf Kongressen praesent als in der betrieblichen Weiterbildungspraxis.

Koennte der langsame Einzug multimedialer Lernsoftware in die betriebliche Weiterbildung auch damit zu tun haben, dass fuer die Mehrzahl der dort angestrebten Lernziele laufendes Video (die technisch aufwendige und teure Kerneigenschaft von Multimedia) nicht benoetigt wird? Denn thematisch stellen DV und technische Fachqualifikationen branchenuebergreifend mit mehr als 40 Prozent den Schwerpunkt der Weiterbildungsmassnahmen dar1. Es ist daher kein Zufall, dass die Mehrzahl der gegenwaertig verfuegbaren konventionellen Lernprogramme auf diese Qualifikationen Bezug nimmt5. Dafuer ist laufendes Video schlicht und einfach nicht erforderlich. Ein Verstaendnis fuer Zusammenhaenge laesst sich bei diesen Themen besser durch gut gemachte Grafiken, Schemazeichnungen und Animationen foerdern als durch Videosequenzen. Es ist also sehr genau zu pruefen, welche Lernziele ueberhaupt die hoeheren Kosten von Multimedia didaktisch rechtfertigen.

These 7: Haeufig besteht noch eine Kluft zwischen Arbeiten und Lernen. Arbeitsplatznahe Selbstlernstudios koennen diese Diskrepanz verringern helfen.

Als Zwischenstufe zwischen dem Wie-geht-das-nochmal?-Lernen am Arbeitsplatz und organisierter und systematischer Weiterbildung in Kursen haben inzwischen viele Unternehmen Selbstlernstudios eingerichtet. Sie bieten die Moeglichkeit, sich mit mehr Zeit als am Arbeitsplatz, in konzentrationsfoerdernder Atmosphaere ohne Stoereinfluesse und mit fachkundiger Betreuung umfangreiches, fuer die Arbeit benoetigtes Grundlagenwissen im Selbststudium anzueignen. Die organisatorischen und wirtschaftlichen Vorteile des Selbststudiums bleiben dabei gewahrt.

These 8: Interaktive Lernmedien werden Fachtrainer nicht ersetzen, jedoch ein erweitertes Rollenverstaendnis erforderlich machen.

Die kuenftigen Aufgaben und Rollen fuer Fachtrainer werden sich durch verstaerkten Einsatz von Selbstlernmedien veraendern. Die Trainer muessen in der Lage sein Vertrauen, Selbstbewusstsein und Offenheit hervorzurufen und die Lernenden dadurch bei der Entwicklung ihres persoenlichen Potentials zu unterstuetzen (Vorbild, Coach, Inspirator);

- klar zu kommunizieren, Gruppenprozesse zu strukturieren und ergebnisorientiert zu steuern und anderen zu vermitteln (Kommunikator, Moderator);

- Sachprobleme auf ihren Kern zu bringen und andere zur selbstaendigen Problemloesung anzuregen (Praesentator, Fachtrainer);

- die Lernenden bei ihren eigenen Fortbildungsaktivitaeten zu beraten und Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten (Lernberater);

- Selbstlernen unter organisatorischen, raeumlichen, sozialen und mediendidaktischen Gesichtspunkten zu gestalten (Selbstlerndesigner).

Literatur:

1Marktuntersuchung: Weiterbildung/Personalentwicklung in deutschen Unternehmen und Behoerden. Maisberger & Partner / Muenchen 1993

2Professor Dr. Mandel in CBT Aktuell 12/1992

3Lehner, Ziep: Phantastische Lernwelt. Eine Ideensammlung fuer Dozenten, Trainer und Lehrer in der Weiterbildung, Deutscher Studien Verlag 1992

4Edelmann: Suggestopaedie/Superlearning. Ganzheitliches Lernen - das Lernen der Zukunft? Asanger Verlag, 1988.

5CBT-Multimedia-Atlas 1992/93. Deutschlands aktueller Marktspiegel fuer die CBT-Branche. CBT-Verlag Muenchen 1993

*Bertram Wohak ist Autor von interaktiven Lernprogrammen, Weiterbildungsberater und Trainer am I.M.T. - Zentrum fuer innovatives Managementtraining in Ebenhausen bei Muenchen.