Acht Milliarden Dollar Minus im zweiten Quartal Kosten fuer Personalabbau bringen IBM noch tiefer in die Verlustzone

06.08.1993

ARMONK (CW) - Es koennte schlimmer sein. Offenbar sehen Anleger und Analysten das IBM-Resultat des zweiten Quartals 1993 unter dieser Praemisse. Denn trotz eines tiefroten Ergebnisses, ruecklaeufiger Umsaetze in fast allen Sparten und einem Stellenabbau von 60 000 Mitarbeitern bis Ende 1994 gingen die

Kurse der Big-Blue-Aktie nach oben.

Auf 40 Millionen Dollar belief sich das Minus der Armonker im zweiten Quartal dieses Jahres. Im vergleichbaren Vorjahreszeitraum waren noch 734 Millionen Dollar verdient worden. Inklusive der ausserordentlichen Belastung von 8,9 Milliarden Dollar vor Steuern musste der einstige DV-Kroesus gar einen nachsteuerlichen Verlust von acht Milliarden Dollar ausweisen. Der Umsatz sank gegenueber dem Vorjahresquartal insgesamt um 4,3 Prozent auf 15,5 Milliarden Dollar.

Bis Ende 1994

85 000 Mitarbeiter weniger

Chairman Louis Gerstner zeigte sich mit dem Ergebnis erwartungsgemaess unzufrieden und erklaerte: "Kurzfristig hat die Angleichung unserer Kostenstruktur an die Umsatzrealitaeten der Industrie - das Rightsizing des Unternehmens - fuer mich oberste Prioritaet." Dieser Zielsetzung ist es offenbar zu verdanken, dass IBM bis Ende 1994 insgesamt 85 000 Mitarbeiter von der Pay-roll streichen wird.

50 000 Angestellte haben dem Unternehmen bereits in diesem Jahr den Ruecken gekehrt beziehungsweise sich entschlossen, diesen Schritt bis Ende des Jahres zu tun. Da fuer das wachsende Servicegeschaeft der IBM auch neue Mitarbeiter eingestellt werden, duerfte sich die Gesamtzahl bis zum Ende des Jahres auf 255 000 Beschaeftigte belaufen. Allerdings sollen ueber die 50 000 Abgaenge hinaus bis Ende 1994 noch weitere 35 000 IBMer ihre Bueros raeumen, so dass dann 225 000 Namen auf der Gehaltsliste stehen werden. Sechs Milliarden der 8,9 Milliarden Dollar hohen ausserordentlichen Aufwendungen werden Angaben der Company zufolge fuer den Stellenabbau benoetigt. Die restlichen 2,9 Milliarden Dollar duerften ausreichen, um den Abbau von Produktions- und Buerokapazitaeten zu bezahlen.

Laut Gerstner werden die geplanten Reduktionen alle Bereiche des Konzerns betreffen. Allerdings soll der Arbeitsplatz-Abbau ausserhalb der USA hoeher sein, als in den Vereinigten Staaten, liess der Chairman wissen. Zwar hatten Beobachter immer wieder auf die zu geringen Stellenstreichungen in Europa - es war bislang von 10 000 Jobs die Rede gewesen - hingewiesen, aber die hiesigen Niederlassungen hielten sich bisher bedeckt. Die IBM Deutschland erklaerte sie werde 1993 wie geplant 3500 Stellen streichen. Plaene fuer 1994 laegen noch nicht vor.

Der IBM-Chef will mit den jetzt angekuendigten Massnahmen vier Milliarden Dollar jaehrlich einsparen. Laut Finanzchef Jerome York muessen die Kosten pro Jahr jedoch um sechs Milliarden Dollar reduziert werden, wenn der Konzern auf dem Niveau seiner Mitbewerber operieren will. Zusammen mit den Einsparungen in Hoehe von 1,25 Milliarden Dollar, die die bereits im Januar angekuendigten Restrukturierungen bringen sollen, und anderen geeigneten Schritten liesse sich dieses Ziel in den naechsten drei Jahren erreichen, sagte der Finanzchef gegenueber dem "Wall Street Journal".

Das letzte, was IBM

braucht, ist eine Vision

"Wenn sich unsere heutige Einschaetzung der kuenftigen Umsatzentwicklung und der Nachfrage als falsch herausstellt, muessen wir weitere Schritte unternehmen", warnte dagegen Gerstner. Dem amerikanischen Wirtschaftsblatt zufolge wies er jedoch alle Fragen nach der kuenftigen Ausrichtung seines Unternehmens zurueck: "Das letzte, was IBM braucht, ist eine Vision. Was wir benoetigen, ist eine Reihe sehr klarer, marktbezogener und hocheffizienter Strategien fuer jeden Geschaeftsbereich."

Diese Einschaetzung mag Management-Spezialist Robert Gilbreath, der die Management Change Division bei Philip Crosby Associates Inc., Florida, leitet, nicht gelten lassen: "Das ist die Antwort eines Buchhalters, nicht die eines Unternehmenslenkers. Wenn er seine Leute dazu bringen will, den Turnaround zu schaffen, innovativ und schnell zu sein, dann muss er ihnen einen anderen Grund geben." Auch Suns Chairman Scott McNealy meinte gegenueber dem "Wall Street Journal": "Je groesser die Organisation, desto dringender wird eine Vision und eine Architektur gebraucht, damit Mitarbeiter Entscheidungen treffen koennen, die zueinander passen."

Die Ergebnisse des zweiten Quartals geben aus IBM-Sicht kaum Anlass fuer Optimismus. Die Hardware-Umsaetze fielen - vor allem wegen der mangelnden Grossrechner-Nachfrage - um 12,9 Prozent auf 7,5 Milliarden Dollar. Die Mainframe-Verkaeufe haetten, so das Unternehmen weiter, im Jahresvergleich zwar abgenommen, die Erloese seien im jetzt zu Ende gegangenen Berichtszeitraum jedoch hoeher gewesen als im ersten Quartal 1993. Gleiches gelte fuer das AS/400- Geschaeft: Trotz einer im Vergleich zum Vorjahr ruecklaeufigen Entwicklung habe man - auch bedingt durch die Auslieferung neuer High-end-Modelle - gegenueber den ersten drei Monaten dieses Jahres zugelegt. Den Rueckgang des Massenspeicher-Geschaefts liessen die Armonker unkommentiert.

Obwohl keine Zahlen fuer die einzelnen Hardwaresegmente vorliegen, schaetzten Analysten der International Data Corp. (IDC) den Umsatzrueckgang nach Produktlinien ein. Ihrer Meinung nach verlor Big Blue bei den S/390 etwa 19 Prozent gegenueber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres, bei der

AS/400 duerften es sechs Prozent und bei Peripherieprodukten 29 Prozent gewesen sein.

Steigende Hardwareverkaeufe verzeichnete die IBM lediglich im PC- und Workstation-Segment. Gerstner betonte, dass die IBM PC Co. auch im zweiten Quartal profitabel gewesen sei. Er raeumte jedoch ein, mit der Mikro-Tochter nur sehr wenig Geld verdient zu haben.

Den einzigen wirklichen Wachstumssektor stellt das Servicegeschaeft der Armonker dar. Hier stiegen die Erloese um 26,6 Prozent auf 2,35 Milliarden Dollar. Im Bereich Software konnte der Umsatz mit einem Plus von nur 1,2 Prozent auf 2,7 Milliarden Dollar kaum verbessert werden. Ebenfalls mit Sorge duerfte die IBMer der Rueckgang des Miet- und Leasinggeschaefts erfuellen, das mit Erloesen von einer Milliarde Dollar um 6,3 Prozent schlechter abschnitt als 1992. Die Maintenance-Einnahmen gingen um 2,3 Prozent auf 1,8 Milliarden Dollar zurueck.

IDC rechnet fuer das gesamte Jahr 1993 mit niedrigeren IBM- Umsaetzen als im Vorjahr. Den Analysten zufolge sprechen auch die enormen Sonderaufwendungen dafuer, dass IBM in ihren internen Prognosen vorerst nicht von Wachstum ausgeht. Die groessten Probleme sieht IDC in den Segmenten Grossrechner und Peripherieprodukte auf das Unternehmen zukommen.

Im ersten Halbjahr 1993 erzielte Big Blue insgesamt einen Umsatz von 28,6 Milliarden Dollar, 5,6 Prozent weniger als die 30,3 Milliarden Dollar des Vorjahres. Ohne Restrukturierungsaufwendungen fuhren die Armonker einen Verlust von 325 Millionen Dollar ein. Vor Jahresfrist erzielten sie noch einen Gewinn von 1,4 Milliarden Dollar. Inklusive der Sonderbelastungen betrug der Halbjahresverlust 8,3 Milliarden Dollar.

Aufgrund des schlechten Ergebnisses entschloss sich der Verwaltungsrat der Company, erneut die Dividende von 0,54 auf 0,25 Dollar pro Aktie zu kuerzen. Trotz aller Hiobsbotschaften stieg der IBM-Kurs einen Tag nach Veroeffentlichung der Zahlen um 3,25 auf 45,63 Dollar. Die Analysten hatten offenbar mit einem noch schlechteren Resultat gerechnet.

Keineswegs positiv reagierte dagegen die Standard & Poors Corp. Sie setzte das Rating der wichtigsten IBM-Verbindlichkeiten von einem einfachen A auf ein doppeltes A-minus herab.