Abschied von der Mittleren Datentechnik

10.02.1978

"EDV ersetzt MDT" ist zu einem Slogan geworden, verdächtig an oberflächliche Waschmittelwerbung erinnernd, aber nicht minder wirkungsvoll. Eine Branche, den sogenannten MDT-Anbietern fällt eine Bezeichnung auf den Kopf, die jahrelang der Image-Pflege diente und die mit ihrem beachtenswerten Aufstieg ursächlich in Verbindung steht.

1970 initiierten wir den " Lehrstuhl für Organisationstheorie und Datenverarbeitung (Mittlere Datentechnik)" an der Universität Karlsruhe. Wir hatten dort etwa 1968 begonnen eine Klasse von Datenverarbeitungsanlagen, die wir damals mit guten Argumenten "Mittlere Datentechnik" nannten, im Bereich der universitären Lehre und-Forschung auf die Beine zu helfen. Wir haben dies am ifbi fortgesetzt, eine "Forschungsgruppe Mittlere Datentechnik" gegründet und eine "Koordinierungsgruppe Forschung Mittlere Datentechnik" zusammen mit der Universität Karlsruhe gebildet. Beide Institutionen haben wir 1977 aufgekündigt. Abschied von der Mittleren Datentechnik?

Abschied von der Mittleren Datentechnik auch anderswo. Der "Arbeitskreis Mittlere Datentechnik" firmierte 1977 um in "Arbeitskreis Dezentrale Datenverarbeitung". Ihm gehören einige namhafte "MDT-Anbieter" an (Nixdorf, Kienzle, Triumph-Adler, Philips etc.).

Wer Kontakt hat zum großen Anwenderkreis, der spürt die

Abschied von der Mittleren Datentechnik Unsicherheit, die sich ausbreitet. Ist die MDT am Ende, mündete ihre Entwicklung in eine Sackgasse, muß "EDV rein und MDT raus"?

1973 sagten wir: Der Begriff MDT hat sich überholt, er hat seine Berechtigung verloren, er droht nun, mehr Schaden zu verursachen als Nutzen zu stiften. Die Technologie hat sich gewandelt, wird und muß sich weiterentwickeln, so daß wir mit voller Berechtigung sagen können, daß es sich hier um Computersysteme handelt, deren Eigenart weniger in einer besonderen Hard- und Softwaretechnologie als vielmehr darin besteht, für einen Einsatz "vor Ort", "am Arbeitsplatz", "beim Benutzer" eine besondere Eignung zu besitzen, kurz: um benutzerorientierte Computersysteme. Dem Selbstverständnis dieser Technologie als "Mittlere Datentechnik" vermochten solche Argumente jedoch keinen Abbruch zu tun.

Wie üblich, die Wende kam durch "Sachzwänge", nicht durch planerisches, konstruktives Vorausdenken. Das Eis, auf dem man sich trotz unüberhörbarer Bruchgeräusche sicher glaubte, begann zu brechen, als sich zeigte, daß der Markt für große Computersysteme weitgehend ausgereizt war und deren Anbieter mehr und mehr einen Ausgleich darin sahen, ihr Angebot "nach unten" zu erweitern. Damit im Zusammenhang wurden Konzepte verkaufsreif gemacht, die heute unter "Distributed Data Processing", "Computer am Arbeitsplatz" oder "Computer beim Endbenutzer" firmieren. Keiner dieser Anbieter kam auf die - in der Tat abwegige - Idee, "Anlagen der Mittleren Datentechnik" zu offerieren.

Fünf Minuten vor zwölf

Wenn jetzt der Slogan "EDV ersetzt MDT" umgeht und im Markt deutliche Wirkungen zeigt, ist es fünf Minuten vor zwölf für die aus der MDT gewachsenen Anbieter, endlich Farbe zu bekennen. Reicht dazu ein so verwaschener wie nichtssagender Begriff wie "Dezentrale Datenverarbeitung" aus? Wir ziehen dies in Zweifel.

Wir nehmen Abschied von der Mittleren Datentechnik und werfen begrifflichen und historischen Ballast ab. Wir engagieren uns für Hard- und Softwaretechnologien, die es möglich machen, die Computerleistung an den Arbeitsplatz zu bringen. Viele der in unseren Augen "ehemaligen MDT-Anbieter" finden wir dabei im gleichen Boot.

Die notwendige Kürze eines Gastkommentars erlaubt es nicht, alle Argumente in der erforderlichen Breite zu diskutieren. Wir geben daher folgenden Literaturhinweis: Heinrich, L. J. (Hrsg.), Computerleistung am Arbeitsplatz - Benutzerorientiertes Distributed Data Processing, Oldenbourg, München 1978